Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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dazu. Im Wasser zwischen den weißen Blumen spiegelten sich die Sterne; im Laube rieselte der Tau von Blatt zu Blatt; mitunter von den am Ufer stehenden Bäumen fiel ein Tropfen in den Teich, daß es einen leisen Klang gab; vom Garten her, wie aus weiter Ferne, schlug die Nachtigall. Ich ging an der Schattenseite um den Teich herum. Als ich mich näherte, erhob die Gestalt den Kopf, und Jennis schönes blasses Antlitz wandte sich mir entgegen; es war so hell vom Mond beleuchtet, daß ich den bläulichen Schmelz der Zähne zwischen den roten Lippen schimmern sah.

      »Du bist es, Jenni!« rief ich.

      »Ich, Alfred!« erwiderte sie und trat mir entgegen.

      »Wie bist du hierher gekommen?«

      »Hinten am Eingange des Parks bin ich abgestiegen.«

      »Ich dachte«, sagte ich leise, »es sei die Göttin, die dort vom Postament herabgestiegen ist.«

      »Die ist wohl seit lange herabgestiegen, oder vielleicht herabgestürzt; ich habe sie niemals dort gesehen.«

      »Aber ich sah sie noch vor einer Viertelstunde!«

      Sie schüttelte den Kopf. »Du bist drüben an dem andern Teiche gewesen; dort wird das Marmorbild auch jetzt noch stehen. Hier sind keine Götter, Alfred; hier ist nur ein armes, hülfsbedürftiges Menschenkind.«

      »Du, Jenni, hilfsbedürftig?«

      Sie nickte heftig.

      »Wenn du, wie du mir gestern sagtest, mich wirklich noch zu kennen glaubst, so sprich es aus; was ist es, dessen du bedarfst?«

      »Geld«, sagte sie,

      »Du Geld, Jenni!« Und ich betrachtete erstaunt dieses Kind des Reichtums.

      »Frage mich nicht, wozu«, erwiderte sie; »du wirst es bald erfahren.« Dann zog sie ihr Schnupftuch aus der Tasche und nahm daraus einen Schmuck, an dem ich grüne Steine in künstlicher Fassung funkeln sah, als sie ihn jetzt in den Mondschein hinaushielt. »Ich habe keine Gelegenheit, ihn zu verkaufen«, sagte sie; »willst du es morgen für mich versuchen?« Und als ich einen Augenblick zögerte, setzte sie rasch hinzu: »Es ist nichts Geschenktes oder gar Ererbtes; ich habe ihn einst für mein Taschengeld gekauft.«

      »Aber, Jenni«, konnte ich nicht unterlassen ihr zu sagen, »weshalb wendest du dich nicht an deinen Vater?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Ich dächte«, fuhr ich fort, »er sorgte reichlich für dich.«

      »Ja, Alfred; er zahlt für mich – reichlich!« Und während die bitterste Erregung aus ihrer Stimme klang, setzte sie hinzu: »Ich kann den Mann nicht bitten.«

      Sie trat einen Schritt zurück und setzte sich auf die Bank, die hinter uns an der Laubwand stand. Dann ließ sie den Kopf in beide Hände sinken.

      »Ist es denn ganz notwendig?« fragte ich.

      Sie sah zu mir empor und sagte fast andächtig: »Ich muß eine heilige Pflicht damit erfüllen.«

      »Und es gibt keinen andern Ausweg?«

      »Ich weiß keinen.«

      »So gib mir den Schmuck.«

      Sie tat es, und ich nahm ihn mit innerem Widerstreben. – Jenni hatte sich schweigend zurückgelehnt; ein Streif des Mondlichts beleuchtete die schmale Hand, die in ihrem Schoße lag, und ich sah wieder, wie vor Jahren, die kleinen dunkeln Monde an ihren Nägeln. Ich weiß nicht, weshalb ich darüber fast erschrak, so daß meine Augen wie gebannt waren. Als Jenni es bemerkte, zog sie die Hand leise in den Schatten zurück. »Ich habe noch eine Bitte, Alfred!« sagte sie.

