Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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wurde ich höflich eingeladen, über das neuerbaute Haus mein sachverständiges Urteil abzugeben, sobald er von seiner Badereise zurück sein werde. – Von dem, was kurz vorher zwischen ihm und seiner Tochter geschehen, war bei dem förmlichen Wesen des Mannes nichts zu spüren.

      Bei Tische saß er neben meiner Mutter und unterhielt sie in aufmerksamster Weise; als diese das Gespräch auf eine gemeinsam verlebte Jugendzeit brachte, verstand er es sogar, zu scherzen. Er erinnerte seine Nachbarin an verschiedene Bälle, auf denen sie in dem Harmoniesaale ihrer Vaterstadt getanzt, und an das lebensgroße Bild eines kleinen wohlbeleibten Amors, das dort an der Tapete gewesen. »Die jungen Damen«, sagte er, »hatten solche Scheu davor, daß es dort immer eine Lücke in der Tanzreihe gab.«

      »Und Sie, Herr Vetter«, erwiderte meine Mutter, »waren recht darauf versessen, Ihre Dame immer wieder vor das verfemte Götterbild zu führen.«

      Er verneigte sich galant gegen sie. »Ich wußte ja, Frau Cousine«, sagte er, »daß Sie mir gegenüber den Amor nicht zu scheuen hatten.«

      Ich sah, wie bei diesen Worten ein zartes Rot das noch immer anmutige Gesicht meiner Mutter überflog; und unwillkürlich dachte ich, ob, wie jetzt ihre Kinder, so vielleicht auch sie in vergangenen Tagen einmal durch gegenseitige Neigung zueinandergezogen gewesen. Auch Jenni, die bisher ohne Zeichen der Teilnahme und kaum die Speisen berührend dagesessen, blickte bei diesen Worten auf; vielleicht hatte sie ihren Vater noch nie über so heitere Dinge reden hören. Dieser selbst richtete über Tisch kein Wort an seine Tochter, sondern sprach wieder über allerlei Verkehrsverhältnisse mit meinem Bruder. Später aber, beim Kaffee, hörte ich ihn zu meiner Mutter sagen: »Jenni wird durch die Güte Ihrer Kinder nun noch eine Zeitlang hier verweilen; ich reise morgen allein weiter. Wir kennen uns seit langen Jahren, Frau Cousine; wenn es die Gelegenheit gibt – erzählen Sie ihr von jenen Tagen. – Sie soll in nächster Zeit mit dem alten Manne leben; es wäre vielleicht gut, wenn sie vorher den jungen etwas kennenlernte.« Und indem er seiner Jugendgenossin die Hand drückte, fügte er aufstehend hinzu: »Sie tun mir damit einen Dienst, Cousine.«

      Der Tag ging hin, ohne daß es mir gelang, Jenni allein zu treffen; sie vermied es sichtlich.

      Auch Grete war meist draußen in ihrer Wirtschaft. – Am andern Morgen, als sie nach der Abreise unseres Gastes zu mir in den Garten kam, kreuzte sie die Hände auf der Brust und sagte lächelnd und mit einem tiefen Seufzer: »Da wären wir denn nun wieder unter uns!«

      Bald aber erfuhr ich zu meinem Schrecken, daß Jenni noch am Vormittag auf mehrere Tage in die Stadt reise, um in dem neuen Hause ihres Vaters mit dessen Wirtschafterin, ich weiß nicht welche Einrichtungen zu beschaffen.

      Ich stand allein auf der Terrasse, als sie im Reiseanzug zu mir heraustrat. Sie reichte mir die Hand; aber ich grollte ihr, daß sie mich jetzt verlassen könne. »Warum tust du mir das, Jenni?« fragte ich. »Hatten denn diese Einrichtungen solche Eile?«

      Sie schüttelte den Kopf, indem sie mich groß und ruhig anblickte; in ihren Augen war, ich kann nicht anders sagen, ein Ausdruck von erhabener Schwärmerei.

      »Und doch gehst du?« fragte ich wieder, »und gerade jetzt?«

      »Ich will dich nicht belügen, Alfred«, sagte sie; »das ist es nicht; aber ich muß, ich kann nicht anders.«

      »So komme ich täglich in die Stadt, um dir zu helfen.«

      Sie erschrak sichtlich. »Nein, nein«, rief sie, »das darfst du nicht!«

      »Weshalb denn nicht?«

      »Ich weiß nicht; frage mich nicht! – O glaub es doch!«

      »Kannst du mir nicht vertrauen, Jenni?«

      Sie stieß einen Laut der Klage aus, so schmerzlich, wie ich jemals etwas hörte. Dann streckte sie die Arme nach mir aus, unbekümmert, wer es sehen möchte; und wie einmal zuvor im Geheimnis der Nacht, so hielt ich sie jetzt im hellsten Sonnenlicht an meinem Herzen. »So bleib denn nicht zu lange!« bat ich; »mein Vater erwartet mich, meine Zeit hier geht zu Ende.«

      Ich sah auf ihr schönes blasses Antlitz, da sie schwieg. Sie hatte die Augen geschlossen und, als wolle sie hier ruhen, den Kopf auf meine Schulter gelegt.

