Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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mit uns seh­net und ängs­ti­get im­mer­dar« (Röm. 8, 22). Die so ver­schlech­ter­te, ver­kehr­te Na­tur muss­te na­tür­lich dem wie­der­ge­bo­re­nen Men­schen, d. h. dem, wel­cher von der ur­sprüng­li­chen Herr­lich­keit wuss­te und sich nach ihr zu­rück­sehn­te, has­sens­wert er­schei­nen. Er muss­te be­geh­ren, ih­rer los zu wer­den, wie denn auch Pau­lus sagt: »ich habe Lust ab­zu­schei­den und bei Chris­tus zu sein« (Phil­ipp. 1, 23).

      Aus die­ser Sehn­sucht ent­sprang dann die Nei­gung, das Fleisch, wie man es nann­te, ab­zutö­ten durch al­ler­lei Ent­beh­rung und Kas­tei­ung. Man zog sich aus der Ge­sell­schaft der Men­schen in die Ein­öde, aus dem Ge­nuss der ir­di­schen Gü­ter in die Ent­halt­sam­keit, aus der Welt des wirk­li­chen Le­bens, die man als das Ei­gen­tum des Sa­tan an­sah, in die Welt der Be­schau­ung Got­tes und sei­ner himm­li­schen Herr­lich­keit zu­rück. Im­mer schreck­li­cher ge­stal­te­te sich vor der er­hitz­ten Ein­bil­dungs­kraft des durch Asce­tik aus­ge­mer­gel­ten und in den Schau­ern der Ein­öde ge­äns­tig­ten Bü­ßers das Bild des höl­li­schen Fürs­ten.

      Der herrsch­süch­ti­gen Geist­lich­keit war so­dann die Angst der ein­ge­schüch­ter­ten Gläu­bi­gen vor den Schre­cken des ewi­gen Feu­ers ein zu be­que­mes Mit­tel, al­les in dump­fem Ge­hor­sam und zag­haf­ter Ab­hän­gig­keit zu er­hal­ten, da der Pries­ter sich die Macht bei­leg­te das Un­heil zu be­schwö­ren, um nicht die­se Angst im­mer mehr zu näh­ren und zu stei­gern.

      Und als end­lich die Men­schen all­mäh­lich vor ih­rer ei­ge­nen Knecht­schaft zu schau­dern und ihre Ver­nunft wie­der zu ge­brau­chen an­fin­gen, als sie die An­ma­ßung der Pries­ter durch­schau­ten und die Ket­ten zer­rei­ßen woll­ten, als sie auf das Urchris­ten­tum sich be­ru­fend, die einen Frei­heit des Geis­tes, die an­de­ren Gleich­heit al­ler Men­schen und Man­che bei­des zu ih­rer Lo­sung mach­ten, da ver­war­fen sie auch die Furcht vor der Höl­le und die Vor­stel­lung vom Wi­der­sa­cher Got­tes.

      Ja, da sie selbst in Auf­leh­nung ge­gen das Be­ste­hen­de wa­ren, so lag nichts ih­rem Geis­te nä­her, als den Geist der Auf­leh­nung selbst für nichts Bö­ses, son­dern für et­was Gu­tes und von Gott Ge­woll­tes, für das Fer­ment der Welt­ge­schich­te, den Teu­fel für den Geist des Fort­schrit­tes, der Selbs­t­er­kennt­nis, der Be­frei­ung zu hal­ten.

      Die­se Sek­ten sind ver­schol­len und die Welt ist von dem Teu­fel noch nicht los­ge­kom­men; so we­nig, dass in die­sen un­sern Ta­gen ein neu­er Gno­s­ti­ker in un­se­rer ei­ge­nen Mit­te wie­der auf­ge­tre­ten ist und mit Gunst der Mäch­ti­gen die­ser Welt und mit Bei­fall Vie­ler, die sich wei­se hei­ßen las­sen, un­ter großem Zu­lauf von Hör­be­gie­ri­gen sein gno­s­ti­sches Sys­tem öf­fent­lich vor­trug in ei­ner Stadt, die gern für den Mit­tel­punkt der In­tel­li­genz gel­ten möch­te.

      Nach sei­ner fan­tas­ti­schen Auf­fas­sung ist aber der Mensch selbst, d. h. der Ur­mensch, der Ty­pus des Men­schen, der noch vor der Wel­ter­schaf­fung in glei­cher Mit­te zwi­schen den gött­li­chen We­sen­hei­ten oder Po­ten­zen schweb­te, die Ur­sa­che nicht nur des ei­ge­nen Fal­les son­dern auch des Um­stur­zes und der Ver­keh­rung al­les Da­seins, so­dass durch den Fall des Ur­men­schen, näm­lich durch des­sen Über­mut und Ver­lan­gen, selbst Schöp­fer und Herr al­ler Mög­lich­kei­ten zu sein, erst die­se Welt in ih­rer Man­gel­haf­tig­keit ent­stan­den ist.

