Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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Al­les, Con­sue­lo! sa­gen Sie al­les! Ich weiß zum Voraus, was Sie sa­gen wol­len.

      – Nun denn! ich will es sa­gen, denn es war mein Vor­satz. Alle die Sie lie­ben, ver­zwei­feln an Ih­nen. Sie glau­ben, das was sie Ihren Wahn­sinn nen­nen, ach­ten, d. h. scho­nen zu müs­sen; sie be­sor­gen, Sie auf­zu­brin­gen, wenn sie Sie mer­ken lie­ßen, dass sie ihn ken­nen, ihn be­kla­gen, ihn fürch­ten. Ich, die ich nicht dar­an glau­be, kann nicht da­vor zu­rück­be­ben, Sie zu fra­gen, wie es zu­geht, dass Sie bei Ihrem Ver­stan­de doch bis­wei­len sich das An­se­hen ei­nes Un­sin­ni­gen ge­ben; wie es zu­geht, dass Sie, bei Ih­rer Her­zens­gü­te, doch die Rol­le des Dün­kels und des Un­danks spie­len; wie es zu­geht, dass Sie, bei ih­rer Fröm­mig­keit und Ein­sicht, sich doch den Wahn­ge­bil­den ei­nes kran­ken und ver­zwei­fel­ten Geis­tes über­las­sen; wie es zu­geht end­lich, dass Sie so ein­sam sind, le­ben­dig be­gra­ben in ei­ner schau­er­li­chen Gruft, fern von Ih­rer Fa­mi­lie, die Sie sucht und Sie be­weint, fern von Ihres Glei­chen, die Ihr Herz so glü­hend liebt, fern end­lich auch von mir, nach der Sie rie­fen, die Sie, wie Sie sa­gen, lie­ben, die den­noch nicht ohne Wun­der des Wil­lens und der gött­li­chen Ob­hut bis zu Ih­nen drin­gen konn­te!

      – Sie fra­gen nach dem Ge­heim­nis mei­nes Le­bens, nach dem Wor­te, wel­ches das Rät­sel mei­nes Ge­schickes löst, ach! und Sie wis­sen es bes­ser als ich selbst, Con­sue­lo! Von Ih­nen er­war­te ich den Auf­schluss über mein We­sen, und Sie fra­gen mich!

      O! ich ver­ste­he Sie, Sie wol­len mich zu ei­ner Beich­te füh­ren, zu ei­ner in­nern Buße, zu ei­nem sieg­haf­ten Ent­schluss. Ich wer­de ge­hor­chen. Aber nicht gleich in die­sem Au­gen­blick bin ich im­stan­de, mich so selbst zu er­ken­nen, mich zu rich­ten, mich zu er­neu­en.

      Ge­ben Sie mir ei­ni­ge Tage, ei­ni­ge Stun­den min­des­tens, da­mit ich Ih­nen, da­mit ich mir selbst sa­gen kön­ne, ob ich toll oder ob ich im Ge­nus­se mei­ner Ver­nunft bin. Weh, weh! es ist ei­nes so wahr wie das an­de­re, und das ist mein Un­glück, dass ich nicht dar­an zwei­feln kann. Aber wis­sen, ob ich ganz mein Selbst­be­wusst­sein und mei­nen Wil­len ver­lie­ren muss, oder noch den Dä­mon, wel­cher mich be­sitzt, zu über­wäl­ti­gen ver­mag, das kann ich nicht in die­sem Au­gen­bli­cke.

      Ha­ben Sie Mit­leid mit mir, Con­sue­lo! ich bin noch un­ter dem Ein­fluss ei­ner in­nern Er­schüt­te­rung, wel­che mäch­ti­ger ist als ich. Ich weiß nicht, seit wie lan­ger Zeit Sie hier sind; ich weiß nicht wie Sie her­ge­lan­gen konn­ten ohne Zden­ko, der Sie nicht hat zu mir füh­ren wol­len; ich weiß nicht, in wel­cher Welt mei­ne Ge­dan­ken schweif­ten, als Sie mir er­schie­nen.

      O Gott! ich weiß nicht, seit wie vie­len Äo­nen ich hier ein­ge­schlos­sen bin, un­ter un­er­hör­ten Schmer­zen rin­gend mit ei­ner Pest, die mich ver­zehrt. Die­se Schmer­zen, ich kann mich nicht ein­mal er­in­nern, wann sie mich ver­lie­ßen; jetzt emp­fin­de ich nichts als eine gräss­li­che Er­mat­tung, eine Be­täu­bung, eine Art Ban­gig­keit, die ich gern ver­ban­nen möch­te …

      Con­sue­lo, las­sen Sie mich mein ver­ges­sen, wenn auch nur auf ei­ni­ge Au­gen­bli­cke! Mei­ne Ge­dan­ken wer­den sich klä­ren, mei­ne Zun­ge wird sich lö­sen. Ich ver­spre­che es Ih­nen, ich schwö­re es Ih­nen. Füh­ren Sie mich scho­nend in die hel­le Wirk­lich­keit zu­rück, die mir lan­ge in schreck­li­chem Dun­kel ver­hüllt lag, und de­ren Glanz mei­ne Au­gen noch nicht er­tra­gen kön­nen.

      Sie hie­ßen mich mein ge­sam­tes Le­ben in mei­nem In­nern sam­meln. Ja, das war es, das sag­ten Sie, ach, mei­ne Ver­nunft und mein Ge­dächt­nis rei­chen nur bis zu dem Au­gen­bli­cke zu­rück, wo Sie zu spre­chen an­fin­gen. Wohl denn! mit die­sem Wort ist En­gels­frie­den in mei­ne Brust her­nie­der­ge­stie­gen. Mein Herz ist ganz voll Le­ben, ob­wohl mein Geist noch schläft.