      Es war nur ein Augenblick. Sie riß sich los, und wir gingen nach der Vorderseite des Hauses, wo schon der Wagen bereitstand. – Als sie eingestiegen war, hörte ich noch meine Mutter, die ihre Hand gefaßt hatte, sagen: »So weine doch nicht, Kind! Du weinst ja, als ob es dir das Herz abstieße.«

       Es folgte jetzt trotz alles Sonnenglanzes für mich eine Reihe von grauen Tagen. Es war noch ein Glück, daß mein Bruder mich mit den Entwürfen zu einem neuen Wirtschaftsgebäude vollständig außer Atem hielt. Es war keine Kleinigkeit, seine praktischen Anforderungen mit den künstlerischen, die ich meinerseits nicht außer acht lassen wollte, zu verbinden. Oft fuhr er mir unbarmherzig mit dem Bleistift in meinen schön gezeichneten Plan hinein; und wir stritten hin und her, bis endlich sogar die beiden Frauen zur Entscheidung aufgerufen wurden.

      Es war am vierten Tage nach Jennis Abreise, als ich mit dieser Arbeit beschäftigt auf meinem Zimmer saß. Es wollte indes heute nicht von der Hand gehen, und da ich der armen Reißfeder die Schuld gab, so stand ich auf, um eine andere aus meinem Koffer zu nehmen. Als ich dabei die darin befindliche Wäsche auspackte, fiel mir ein zusammengefaltetes Papier in die Hand. »Von Jenni«, stand darauf; darin lag der kleine Schildpattring, den ich kurz zuvor ihr an den Finger gesteckt hatte, und, dadurch geschlungen, ein langer Streifen seidenschwarzen Haares.

      Mein erstes Gefühl war ein Schauer des Entzückens, ein Gefühl unmittelbarer Nähe der Geliebten: dann aber überkam mich eine unbestimmte Besorgnis. Ich betrachtete das Papier von allen Seiten; aber es war kein Buchstabe oder Zeichen sonst daran. – Nachdem ich vergeblich wieder zu arbeiten versucht hatte, ging ich in den Saal hinab, wo ich meinen Bruder mit seiner Frau in einem Gespräche über Jenni traf. »Aber so etwas von Augen!« hörte ich Grete bei meinem Eintritt sagen.

      Ihr Mann schien ihr im Scherz das Widerspiel zu halten; denn er erwiderte: »Du findest diese wilden Augen doch nicht schön?«

      »Wild, Hans? Und nicht schön? – Aber freilich, du hast recht, sie sind so schön, daß sie den Widerspruch hervorrufen. Und dies – –!« Sie hielt inne und blickte mit einem mitleidigen Lächeln zu ihrem stattlichen Manne empor.

      »Was denn, Grete?«

      »Ist nichts als der Anfang einer Verteidigung. Aufrichtig, Hans, du fühlst schon, wie sie dir gefährlich wird!«

      »Ja, wenn ich dich nicht hätte!«

      »Oh, auch wenn du mich hast.«

      Er gab ihr lachend beide Hände. »Halt sie fest«, sagte er, »so soll kein hübscher Teufel mich verführen.«

      Aber das ließ seine Frau nicht gelten. »Der Teufel ist in euch Männern!« rief sie. »Überhaupt, was hast du jetzt immer an dem harmlosen Kind zu nörgeln, der du doch sonst allezeit ihr Ritter warst?«

      »Sonst, Grete, ja. Aber sie ist anders geworden!« Er besann sich einen Augenblick. »Ich schäme mich fast, es zu sagen. Aber es ist nur zu gewiß; die Kaufmannstochter ist in ihr zum Vorschein gekommen – sie ist geizig geworden.«

      »Geizig!« rief Grete. »Nun wird es zu arg! Jenni, die in der Pension nur durch die strengsten Verbote zurückzuhalten war, sich nicht das Kleid vom Leibe fortzugeben!«

      »Sie gibt jetzt keine Kleider mehr fort«, erwiderte mein Bruder; »sie verkauft sie an den Trödler; und zwar kann ich dir sagen, daß sie die Preise sehr genau behandelt.«

      Ich hatte, ohne mich ins Gespräch zu mischen, aufmerksam zugehört. Bei diesen letzten Worten überfiel mich plötzlich eine erschreckende Klarheit. – Mein Entschluß war rasch gefaßt. »Kann ich dein Pferd bekommen, Hans?« fragte ich.

      »Freilich; wohin willst du denn?«

      »Ich möchte in die Stadt reiten.«

      Seine Frau war mir dicht unter die Augen getreten. »Kannst du es denn gar nicht länger aushalten, Alfred?«


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