Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor Storm
Читать онлайн книгу.behaglichen Verhältnisse gekommen sei. Nichts liegt ihr ferner, als ein Verlassen ihrer Heimatinsel oder gar eine Heirat mit dem vornehmen Vater ihrer Tochter. Sie ist hier an ihrem Platze und befindet sich so wohl, daß es für Jenni eine fast herbe Enttäuschung gewesen sein muß, statt des geträumten Elendes, zu dessen Heilung sie alle Bande in der Alten Welt zerrissen hatte, eine so niedrige Region vorzufinden, in der solch edles Leid gar nicht gedeihen kann. – Nichtsdestoweniger hat die Ankunft der Tochter dieser lebhaften Frau eine große Freude bereitet; und sie hat sie oft genug vor meinen Augen mit einer ungestümen, ich möchte sagen, elementarischen Zärtlichkeit überschüttet. Da sie mit dem schönen Mädchen vor den Gästen prunken will, so ist sie unaufhörlich bemüht, sie herauszuputzen, und Jenni hat alle Not, sich der brennenden Farben zu erwehren, welche die Mutter für sie aussucht. Aber nicht genug; sie hatte ihr unter den Gästen des Hauses einen reichen Herrn zum Gemahl ausersehen, in dem mir noch ein erhebliches Maß des hier so verfemten Blutes zu zirkulieren scheint, und zu dem Ende schon die ernstlichsten Anstalten ins Werk gesetzt. Da bin ich denn dazwischengetreten; und der Wille und die Vollmacht des »guten nobelen Herrn« haben alles aufs leichteste geschlichtet.
Ich fühle wohl, es war nicht nur ein Schrei der Freude, sondern auch der Erlösung, womit Jenni mich begrüßte. Aber es ist gut so; sie mußte auch das erst erfahren; denn nur, wie es jetzt geschehen, konnte sie wirklich mein werden; und fehlt ihr der Blick nach rückwärts in eine Familie, so wird sie einen Mann haben, der stolz und glücklich ist, ein neues Haus mit ihr zu gründen und sein künftiges Geschlecht aus ihrem Schoße emporblühen zu sehen. Denn ich schreibe dies an unserem Hochzeitstage. – Ihr hättet nur sehen sollen, in welch leuchtend grüner Seide die wackere bewegliche Dame zwischen den Stammgästen des Hauses der Hochzeitstafel präsidierte, wie stolz sie auf ihre wunderschöne Tochter und – ich kann es nicht leugnen – auch auf ihren Schwiegersohn war, und welche unglaublichen Toaste sie in drei Sprachen zugleich auf das Wohl der Neuvermählten ausbrachte. In den ersten Frühlingstagen hoffen wir bei Euch einzutreffen. Und Du, Grete, wirst nicht eifersüchtig in Deiner Freundschaft werden, wenn ich Dir vertraue, was Jenni mir eben zugeflüstert: ,Nun, Alfred, hilf mir, daß ich zu meinem Vater komme’!«
Diese Briefe waren dem Einladungsschreiben der beiden Eheleute angeschlossen. »Also kommen Sie« – hieß es in dem letzteren von Frau Gretes Hand – »Jennis Vater ist schon hier; Alfreds Eltern treffen noch heute ein; sogar Tante Josephine kommt, obgleich sie mitunter noch einige Bedenken äußern soll hinsichtlich einer Person, die schon in ihren Kinderjahren so ruchlos mit englischen Nähnadeln umgegangen ist. – Wir sind aus unsern Winterquartieren schon wieder in den hellen Gartensaal eingezogen. Vom Rasen her weht der Duft der Maililien durch die offenen Flügeltüren und drüben im Lusthain am Teiche, wo die Venus steht, sind die Uferränder blau von Veilchen.«
Und in der kräftigen Handschrift meines Freundes Hans stand dahinter: »Die Brigg ,Elisabeth’ hat am letzten Sonntage Lissabon passiert; Jenni und Alfred sind an Bord; in einigen Tagen können sie bei uns sein; denn schon wehen günstige Winde und bringen die beiden und ihr Glück.«
Eine Malerarbeit
Wir saßen am Kamin, Männer und Frauen, eine behagliche Plaudergesellschaft. Der Mensch gab wie immer den besten Unterhaltungsstoff, und endlich waren wir bei einem abwesenden Bekannten angelangt, der aus Mißfallen an seiner übrigens frei gewählten Gattin sein Familienleben fast eigensinnig zu zerstören schien. Es wurde hin und wider gesprochen und Partei genommen: »Mit der ist nicht zu leben«, riefen einige, »man kann’s ihm nicht verdenken!«
Der bisher schweigsame Hausarzt, der sich erst seit einigen Jahren in unserem Städtchen niedergelassen, räusperte sich und nahm eine Prise. »Man muß sein Leben aus dem Holze schnitzen, das man hat«, sagte er, »und damit basta!«
»Wenn’s aber nichts taugt?« wurde dagegen gesprochen.
»Und wenn es krumm und knorrig wäre«, erwiderte er.
