Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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ver­las­sen wirst, wenn ich wie­der hier­her gehe, dass du mich auch dann wie­der auf­su­chen wirst, und wäre es, um mich mit Vor­wür­fen zu be­la­den, um mich einen Un­dank­ba­ren, einen Va­ter­mör­der zu hei­ßen, und um mir zu sa­gen, dass ich dei­ne Teil­nah­me und Für­sor­ge nicht ver­dien­te. O, lass mich nicht mehr mir selbst zum Rau­be! Du siehst wohl, dass du alle Macht über mich hast, und dass ein Wort aus dei­nem Mun­de mich über­zeugt und mir heil­sa­me­re Arz­nei ist als Jahr­hun­der­te der Selbst­be­trach­tung und des Ge­be­tes.

      – Sie sol­len mir viel­mehr schwö­ren, sag­te Con­sue­lo, bei­de Hän­de, dreis­ter ge­macht durch den dich­ten Man­tel, auf sei­ne Ach­seln le­gend, und ihm mit gan­zer See­le zu­lä­chelnd, dass Sie nie ohne mich hier­her zu­rück­keh­ren wol­len!

      – Du willst also mit mir wie­der her­kom­men? rief er aus, sie mit trun­ke­nem Auge an­se­hend, aber ohne dass er sie mit sei­nen Ar­men zu um­fas­sen wag­te: schwö­re es mir, und ich ge­lo­be dir, nie das Dach mei­nes Va­ters zu ver­las­sen ohne dei­nen Be­fehl oder dei­ne Er­laub­nis.

      – Wohl­an, möge Gott die­ses ge­gen­sei­ti­ge Ver­spre­chen hö­ren und an­neh­men, ant­wor­te­te Con­sue­lo vol­ler Freu­de. Wir wol­len wie­der­keh­ren, Al­bert! um in Ih­rer Kir­che zu be­ten, und Sie sol­len mich be­ten leh­ren; denn noch hat nie­mand es mich ge­lehrt, und ich habe Gott zu ken­nen eine bren­nen­de Sehn­sucht. Sie wer­den mir den Him­mel auf­schlie­ßen, mein Freund! und ich, ich wer­de Sie, wenn es nö­tig ist, an die ir­di­schen Din­ge und die Pf­lich­ten des mensch­li­chen Le­bens er­in­nern.

      – Himm­li­sche Schwes­ter! sag­te Al­bert, die Au­gen in Won­ne­trä­nen ge­ba­det, geh, ich habe nichts dir zu leh­ren; du, du sollst mich beich­ten, mich er­for­schen, mich er­neu­en! Du sollst mich al­les leh­ren, auch selbst be­ten. Ach! ich brau­che nun nicht mehr al­lein zu sein, um mei­ne See­le zu Gott zu er­he­ben; ich brau­che mich nicht mehr auf die Ge­bei­ne mei­ner Vä­ter nie­der­zu­wer­fen, um die Uns­terb­lich­keit zu fas­sen und zu füh­len. Es ist mir nun ge­nug, dich an­zu­se­hen, dass mei­ne See­le be­schwingt zum Him­mel stei­ge wie ein Dan­k­lied und ein Rei­ni­gungs­op­fer.

      Con­sue­lo zog ihn mit sich fort; selbst öff­ne­te sie die Tür und schloss sie wie­der. Hier, Ajax! rief Al­bert sei­nem treu­en Ge­fähr­ten zu und reich­te ihm eine La­ter­ne von bes­se­rer Kon­struk­ti­on als jene, die Con­sue­lo mit­ge­nom­men hat­te, und bes­ser auf die­se Art Wan­de­rung be­rech­net, der sie die­nen soll­te. Das klu­ge Tier fass­te mit stolz zu­frie­de­ner Mie­ne den Griff der Leuch­te, und lief gleich­mä­ßi­gen Trit­tes vor­aus, je­des Mal still ste­hend, wenn sein Herr still stand, nach des­sen Gang den sei­ni­gen be­ei­lend oder hem­mend und stets die Mit­te des We­ges hal­tend, um nicht durch einen Stoß ge­gen Fel­sen oder Busch­werk das ihm an­ver­trau­te Klein­od zu be­schä­di­gen.

      Con­sue­lo schlepp­te sich nur müh­sam fort, sie fühl­te sich zer­bro­chen und ohne Al­ber­t’s Hil­fe, der sie führ­te und je­den Au­gen­blick un­ter­stütz­te, wür­de sie wohl zehn­mal nie­der­ge­fal­len sein. Sie gin­gen mit­ein­an­der strom­ab­wärts, an dem an­ge­neh­men, fri­schen Ufer hin.

      – Zden­ko, sag­te Al­bert, be­dient mit lieb­rei­cher Sorg­falt die Na­ja­de die­ser ver­bor­ge­nen Grot­ten. Er eb­net ihr das oft mit Kies und Mu­scheln über­füll­te Bett. Er pflegt die blas­sen Blu­men, wel­che un­ter ih­rem Fuß­tritt wach­sen, und be­schützt sie vor ih­ren et­was un­ge­stü­men Umar­mun­gen.

      Con­sue­lo blick­te durch den Schat­ten des Ge­steins nach dem Him­mel hin­auf. Sie sah einen Stern blit­zen.

      – Es ist Al­de­ba­ran, der Stern der Zin­ga­ri, sag­te Al­bert. Es wird erst in ei­ner Stun­de Tag.