      Die­se Welt kam näm­lich da­durch zu Stan­de, dass der Mensch durch sein Los­rei­ßen aus dem Zen­trum, worin er schweb­te, die ers­te Mög­lich­keit wel­che Gott sich selbst vor Au­gen ge­hal­ten hat­te, die blo­ße Ma­te­rie, das Un­bän­di­ge, was über­wäl­tigt wer­den soll­te und wirk­lich schon von Gott in der vor­welt­li­chen Zeit über­wäl­tigt war, wie­der her­auf hob und mäch­tig mach­te. Durch die­se un­ge­heu­re Tat des Ur­men­schen ist die­se Ma­te­rie, die eine blo­ße Un­ter­la­ge und das Über­wun­de­ne und Ge­bän­dig­te sein soll­te, nicht nur frei son­dern erst zum Ge­gen­gött­li­chen, also zum Sa­tan ge­wor­den.

      Dass die­se Fa­be­lei, wel­che bei al­lem Vor­ge­ben des Herrn von Schel­ling, als ob sei­ne Leh­re mit der Schrift­leh­re über­ein­stim­me und de­ren Er­klä­rung und wah­res Ver­ständ­nis ent­hal­te, den­noch die Bi­bel wirk­lich nur ver­dreht und ver­un­klärt, so großen Ap­plaus bei Dor­to­ren der Got­tes­ge­lahrt­heit fin­den konn­te, das ist in der Tat sehr merk­wür­dig und ein großes Zei­chen von der un­ter uns weit ver­brei­te­ten Ge­dan­ken­arm­se­lig­keit.

      Aber ge­nug hie­von! Sie se­hen we­nigs­tens, wie der Sa­tan noch im­mer spukt; Sie se­hen, dass man ihn mit der Ver­si­chernng, er müss­te doch eine ganz mons­trö­se Schöp­fung Got­tes sein, nicht be­schwö­ren kann, denn im Husch ist er statt ei­ner Schöp­fung Got­tes zu ei­nem Pro­dukt ur­mensch­li­cher Tat ge­wor­den. Sie se­hen, das es nichts hilft, wenn man das Böse im Men­schen selbst nicht be­greift, das­sel­be ei­nem We­sen au­ßer­halb der Mensch­heit auf­zu­bür­den. Die Un­be­greif­lich­keit bleibt im­mer die­sel­be.

      Das gan­ze Übel kommt da­her, dass man das Gute und Böse als fes­te Be­stim­mun­gen und wei­ter­hin als un­ter­schie­de­ne Mäch­te an­sieht, die ein für alle mal die eine schwarz, die an­de­re weiß sind. Es gibt we­der sol­ches Gute noch sol­ches Böse. Al­les ist gut oder böse nur nach sei­nen Be­zie­hun­gen un­ter ein­an­der und zu dem Men­schen­geis­te. Der Mensch kann al­les, was von au­ßen her an ihn kommt, als Gu­tes oder Schlim­mes an­se­hen, je nach­dem sein frei­er Geist es auf­fasst; nichts tut ihm wehe, wenn sein Geist es über­win­det und sich dar­über er­hebt. So ist das Übel kein Übel.

      Der Men­schen­geist hat Macht al­les zu wan­deln und zu dem zu ma­chen, was es sein soll: er er­kennt das Not­wen­di­ge und un­ter­wirft sich ihm wil­lig und wir­ket nach den er­kann­ten ewi­gen Ge­set­zen der Ver­nunft. Der Men­schen­geist ist aber eben­so­wohl die­ser er­ken­nen­de, wis­sen­de, die all­ge­mei­ne Men­schen­na­tur be­grei­fen­de, und ihr ge­mäß zu han­deln an­ge­wie­se­ne Geist, als er der Geist des ein­zel­nen, be­schränk­ten, sich selbst al­lein an­ge­hö­ri­gen We­sens ist.

      Bil­det sich der Geist nicht der all­ge­mei­nen Na­tur nach aus und gibt sich in den Dienst des all­ge­mei­nen Wir­kens hin, son­dern bleibt er in sei­nem ab­ge­son­der­ten, nur auf sein ei­gens­tes Ge­lüs­ten, zu­fäl­li­ges Wün­schen und Wol­len ge­rich­te­ten We­sen han­gen, so ist der Mensch böse, denn er er­füllt den Zweck sei­nes Da­seins nicht, und un­se­lig, denn er er­reicht nicht das Maß sei­ner ei­ge­nen Na­tur, be­frie­digt sein ei­ge­nes We­sen nicht. Der Geist, der ihn zum Bö­sen ver­sucht, ist nur sein ei­ge­nes, ver­ein­zel­tes, vom All­ge­mei­nen ab­ge­kehr­tes We­sen; der Geist, der ihn zum Gu­ten lei­tet, ist der Drang des in­nern Be­wusst­seins, dass er nicht sich, son­dern der Mensch­heit an­ge­hö­re, und dass er das Hei­li­ge, d. i. »das, was alle zu­sam­men­bin­det«, edel und rein in sich dar­stel­len müs­se.

      Das Böse braucht nicht an­ders be­grif­fen zu wer­den, als dass es die Ver­keh­rung, der Miss­ver­stand und Miss­brauch der Frei­heit ist. Denn die wah­re Frei­heit be­steht dar­in, dass man sich mit Über­zeu­gung und mit Lust nicht zu dem, was man zu­fäl­lig und zum Bes­ten der ver­ein­zel­ten Be­gier­den und sei­nes ver­ein­zel­ten Da­seins will, son­dern zu dem, was wahr­haft, not­wen­dig und all­ge­mein ist, ent­schlie­ße. Sa­tan ist also nichts als des Men­schen Selbst­sucht.

      1 Jos­quin des Prés (Jo­do­cus Pra­ten­sis, ob­gleich er ge­wiss


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