      »Sprich nur, Jenni!«

      Sie neigte den Kopf ein wenig. »Ich habe dir vor Jahren«, begann sie, »da wir als Kinder voneinander Abschied nahmen, einen kleinen Ring gegeben. Erinnerst du dich dessen noch?«

      »Wie kannst du daran zweifeln?«

      »Wenn du dieses wertlose Kleinod«, fuhr sie fort, »wenn du es so viel geachtet hättest, daß du es noch besitzest, dann bitte ich dich, gib es mir zurück!«

      »Wenn du es zurückverlangst«, erwiderte ich, nicht ohne einen Anflug von Gereiztheit, »so habe ich kein Recht, es ferner zu besitzen.«

      »Du mißverstehst mich, Alfred!« rief sie; »ach, es ist das einzige Angedenken von meiner Mutter!«

      Ich hatte schon das Bändchen mit dem Ringe unter meinem Halstuche hervorgezogen. »Hier ist er, Jenni; aber – verzeih mir, es tut mir dennoch weh!«

      Sie war aufgestanden. Ich sah, wie eine leichte Röte über ihr schönes Gesicht flog; dann aber, wie aus unwillkürlichem Antrieb, streckte sie die Hand nach dem Ringe und erfaßte ihn. Ich konnte mich nicht überwinden, ihn hinzugeben; ich hielt ihn fest. »Vor kurzem«, sagte ich, »war er mir nichts als eine Erinnerung an die anmutige Gespielin aus der Kinderzeit. – Nun ist es anders geworden; mit jedem Tage mehr, den ich hier gelebt.«

      Aber ich schwieg; denn sie sah mich an, als hätte ich ihr ein tiefes Leid getan. »Sprich nicht so zu mir, Alfred«, sagte sie.

      Ich achtete dieser Worte nicht; ich ergriff ihre Hand, die sie ruhig in der meinen ließ. »Nimm den Ring, Jenni«, sagte ich, »aber gib mir deine Hand dafür!«

      Sie schüttelte langsam den Kopf. »Die Hand einer Farbigen«, sagte sie tonlos.

      »Deine Hand, Jenni. Was kümmert uns das übrige!«

      Sie stand, ohne sich zu regen; nur an dem Zittern der Hand, die noch immer in der meinen lag, fühlte ich, daß sie lebe. »Ich weiß wohl, daß wir schön sind«, sagte sie dann, »verlockend schön, wie die Sünde, die unser Ursprung ist. Aber, Alfred – ich will dich nicht verlocken.«

      Und dennoch, als ich schweigend die Arme nach ihr ausbreitete, da lag sie plötzlich an meiner Brust und hatte ihre Hände fest um meinen Nacken geschlossen. Sie sah zu mir empor; ihre großen glänzenden Augen waren wie ein Abgrund unter mir. »Ja, Jenni«, und mir war, als wehe ein Schauer von den Bäumen durch mich hin, »du bist betörend schön; sie war nicht schöner, die dämonische Göttin, die einst der Menschen Herz verwirrte, daß sie alles vergaßen, was sie einst geliebt! Vielleicht bist du es dennoch selbst, und gehst nur um in dieser seligen Nacht, um die zu beglücken, die noch an dich glauben. – – Nein, reiße dich nicht los; ich weiß es ja, du bist ein Erdenkind wie ich, machtlos gefangen in deinem eignen Zauber; und wie der Nachthauch durch die Blätter weht – spurlos, so wirst auch du vergehen. – Aber schilt nicht die geheimnisvolle Macht, die uns einander in die Arme warf. Wenn wir auch willenlos das Fundament unserer Zukunft hier empfangen mußten – der Bau, den es einstens tragen soll, liegt doch in unserer Hand.«

      Ich löste ihre Hände sanft von meinem Nacken und legte den Arm um ihren Leib. Dann riß ich das Bändchen von dem Ringe und steckte ihn an ihren Finger. Sie lehnte sich an mich wie ein beruhigtes Kind und ließ sich still von mir hinwegführen. – Als wir nach einiger Zeit an den andern Teich gelangten, stand wirklich noch das Bild der Venus zwischen den weißen Wasserrosen, und ich wußte es nun gewiß, daß ich ein irdisches Weib in meinen Armen hatte.

      Zögernd, aber endlich dennoch traten wir aus den entlegenen Schattengängen in das Boskett, und aus dem Boskett dem Hause gegenüber ins Freie. Über den Rasen weg durch die offenen Flügeltüren sahen wir drinnen in dem erhellten Saal meinen Bruder mit seiner Frau wie im traulichen Gespräche auf und ab gehen.

      Jenni bückte sich und war, ehe ich mich dessen versah, aus meinem Arm entschlüpft; aber ebenso schnell hatte sie auch meine Hand wieder erfaßt. »Tue, was du mir versprochen, Alfred«, sagte sie, »und alles andere«, setzte sie kaum hörbar hinzu, – »vergiß!«

      Und als hierauf Grete in die offene Tür trat und in die Nacht hinausrief: »Jenni, Alfred, seid ihr’s denn?«, da bat sie dringend: »Sprich nicht davon; auch nicht zu deiner Mutter; wir, dürfen sie nicht betrüben.«

      »Aber ich verstehe dich nicht Jenni.«

      Sie drückte nur heftig meine Hand. Dann verließ


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