Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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nicht böse? Nein? Das ist brav. Ich tat mei­ne Pf­licht. Das also wäre ab­ge­macht. Hier ist’s ver­teu­felt kalt. Ich be­glei­te Sie nach Hau­se – selbst­ver­ständ­lich! Wie? Sie ge­hen nicht mit?«

      »Nein. Ich wür­de gern al­lein sein«, er­wi­der­te Rosa.

      »Was? Bei der Käl­te im Mond­schein schwär­men?« Klappe­kahl hat­te wie­der sein welt­män­ni­sches Ki­chern ge­fun­den. »Nun, ich dan­ke! Da bin ich nicht von der Par­tie. Gu­ten Abend, Ro­sett­chen. Sie sind mir nicht böse? Der alte Klappe­kahl bleibt im­mer Ihr treues­ter Be­wun­de­rer. Er­käl­ten Sie sich nicht.« Als er Rosa den Rücken wand­te und ei­lig der Stadt zu­schritt, stieß er mit großer Er­leich­te­rung sei­ne Hän­de auf den Grund sei­ner Ta­schen. Es war glück­lich vor­über! Vor sol­chen tra­gi­schen Au­gen konn­te ei­nem ja angst und ban­ge wer­den, und er dach­te dar­über nach, wie er Fei­er­gro­schen und Dr. Hol­te am wir­kungs­volls­ten die Sze­ne schil­dern könn­te.

      Rosa blieb am Flus­se ste­hen. Jetzt be­griff sie al­les; be­griff die gan­ze Schan­de, die über sie her­ein­brach. Dass sie vor ei­ner Stun­de so tö­richt hat­te sein kön­nen, zu hof­fen! Die heu­ti­ge Leh­re aber hat­te sie er­fasst. Ein küh­les, scho­nungs­lo­ses Ver­ste­hen war ihr ge­wor­den. Die Klein­heit und Häss­lich­keit al­les des­sen, wor­an sie ge­glaubt, lag klar vor ihr – und Ekel und Bit­ter­keit stie­gen in ihr auf und mach­ten sie ru­hig. Was half es! Es war doch nichts des An­schau­ens wert. Ge­ängs­tigt blick­te sie zum Him­mel auf, der weit und hoch in sei­ner durch­sich­ti­gen Klar­heit über ihr hing, und es war der Durst nach je­ner hel­len, rei­nen Stil­le, was sie emp­fand; sie hät­te sie trin­ken, sich in ihr ba­den mö­gen, um von dem Schmut­zi­gen, Schimpf­li­chen, Gars­ti­gen be­freit zu sein, das auf ihr wie ein Alp las­te­te.

      Ver­sun­ken in ihre trü­ben Ge­dan­ken, be­merk­te sie nicht, dass eine schma­le, dunkle Ge­stalt sich ihr lang­sam nä­her­te, vor ihr ste­hen­blieb, den Hut ab­nahm und lei­se »Gu­ten Abend« sag­te. – Con­rad Lurch war es. Fest in sei­nen grau­en Über­rock ein­ge­zwängt, den schä­bi­gen Hut im Na­cken, stand er da. Das lan­ge Ge­sicht nahm im Mond­licht ein kran­kes, grün­li­ches Aus­se­hen an. Die Au­gen wa­ren von tie­fen Schat­ten um­ge­ben, und die ge­röte­ten Au­gen­li­der zuck­ten wie bei jun­gen Vö­geln. Der arme Con­rad Lurch! So vom Mon­de be­schie­nen nahm er sich sehr dünn, sehr lei­dend und ein we­nig her­ab­ge­kom­men aus. Erst als er sei­nen Gruß wie­der­hol­te, zuck­te Rosa leicht zu­sam­men und sah ihn an. »Gu­ten Abend«, er­wi­der­te sie. »Ich gehe nach Hau­se«, füg­te sie has­tig hin­zu und woll­te fort.

      »Ach, ge­hen Sie nicht!« bat Lurch kläg­lich, »Tag um Tag habe ich dar­auf ge­war­tet, Sie spre­chen zu dür­fen, und nun wol­len Sie ge­hen.«

      Rosa blieb. Matt und ge­dul­dig lehn­te sie sich wie­der an das Ge­län­der. Schließ­lich war es ja gleich­gül­tig, ob sie ging oder blieb!

      »Ich sah Sie vor­hin mit Herrn Klappe­kahl ge­hen«, fuhr Lurch mit sei­ner ho­her, hei­se­ren Stim­me fort. »Da bin ich Ih­nen nach­ge­gan­gen, dort – an je­nem Bau­me war­te­te ich, bis Herr Klappe­kahl Sie ver­ließ, dann kam ich, um mit Ih­nen zu spre­chen. Fräu­lein Ro­sa…« Rosa hör­te nicht mehr, was er ihr sag­te, sie dach­te wie­der dar­an, wie ver­blen­det sie ge­we­sen war, das für schön und er­stre­bens­wert zu hal­ten, was ihr jetzt so wid­rig, so ge­mein er­schi­en. Lie­be nann­te man das! Mein Gott, war das eine häss­li­che, nied­ri­ge Sa­che! Nichts als Schan­de – un­end­li­che Öde. Es gab Men­schen, die in ih­rem Fall ster­ben konn­ten, sie hat­te da­von ge­hört. Un­will­kür­lich wand­te sie sich um und blick­te auf den Fluss hin­ab. Über das un­ru­hi­ge, tin­ten­schwar­ze Was­ser fuhr das Mond­licht in has­ti­gem Zick­zack hin; ein ste­tes Flie­ßen und Le­ben, eine Jagd von Schat­ten und blei­chem Licht. Frös­telnd fuhr Rosa zu­rück.