»Doktor«, rief die jugendliche Hausfrau, »ich merke schon, dahinter steckt wieder eine Geschichte, aber die Contes moraux sind aus der Mode gekommen.«
»Nun«, versetzte er, »Sie wissen, wir Ärzte liegen oft im Streite mit dieser Göttin.«
»Laßt unsern Doktor erzählen«, entschied eine junge Dame. »Wenn’s nur eine Geschichte ist; es kommt auf die Moral nicht an!«
»Erst ein paar Scheite noch in den Kamin!« sagte der Doktor. »So! – und nun – ich weiß nicht, ob einer der verehrten Anwesenden den kleinen Maler Edde Brunken kennt?«
Die meisten aus der Gesellschaft hatten wohl von ihm gehört, auch einzelne seiner Bilder gesehen, persönlich kannten sie ihn nicht. Nur einer sagte: »Ich habe ihn lange nicht gesehen, aber wir sind aus derselben Stadt gebürtig. Obgleich gänzlich verkrüppelt, hatte ich keinen tolleren Kameraden als ihn. Er war der Sohn eines Seekapitäns, und manches Mal bin ich mit dem kleinen Teufel auf seines Vaters Brigg umhergeklettert; ich seh ihn noch, wie er gleich einem Klümpchen Unglück oben in dem Takelwerke hing.«
»Den also meine ich«, fuhr der Doktor fort, »auch als ich ihn kennenlernte, obgleich ein Mann an die Dreißig, galt er noch immer für einen ziemlich wilden Burschen; es war so recht ein Stückchen der erbarmungslosen Mutter Natur, ein solches Temperament auf dieses Körperchen zu pfropfen. Aber er besaß jenen hülfreichen Freund, den Humor, mit dem er schließlich alles überwand. Dagegen war ihm, vielleicht weil er die körperlichen Hemmnisse stets nur jenseit der äußersten Grenze respektiert hatte, weniger jener schlagfertige Spott eigen, der sich sonst fast bei allen auszubilden pflegt, welche mit der Natur in Zwiespalt leben. Zuweilen, wenn sein Herz ins Spiel kam – und dieser Muskel war bei ihm sehr stark vertreten – ließ er sich zu einem für seine äußere Erscheinung bedenklichen Pathos hinreißen, und konnte dadurch einem wohlgewachsenen Gegner die gefährlichsten Blößen geben.
Bei einer solchen Gelegenheit lernte ich ihn kennen.
Wir saßen eines Abends, eine bunte Gesellschaft von Künstlern, jungen Juristen und Regierungsbeamten in einem Kaffeehause, und wie gewöhnlich bildeten Politik und soziale Fragen das Thema des Gespräches. An meiner Seite saß der mir damals noch wenig bekannte kleine Maler, ihm gegenüber ein Regierungsassessor, ein junger Mann mit einer Brille und einem blonden Fuchskopf, den ich mitunter in dem gastfreien Hause meines Onkels gesehen hatte. Dieser – er ist seitdem übrigens mein Vetter geworden – schien auf die eifrigen Verhandlungen der andern nur wie auf eine Art Komödie herabzusehen, die ihn in einem müßigen Augenblicke unterhalten durfte. Im Laufe des Gespräches kam man auf den Paß- und Reisezwang, vermöge dessen die jungen Handwerker noch immer als präsumtiv verdächtige Subjekte von einem Polizeiamt an das andere geschickt würden; und es erhob sich ein lebhafter Sturm dagegen. Als auch mein kleiner Nachbar seine sittliche Entrüstung in gleichem Sinne kundgegeben, bemerkte der Assessor, nachdem er ihn erst eine Weile durch seine Brillengläser fixiert hatte: »Aber, soviel ich weiß, Herr Brunken – und er sprach den Namen, als fasse er ihn mit einer Zange an – »sind die Kunstmaler diesem Zwange nicht unterworfen.«
Der Kleine sah mit einem raschen Blicke zu ihm auf. »Wenn Sie damit mein Interesse zur Sache bezeichnen wollen«, erwiderte er und seine Stimme wurde scharf, »so bin ich in der Lage, Ihnen mitzuteilen, daß ich ein ganzes Jahr als Stubenmalergeselle gewandert bin.«
»Das wäre«, meinte der aridere, »da sprechen Sie denn freilich aus Erfahrung.«
Aber der Kleine war noch nicht zur Ruhe. Indem er sich in seiner ganzen nicht eben beträchtlichen Höhe aufrichtete, fiel er in sein schwunghaftes Pathos, wobei ihm die Stimme ins Falsett überschlug. So sprach er von verletzter Menschenwürde und dergleichen erhabenen Dingen.
Was half es ihm, daß er die Wahrheit sprach! Der Assessor behielt ruhig seine Hände in den Hosentaschen und betrachtete den kleinen aufgeregten Mann ihm gegenüber, als ob er etwas höchst Amüsantes vor sich habe. – »So«, sagte er endlich, nachdem jener sich erschöpft auf seinen Platz gesetzt hatte, »Herr Brunken, halten Sie so viel auf Menschenwürde?«