Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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Assessor nicht kaltblütig zu hören vermochte, und am anderen Morgen gab es ein Pistolenduell, bei dem ich selbstverständlich als Arzt zugegen war. Trotz der geringeren Schußfläche, die er zu bieten hatte, wurde der Maler in der linken Schulter verwundet, und da die übrigens ungefährliche Verletzung eine sorgfältige ärztliche Behandlung nötig machte, so wurden wir dadurch näher miteinander bekannt und bald befreundet. Noch während seiner Genesung, wo ich darauf denken mußte, seinen ungeduldigen Arbeitstrieb zu zügeln, hatte ich ihn in das Haus meines Onkels eingeführt, mit dessen einziger Tochter Gertrud ich vetterlich und kameradschaftlich aufgewachsen war.

      Der Onkel, der es liebte, sich mit jungen Leuten zu umgeben, lernte bald den Menschen wie den Künstler in meinem Freunde schätzen und es dauerte nicht lange, so saß Gertrud vor seiner Staffelei und ließ ihr blondes Köpfchen von ihm auf die Leinewand bringen. Sie war eine heitere Natur, dazu nur eben über die Kinderschuhe hinaus, und so kamen die beiden in den wiederholten Sitzungen bald auf einen Neckfuß, der für das Mädchen zwar nur eine harmlose Unterhaltung, für das reizbare Temperament meines Freundes aber, wie ich bald bemerkte, nicht ohne tiefere Folgen war. Ich sagte ihr wohl einmal: »Laß unseren Künstler nur nicht zu tief in deine leichtfertigen Augen gucken!« Dann lachte sie mich aus, oder sie sagte: »Aber du bist äußerst komisch!« und begann eins ihrer Schelmenlieder zu trillern, mit denen sie im Hause treppab und -auf zu fliegen liebte.

      So stand die Sache, als mein Onkel eines Tags in der schönen Junizeit auf Getruds Antrieb eine Wald-und Bergpartie veranstaltete, zu der ich außer anderen auch unseren Maler einzuladen hatte. – Als ich am Tage vorher in sein Zimmer trat, fand ich ihn arbeitend vor seiner Staffelei; aber sie war vor den Spiegel gerückt, wo des einfallenden Lichtes wegen augenscheinlich ein schlechter Platz zum Malen war und wo ich sie nie zuvor gesehen hatte. »Laß dich nicht stören!« rief ich ihm zu.

      »Nur – ein paar Striche noch!« erwiderte er, und sein Atem ging keuchend aus der Brust hervor, wie es in Aufregung oder Anstrengung bei ihm zu geschehen pflegte. Unter dem Malen bog er den Kopf zur Seite und blickte eine Weile gegenüber in den Spiegel und gleich danach auf eine Statuette der Venus von Milo, die seitwärts auf einem Tischchen stand. Dann, mit einem kurzen scharfen Lachen, das wie ein Hohn aus der Tiefe des gebrechlichen Leibes hervorbrach, ließ er wiederum den Pinsel eifrig auf der Leinwand arbeiten. Ich sah eine Weile zu, dann aber fragte ich: »Was zum Henker treibst denn du da?«

      »Ich, Verehrtester? – Ich arbeite in Kontrasten.«

      »Das ist eine schlechte Kunst.«

      »Es ist gar keine Kunst«, erwiderte er, indem er den Malstock auf den Boden stützte und den Körper wie erschlafft in sich zusammensinken ließ. »Keine Spur von Kunst, Arnold, eitel nichtswürdige Abschrift der Natur. Das kleine borstige Ungeheuer dort im Spiegel ist in seiner Art ebenso vollkommen, wie die Göttliche ohne Arme neben ihm. Mein Gehirn vermag weder hier noch dort etwas hinzuzutun.«

      Ich war aufgestanden und hinter seinen Stuhl getreten. Ein kleines aber fast vollendetes Bild in kräftigen Farben stand auf der Staffelei. Es war eine sonnige Parkpartie in altfranzösischem Gartenstil; auf dem freien Platze im Vordergrunde erhob sich aus einem blühenden Rosengebüsch die Statue der Venus; ihr zu Füßen, zu ihr emporschauend, stand in zierlicher Rokokokleidung die Gestalt eines verkrüppelten Mannes, in der ich, unerachtet der struppige Vollbart hier rasiert und das Haar des unbedeckten Hauptes mit Puder bestreut war, sogleich den Maler selbst erkannte. Die langen Finger der beiden Hände, welche aus breiten Spitzenmanschetten hervorsahen, hatten sich um die goldene Krücke eines Bambusrohrs gelegt, auf welche der kleine Mann im veilchenfarbenen Wams sich mühselig zu stützen schien. Er hatte augenscheinlich zuvor auf der Bank geruht, welche im Schatten der hohen Buchenhecke der Statue gegenüber stand; denn das dreieckige Hütchen lag noch dort. Weshalb er aber jetzt in die heiße Sonne hinausgetreten war und so finster zu dem Antlitz der Liebesgöttin emporblickte, wurde erst verständlich, wenn man im Mittelgrunde des Bildes den sonnigen Laubgang hinabsah, durch den sich im traulichsten Behagen ein Liebespaar entfernte. Der Kavalier zeigte nur den Rücken und die eine lebhaft gestikulierende Hand, das zierliche Puderköpfchen des Dämchens aber, das an seinem Arme hing, war zurückgewandt, und schaute übermütig lachend nach dem Krüppel, an dem sie soeben vorübergegangen sein mochten. Ich hätte fast den Namen meines Mühmchens ausgerufen, aber die Ähnlichkeit, ob absichtlich oder zufällig, war doch nur eine flüchtige.