      »Und eben, Fräu­lein Rosa, weil ich Sie so sehr lie­be«, klang Lurchs ge­preß­te Stim­me in Ro­sas Ge­dan­ken hin­ein und mach­te sie auf­hor­chen. Was sprach er denn von Lie­be? Die fa­den­schei­ni­ge, trüb­se­li­ge Er­schei­nung war für Rosa jetzt wie das ver­kör­per­te Bild je­ner Lie­be, die sie mehr als al­les ver­ab­scheu­te.

      »Weil ich Sie so sehr lie­be, Fräu­lein Rosa, sag­te ich mir: jetzt viel­leicht kannst du ihr die­nen, jetzt viel­leicht nimmt sie dei­ne Lie­be an. Es ist ja nicht, dass ich glau­be, Sie könn­ten sich je in mich ver­lie­ben. Be­wah­re! Sie sol­len nur ge­stat­ten, dass ich Ih­nen die­ne. Ich glau­be nicht, Fräu­lein Rosa, dass je­mand Sie stär­ker lie­ben kann als ich. Ich glau­be das nicht. Sie wis­sen, Fräu­lein, seit ich Sie ken­ne, bin ich Ih­nen gut. Dort in Lan­ins La­den – und die Ko­rin­then – im­mer – im­mer.« Müh­sam re­de­te er fort und drück­te die Knö­chel sei­ner blau­ge­fro­re­nen Hän­de fest ge­gen­ein­an­der. »Aber seit­dem Sie er­laubt ha­ben, dass – dass ich Sie küs­se – dort bei Wulf – Sie wis­sen, Fräu­lein Rosa? – seit­dem hat es wie eine Krank­heit an mir ge­nagt. Tag und Nacht habe ich nur an Sie den­ken kön­nen. Ich weiß, Sie ta­ten es da­mals nicht für mich; mich aber hat es un­glück­lich ge­macht. Mei­ne Mut­ter fragt mich, wo­her die Lö­cher in mein Kopf­kis­sen kom­men. Ich habe es ihr nicht ge­sagt; aber bei der Nacht, wenn ich an Sie, Fräu­lein Rosa, den­ke, zer­rei­ße ich mit den Zäh­nen mein Kopf­kis­sen. Ich weiß nicht warum, aber ich muss das tun. Als ich nun hör­te, wie es Ih­nen er­gan­gen ist, da dach­te ich, viel­leicht jetzt. Ich kann ohne Sie nicht le­ben. Bei Gott! Fräu­lein Rosa, ich kann – – kann es nicht!« Sein Ge­sicht ver­zerr­te sich; er schi­en zu wei­nen.

      Starr vor Schre­cken blick­te Rosa ihn an. War es ein furcht­ba­rer Traum, der die­sen blei­chen Men­schen vor sie hin­stell­te, da­mit er ihr mit sei­ner halb­lau­ten, lei­den­schafts­hei­ßen Stim­me vor­hielt, was sie ge­tan? Und doch konn­te sie nicht fort. Wie ge­fes­selt stand sie da, die Arme über das Ge­län­der ge­legt, und hör­te zu. »Las­sen Sie mich!« stöhn­te sie.

      »Ich las­se Sie ja, Fräu­lein Rosa«, er­wi­der­te Lurch. »Ich hal­te Sie nicht. Es wäre aber nicht gut, Fräu­lein Rosa, mich so ste­hen­zu­las­sen. Ich glau­be nicht, dass das gut wäre. Den Wech­sel un­ter­schrieb ich da­mals, weil Sie es woll­ten, sonst hät­te ich es nicht ge­tan – aber, als Sie ka­men – – Sie er­in­nern sich des­sen, Fräu­lein Rosa? Herr La­nin hat mich die­ses Wech­sels we­gen fort­ge­schickt, und die ho­hen Pro­zen­te hat er nicht be­zah­len wol­len, da habe ich zu­le­gen müs­sen. Ich hat­te et­was Geld zu­rück­ge­legt – für mei­ne Mut­ter, wis­sen Sie, wenn ich ein­mal ohne Stel­le bin. Es ist aber al­les dar­auf­ge­gan­gen. Ja – und ich habe jetzt nichts zu tun. Die­ser Über­rock ist schlecht, ich sehe das wohl, der Hut auch; aber wäre der Wech­sel nicht ge­we­sen, so… Üb­ri­gens ma­che ich mir nichts dar­aus, wenn Sie nur woll­ten. Ohne Sie kann ich nicht le­ben, Fräu­lein Rosa; ohne Sie nicht.«

      »Was kann ich denn tun?« stieß Rosa kaum hör­bar her­vor. Sie woll­te die Be­din­gun­gen er­fah­ren, un­ter de­nen sie be­freit wer­den konn­te. Lurch sah auf sei­ne Hän­de her­ab und ver­setz­te lei­se: »Wir könn­ten ein­an­der ja hei­ra­ten.«

      »Sie?«

      »Ja!«

      Lurch hob den Kopf. Der Mond be­schi­en sein fah­les Ge­sicht, auf den Wan­gen brann­ten rote Fle­cken; die Au­gen­li­der blin­zel­ten im­mer has­ti­ger, und die Hän­de krampf­ten sich in­ein­an­der, dass es knack­te. »Ja, denn ich lie­be Sie doch, Fräu­lein Rosa, und wer wird Sie sonst hei­ra­ten? Ich weiß sehr gut, was dort bei Wulf ge­sche­hen ist, und die gan­ze Stadt weiß es – alle, alle. Sie zei­gen mit


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