      Ich scheue mich von mir zu re­den; ich möch­te mich ver­ir­ren und Sie wie­der durch mei­ne Traum­ge­bil­de ängs­ti­gen. Ich will nur im Ge­füh­le le­ben: es ist das ein mir frem­des Le­ben; es müss­te ein Won­ne­le­ben sein, wenn ich mich ihm über­las­sen dürf­te, ohne Ih­nen zu miss­fal­len.

      Ach! Con­sue­lo, warum hie­ßen Sie mich mei­ne gan­ze Le­bens­kraft in mei­nem In­nern sam­meln? Er­klä­ren Sie mir sich selbst, las­sen Sie mich nur mit Ih­nen mich be­schäf­ti­gen, nichts se­hen, nichts be­grei­fen – als Sie … kurz, lie­ben.

      Mein Gott, mein Gott! Ich lie­be, lie­be ein le­ben­di­ges Ge­schöpf, ein mir ähn­li­ches We­sen! lie­be es mit al­ler Macht mei­nes Seins! Ich kann auf sein Haupt die gan­ze Glut, die gan­ze Hei­lig­keit mei­ner In­brunst häu­fen! O, das ist Glück ge­nug für mich, und ich bin nicht so toll, mehr zu be­geh­ren.

      – Wohl, lie­ber Al­bert! las­sen Sie Ihre arme See­le ru­hen in die­sem Ge­füh­le ei­ner ru­hi­gen, brü­der­li­chen Zärt­lich­keit. Gott ist mein Zeu­ge, dass Sie es dür­fen ohne Furcht und ohne Ge­fahr, denn ich emp­fin­de für Sie eine In­nig­keit der Freund­schaft, eine Ver­eh­rung, wel­che die leicht­fer­ti­gen, ei­te­len Ur­tei­le des ge­mei­nen Hau­fens nie er­schüt­tern wer­den. Sie ha­ben durch eine Art gött­li­chen, wun­der­ba­ren Schau­ens er­kannt, dass mein Le­ben vom Schmer­ze ge­bro­chen ist, Sie ha­ben es ge­sagt und die höchs­te Wahr­heit selbst hat die­ses Wort in Ihren Mund ge­legt.

      Ich kann Sie nicht an­ders als wie einen Bru­der lie­ben, aber sa­gen Sie nicht, dass mich nur Nächs­ten­lie­be und Mit­leid trei­ben. Wenn Men­sch­lich­keit und Mit­ge­fühl mir den Mut ge­ge­ben ha­ben, hier­her zu kom­men, so gibt mir eine See­len­ver­wandt­schaft, eine ei­gen­tüm­li­che Ach­tung vor Ihren Tu­gen­den auch den Mut und das Recht, zu Ih­nen so zu re­den wie ich tue.

      Las­sen Sie denn von nun an und auf im­mer von der Täu­schung ab, in wel­cher Sie sich über Ihr ei­ge­nes Ge­fühl be­fin­den. Spre­chen Sie nicht von Lie­be, nicht von Ehe. Mei­ne Ver­gan­gen­heit, mei­ne Erin­ne­run­gen ma­chen die ers­te­re un­mög­lich; der Un­ter­schied un­se­res Stan­des wür­de die an­de­re für mich de­mü­ti­gend und un­an­nehm­bar ma­chen. Da­durch, dass Sie auf sol­che Träu­me zu­rück­kom­men, könn­ten Sie leicht mei­ne Auf­op­fe­rung für Sie zu ei­ner Frech­heit, ja­wohl zu ei­nem Fre­vel stem­peln.

      Las­sen Sie uns durch ein hei­li­ges Ver­spre­chen die Pf­licht be­sie­geln, die ich über­nahm, Ihre Schwes­ter, Ihre Freun­din, Ihre Trös­te­rin zu sein, so oft Sie sich ge­neigt fin­den wer­den, mir Ihr Herz zu öff­nen, Ihre Kran­ken­hü­te­rin, wenn Sie das Lei­den düs­ter und schweig­sam macht. Schwö­ren Sie mir, dass Sie nichts an­de­res in mir se­hen, und dass Sie mich nicht an­ders lie­ben wol­len.

      – Hoch­her­zi­ges Weib! sprach Al­bert und er­bleich­te, du rech­nest sehr auf mei­nen Mut und du kennst sehr mei­ne Lie­be, dass du mir ein sol­ches Ver­spre­chen ab­for­derst. Ich wür­de fä­hig sein, zum ers­ten Male in mei­nem Le­ben zu lü­gen, ich könn­te mich so weit er­nied­ri­gen, ein falsches Ge­lüb­de ab­zu­le­gen, wenn du es for­der­test. Aber du wirst es nicht for­dern, Con­sue­lo! Du wirst ein­se­hen, dass dies eine neue Er­schüt­te­rung in mein Le­ben und in mein Ge­wis­sen einen Vor­wurf, wel­cher es noch nie be­fleckt hat, pflan­zen hie­ße.

      Be­küm­me­re dich nicht dar­um, wie ich dich lie­be; weiß ich es doch vor al­len Din­gen sel­ber nicht; nur die­ses fühl’ ich, dass es Läs­te­rung wäre, dem Zuge mei­nes Her­zens zu dir hin den Na­men Lie­be nicht zu ge­ben.

      Al­lem Üb­ri­gen un­ter­wer­fe ich mich: dein Mit­leid, dei­ne


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