      – Es ist mein Stern, ant­wor­te­te Con­sue­lo; denn ich bin, zwar nicht von Ab­kunft, aber mei­nem Stan­de nach eine Art Zin­ga­ra, lie­ber Graf Mei­ne Mut­ter wur­de in Ve­ne­dig nicht an­ders ge­nannt, wie­wohl sie sich ge­gen die­sen, nach ih­rem spa­ni­schen Vor­ur­tei­le, be­lei­di­gen­den Na­men auf­lehn­te. Und auch ich war dort und bin dort noch un­ter dem Na­men der Zin­ga­rel­la be­kannt.

      – Wa­rum bist du nicht wirk­lich ein Kind die­ses ver­folg­ten Stam­mes! ent­geg­ne­te Al­bert: ich wür­de dich dar­um nur noch mehr, wenn das mög­lich wäre, lie­ben.

      Con­sue­lo, wel­che wohl dar­an zu tun ge­dacht hat­te, wenn sie dem Gra­fen den Un­ter­schied ih­res bei­der­sei­ti­gen Ur­sprungs und Stan­des recht nahe leg­te, er­in­ner­te sich nun des­sen, was ihr Ama­lie von Al­ber­t’s Vor­lie­be für die Ar­men und Un­stä­ten er­zählt hat­te. Sie fürch­te­te, sich un­will­kür­lich ei­ner ge­hei­men Re­gung von Ko­ket­te­rie über­las­sen zu ha­ben und schwieg.

      Aber Al­bert un­ter­brach das Schwei­gen nach ei­ni­gen Au­gen­bli­cken.

      – Was Sie mir da sag­ten, hob er an, hat in mir, ich weiß nicht durch wel­che Ge­dan­ken­ver­bin­dung, eine Erin­ne­rung mei­ner Ju­gend ge­weckt, die kin­disch ge­nug ist, die ich Ih­nen aber doch er­zäh­len muss, weil sie mir, seit­dem ich Sie ge­se­hen habe, schon mehr­mals mit ei­ner Art Hart­nä­ckig­keit wie­der­ge­kehrt ist. Stüt­zen Sie sich fes­ter auf mich, wäh­rend ich Ih­nen er­zäh­le, lie­be Schwes­ter!

      Ich war un­ge­fähr fünf­zehn Jah­re alt, als ich ei­nes Abends al­lein auf ei­nem der Fuß­stei­ge, wel­che sich am Schre­cken­stein hin über das Gehü­gel nach dem Schlos­se schlän­geln, heim­wärts ging. Da sah ich vor mir eine große, ma­ge­re und zer­lump­te Frau, wel­che eine Last auf dem Rücken trug und bei je­dem Stei­ne an­hielt, um sich nie­der­zu­set­zen und aus­zu­ru­hen. Ich ge­sell­te mich zu ihr. Sie war schön, ob­gleich von der Son­ne ver­brannt und von Sor­gen und Elend ab­ge­zehrt. Un­ter ih­ren Lum­pen her­vor leuch­te­te eine Art schmerz­li­chen Stol­zes, und als sie mir die Hand hin­hielt, schi­en sie mein Mit­leid mehr zu for­dern als zu er­bit­ten. Ich hat­te nichts mehr in mei­ner Bör­se, und ich bat sie, mit mir nach dem Schlos­se zu kom­men, wo ich ihr Bei­stand, Spei­se und Nacht­la­ger schaf­fen könn­te.

      – Das ist mir noch lie­ber, ant­wor­te­te sie mit frem­dem Ak­zent, den ich für zi­geu­ne­risch hielt, denn ich ver­stand da­mals noch nicht die Spra­chen, wel­che ich seit­dem auf mei­nen Rei­sen ge­lernt habe; und sie setz­te hin­zu: Ich kann Ih­nen die gast­li­che Auf­nah­me, die Sie mir spen­den, mit Volks­lie­dern aus man­chen Län­dern, die ich durch­wan­der­te, be­zah­len. Ich bit­te sel­ten um Al­mo­sen, nur wenn mich die äu­ßers­te Not dazu zwingt.

      – Arme Frau! sag­te ich, ihr tragt eine sehr schwe­re Last, eure ar­men, fast nack­ten Füße sind wund. Gebt mir die­ses Pack, ich will es bis nach Hau­se tra­gen, so wer­det ihr be­que­mer ge­hen.

      – Die­se Last, ant­wor­te­te sie mit ei­nem schwer­mü­ti­gen Lä­cheln, wel­ches sie noch schö­ner mach­te, wird von Tage zu Tage schwe­rer, aber es ist mir nicht leid. Ich tra­ge sie schon man­ches Jahr und habe mit ihr Hun­der­te von Mei­len ge­macht, ohne mich die Mühe reu­en zu las­sen. Ich ver­traue sie kei­nem Men­schen an, aber Sie ha­ben so eine gute Mie­ne, lie­bes Kind, dass ich sie Ih­nen schon bis da­hin ge­ben will.

      Bei die­sen Wor­ten nes­tel­te sie den Man­tel auf, der sie ganz ein­hüll­te und nur den Hals ih­rer Gui­tar­re her­vor­se­hen ließ. Ich ge­wahr­te nun ein Kind von fünf oder sechs Jah­ren, bleich und ver­brannt wie die Mut­ter, aber von so stil­ler, sanf­ter Mie­ne, dass es mir das Herz rühr­te. Es war ein klei­nes, ganz zer­lump­tes


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