      Mein kleiner Freund hatte mich gespannten Blickes angesehen, während ich dies seltsame Bild betrachtete. »Du hast ihr Arme gegeben«, bemerkte ich endlich, um nur etwas zu sagen, indem ich auf die Gestalt der Venus zeigte.

      »Freilich«, versetzte er hastig, »schöne, hülfreiche Arme, und sie hilft auch jedem, nur nicht solchen Kreaturen, deren eine dort zu ihren Füßen kriecht.«

      »Für wen«, unterbrach ich ihn, »hast du denn eigentlich dieses Bild gemalt?«

      »Nur eine Studie zur Selbsterkenntnis, Verehrtester.«

      »Freilich«, sagte ich, »einige Selbstkenntnis ist darin. Du hast sehr wohl gewußt, daß du etwas besitzest, das selbst der Königin der Schönheit fehlt, zu der du dort so mißvergnügt hinauf schaust.«

      Er sah mich fragend an.

      »Du hast in der Tat«, fuhr ich fort, »unerachtet du dir sonst eben nicht geschmeichelt, deine ohnehin nicht Übeln Augen in das beste Licht zu setzen gewußt.«

      Mein kleiner Freund lächelte. »Meinst du?« sagte er. , Aber was nützen mir die Augen?«

      »Nun, ich weiß nicht; aber sie haben schon manchem genützt.« – Wir sprachen weiter in dieses Thema hinein, und es gelang mir nach und nach das Antlitz meines Freundes aufzuhellen. Als ich dann mit meinem Auftrage zum Vorschein kam, war er sogleich bereit, die Partie mitzumachen. Nur wie beiläufig fragte er noch: »Ist auch der Assessor eingeladen?« Und ich antwortete: »Ohne Zweifel; aber Brunken. der hat ja keine Augen, wenigstens nur so etwas wie eine Andeutung davon; und im übrigen, ihr versteht es ja vortrefflich, ohne alle Berührung umeinander herumzugehen.«

      Mein Freund lächelte wieder; ich glaube sogar, er zupfte sich die Krawatte zurecht und warf dabei verstohlen einen Blick in den gegenüber hängenden Spiegel.

       Am andern Tage leuchtete der hellste Sonnenschein. Zu Leiterwagen, in denen man sich auf langen Brettern gegenübersaß, ging es die erste Meile durch den Wald; alle Altersklassen waren vertreten, Gertrud hatte sogar ein ganzes Rudel Kinder mit zu verpacken gewußt. Unter der Direktion des lebenslustigen Onkels ging dergleichen immer vortrefflich, und so war denn auch heute alles guter Dinge, und die Drosseln im Tannicht sangen nicht heller, als das junge Volk auf den Leiterwagen. Zumal mein kleiner Brunken war heiterer, als ich ihn lange gesehen; wenn die anderen schwiegen, sang er mit seiner starken, aber freilich etwas scharfen Tenorstimme holländische Volkslieder, die er von der Antwerpener Akademie mitgebracht hatte. Er war in solchen Dingen unerschöpflich. Endlich langte man in einem Dorfe unterhalb des Gebirges an, von wo aus es zu Fuße nach der Teufelskanzel hinaufgehen sollte, einem breiten Felsenvorsprunge, zu dem ein ziemlich steiler Weg etwa eine Stunde lang durch niedriges Gebüsch hinaufführte. Die Sonne brannte, und da ich das Bergsteigen unter solchen Umständen für meinen Freund nicht rätlich hielt, so bestieg er eines unserer Wagenpferde, einen alten mageren Urhengst, und, diesen Reiter in der Mitte, zog nun die lustige Schar in der Bergschlucht aufwärts; zwei Bauerburschen folgten mit wohlgepackten Körben, die ein gutes Frühstück am Ziele alles Mühsales verhießen.

      Aber wer konnte so lange dursten! Auf der Mitte des Weges wurde Halt kommandiert; die Mädchen schenkten Wein, alles trank, und auch dem Maler wurde von Getrud ein großer Humpen hinaufgereicht. – Man mußte es sehen, wie die kleine Gestalt mit dem rauhen, mächtigen Kopf auf der hochbeinigen Mähre huckte, wie er das Glas emporhob, daß die Sonne durch den roten Wein funkelte und mit den scharfen schwarzen Augen darnach hinblinzte. »Flüssiger Rubin!« rief er. »Auf das Wohl aller schönen Erdenkinder!« Und dabei goß er den roten Wein hinab.

      »Seht da, der Herr des Gebirges!« rief Gertrud.

      »Nur der Kobold, schöne Dame!« entgegenete der Maler und setzte seinem Hengst die Fersen in die Weichen.

      »Rübezahl, Rübezahl!« schrien die Kinder,


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