Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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ge­putzt und stramm auf­ge­stellt wor­den.

      Jetzt klap­per­te es auf den Stei­nen. Ida Wulf kam die Stra­ße her­ab. – Un­ter Ro­sas Fens­ter blieb sie ste­hen, blick­te hin­auf und lach­te, ihre wei­ßen Zäh­ne zei­gend. »Gu­ten Mor­gen, Fräu­lein Rosa.«

      »Gu­ten Mor­gen, Ida.«

      »Sind Sie krank ge­we­sen, Fräu­lein Rosa?«

      »Ja.«

      »Sind Sie wie­der ge­sund?«

      »Ja.«

      »Wer­den Sie wie­der spa­zie­ren­ge­hen?«

      »Ja. Wa­rum nicht.«

      Rosa er­rö­te­te bei die­ser Ant­wort.

      »So.«

      Ida klopf­te mit der Fuß­spit­ze auf die Stei­ne, zog ihr Ge­sicht kraus und schau­te die Stra­ße hin­ab.

      »Wie geht es dir, Ida?« frag­te Rosa hin­un­ter.

      »Gut«, mein­te Ida und zuck­te die Ach­seln; dann sag­te sie lei­ser: »Dass Fräu­lein Sal­ly hei­ra­ten will – wis­sen Sie?«

      »Nein. Wen denn?«

      »Den Herrn Tod­dels – von Pal­tow, wis­sen Sie?«

      »Den!«

      Rosa lä­chel­te.

      »La­chen Sie nicht, Fräu­lein Rosa; es ist wahr«, be­teu­er­te Ida. »Sie sind schon ges­tern Arm in Arm spa­zie­ren­ge­gan­gen.«

      Als Rosa schwieg, füg­te Ida mit ver­stän­di­gem Kopf­ni­cken hin­zu: »Wa­rum auch nicht? Recht hat sie.«

      »Ge­wiss!« er­wi­der­te Rosa has­tig.

      »Und von dem jun­gen Herrn ha­ben Sie kei­nen Brief?« frag­te Ida plötz­lich.

      »Nein. Weißt du et­was?«

      »Ich weiß gar nichts«, ant­wor­te­te Ida, sich zum Wei­ter­ge­hen an­schi­ckend, »ich glaub­te nur, er hat Ih­nen einen Brief ge­schrie­ben. Gu­ten Mor­gen, Fräu­lein Rosa. Der Pe­ter hat mich zum Brücken­krug hin­ab­be­stellt.«

      »Wozu denn?«

      Ida zuck­te die Ach­sel. »Wie­der sei­ne Dumm­heit«, da­mit ging sie – klapp, klapp – wei­ter, den dür­ren Kör­per nach­läs­sig hin und her wer­fend.

      Mit ge­röte­ten Wan­gen und auf­ge­regt glän­zen­den Au­gen blieb Rosa im Fens­ter lie­gen. Plötz­lich trat ihr frü­he­res Le­ben wie­der an sie her­an, als wäre es nie ge­stört wor­den. Sal­ly und Tod­dels, Ida und Pe­ter, die am Brücken­kopf noch im­mer ihr ver­steck­tes We­sen trie­ben, end­lich Am­bro­si­us. Es war ihr, als müss­te er jetzt dort un­ten vor­über­schlen­dern. Ge­wiss. Ida hat­te recht, er konn­te ihr schrei­ben, nichts wäre na­tür­li­cher. Sie be­griff nicht, wie sie hat­te al­les auf­ge­ben kön­nen. Sie hol­te wie­der ihre Lie­be zu Am­bro­si­us her­vor. Kam es nicht täg­lich vor, dass ein jun­ger Mensch ei­nem Mäd­chen treu blieb und es ge­gen den Wil­len der El­tern hei­ra­te­te? Kaum be­gann die See­le des Mäd­chens zu ge­ne­sen, als sich auch die frü­he­ren Mäd­chen­träu­me wie­der ein­stell­ten, die vor dem wah­ren Schmerz zer­sto­ben wa­ren.

      Von jetzt ab er­war­te­te Rosa Am­bro­si­us’ Brief, er­war­te­te ihn mit je­nem un­ver­dros­se­nen, nie ras­ten­den Ei­fer, der das Ohr für den ge­rings­ten Laut schärft. Dazu ge­sell­te sich noch der gan­ze wun­der­li­che Aber­glau­be der Hoff­nung. Um die Zeit, da der Brief­trä­ger die Brie­fe aus­zu­tra­gen pfleg­te, stand Rosa am Fens­ter auf der Lau­er und ver­such­te aus al­ler­hand mys­ti­schen Zei­chen zu ent­neh­men, ob sich der er­sehn­te Brief in der schwar­zen Ta­sche be­fand oder nicht. »Geht der Brief­trä­ger«, sag­te sie sich, »auf die an­de­re Sei­te der Stra­ße hin­über oder – muss er an je­ner Türe zwei­mal schel­len, dann ist der Brief da.« Zu­wei­len ging der Brief­trä­ger auf die an­de­re Sei­te der Stra­ße hin­über oder schell­te zwei­mal an der be­tref­fen­den Türe, aber der Brief kam doch nicht.

      Die­se neue Be­schäf­ti­gung mach­te Rosa un­ru­hig, und am Nach­mit­tage, als die Däm­me­rung ihr be­hag­li­ches Licht über die Stra­ßen brei­te­te, wäh­rend ein glanz­lo­ser wei­ßer Mond am Him­mel hing – da hielt sie es nicht län­ger im Zim­mer aus. Sie leg­te ih­ren ver­tra­ge­nen Win­ter­man­tel an, drück­te sich den rup­pi­gen Filz­hut tief in die Stirn und ging hin­aus.

      Es tat wohl, wie­der in frei­er Luft auf der Stra­ße zu ste­hen, den Wind sich in die Haa­re fah­ren zu las­sen und mit den Ab­sät­zen auf die Stei­ne zu trom­meln. Rosa emp­fand wie­der et­was von der un­ge­bun­de­nen Aus­ge­las­sen­heit, die sonst in sol­chen Däm­mer­stun­den die Schank­schen Schü­le­rin­nen zu je­dem dum­men Streich auf­ge­legt ge­macht hat­te. Mit klei­nen Schrit­ten ging sie die Stra­ße hin­ab – sie woll­te zum Fluss hin­un­ter­ge­hen; spä­ter, wenn es fins­ter ge­wor­den war, hat­te sie einen Gang durch die Stadt vor; bei Lan­ins – Klappe­kahls – an der Schu­le – beim Tröd­ler vor­über, al­les woll­te sie heu­te wie­der­se­hen.

      Am Ende der Stra­ße stan­den der Se­kre­tär Fei­er­gro­schen und der Apo­the­ker im eif­ri­gen Ge­spräch bei­ein­an­der. Klappe­kahl er­zähl­te et­was, sein Ge­sicht dem Se­kre­tär fast in den Sam­met­kra­gen des Über­rockes ste­ckend; der schö­ne Se­kre­tär, nach­läs­sig an einen La­ter­nen­pfahl ge­lehnt, hör­te zu und sand­te nur ab und zu ein Wört­chen un­ter dem gol­de­nen Bart her­vor.

      »Eine wi­der­wär­ti­ge Af­fä­re!« mein­te Klappe­kahl. »Ich brau­che mich ei­gent­lich nicht hin­ein­zu­mi­schen. Was geht mich die gan­ze Ge­schich­te an? Was?« Und er stemm­te sei­nen Mit­tel­fin­ger ge­gen die Brust und blick­te den Se­kre­tär scharf an. Die­ser je­doch zuck­te nur die Ach­seln und schlug mit dem Spa­zier­stock auf das Pflas­ter. »Na­tür­lich«, fuhr der Apo­the­ker fort, als hät­te er die ge­wünsch­te Ant­wort er­hal­ten. »Das sage ich eben, mich geht die gan­ze Ge­schich­te nicht – so viel – an. – – Aber, aber! – Ich muss mich da hin­ein­mi­schen. Ver­ste­hen Sie? Ich muss!« Er hielt inne, um die­ses »muss« Herrn von Fei­er­gro­schen mit al­len fünf Fin­gern vor die Nase zu hal­ten. »Ers­tens – um Lan­ins wil­len, zwei­tens ken­ne ich den Kom­mer­zi­en­rat Tel­le­r­at, und er er­sucht mich um die­sen Dienst. End­lich tue ich’s für den al­ten Herz. Es wird ihm lieb sein, wenn ich die Af­fä­re lei­te. Ich muss also – nichts zu ma­chen.« Da­bei schlug er kräf­tig auf sei­ne Pa­le­tot­ta­schen.

      »Ja – o ja!« ver­setz­te der Se­kre­tär lang­sam, nahm sei­nen Spa­zier­stock un­ter den Arm, um bei­de Hän­de frei zu ha­ben, und zupf­te vor­sich­tig die Spit­zen sei­nes Ba­cken­bar­tes. »Das fin­de ich ganz na­tür­lich. Nur sehe ich nicht ein, warum Sie es ihr – per­sön­lich sa­gen wol­len. Sie könn­ten es kom­mo­der durch den Al­ten ma­chen.« Er lach­te, weil er sich freu­te, die­sen na­he­lie­gen­den Aus­weg ge­fun­den zu ha­ben. Klappe­kahl aber schüt­tel­te den Kopf.

      »Da sa­gen Sie mir nichts neu­es! Ich habe auch dar­an ge­dacht, es durch den Al­ten zu ma­chen – ich bin je­doch da­von zu­rück­ge­kom­men«, schloss er fei­er­lich und be­trach­te­te sei­ne Hand­flä­che.

      »So? – hm – warum denn?« mur­mel­te Fei­er­gro­schen.

      »Ja – se­hen Sie!« Der Apo­the­ker setz­te sei­ne Grün­de mit vie­lem Be­ha­gen aus­ein­an­der,


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