Tom Sawyers Abenteuer und Streiche, Tom Sawyer als Detektiv & Huckleberry Finns Fahrten (Illustrierte Ausgabe). Марк Твен

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Tom Sawyers Abenteuer und Streiche, Tom Sawyer als Detektiv & Huckleberry Finns Fahrten (Illustrierte Ausgabe) - Марк Твен


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Haare mit Kummer in die Grube fahren lassen, denn sie habe den Mut in bezug auf ihn nun verloren.

      Dies war schlimmer als tausend Prügel, und Toms Herz wurde noch schwerer, als es heute morgen gewesen. Er heulte, er bat um Verzeihung, versprach Besserung wieder und immer wieder, und er erhielt schließlich seine Entlassung mit dem Gefühl, nur halbe Verzeihung und schwaches Vertrauen gefunden zu haben.

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      Er empfand die Gegenwart gar zu trübselig, um ein Rachegefühl gegen Sid aufkommen zu lassen. So war des letzteren eiliger Rückzug durch die Hintertür überflüssig. Er schlich in düsterster Gemütsverfassung zur Schule und empfing dort seine Prügel wegen des Schwänzens mit Joe Harper am vorigen Tage mit der Miene eines, dessen Herz von schweren Kümmernissen belastet und ganz unempfindlich für Kleinigkeiten ist. Dann verzog er sich auf seinen Platz, stützte die Ellbogen auf den Tisch und das Kinn auf die Hände und starrte auf die Wand mit dem starren Gesichtsausdruck des Leidens, das den höchsten Punkt erreicht hat und nun nicht mehr gesteigert werden kann. Sein Ellbogen drückte auf einen harten Gegenstand. Nach langer Zeit änderte er schläfrig und gleichgültig seine Stellung und nahm den Gegenstand in Augenschein. Er war in Papier gewickelt. Er rollte das Papier auf. Ein langer, starrer, verschleierter Blick — und sein Herz brach! Es war der wundervolle abgebrochene Knopf von gestern! Dieser letzte Tropfen machte das Gefäß überlaufen.

      Elftes Kapitel.

      Inhaltsverzeichnis

      Kurz nach neun Uhr wurde das ganze Dorf durch die schreckliche Neuigkeit alarmiert. Obwohl sich damals noch niemand etwas von einem Telegraphen träumen ließ, flog die Nachricht doch von Mund zu Mund, von Haus zu Haus, mit fast telegraphischer Eile. Natürlich gab der Schullehrer für nachmittags frei. Man hätt‘s ihm sehr übel genommen, hätte er‘s nicht getan.

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      Ein blutiges Messer war bei der Leiche gefunden und durch ein paar Leute als das des Muff Potter rekognosziert worden — so hieß es. Und man sagte ferner, ein verspäteter Bürger habe Muff Potter in der Gegend des Verbrechens um ein oder zwei Uhr getroffen, wie er sich in einem Wassergraben wusch, und Muff Potter sei plötzlich ausgerissen — alles verdächtige Umstände, besonders das Waschen, was sonst gar nicht zu Potters Gewohnheiten gehörte. Man sagte auch, der Ort sei nach dem „Mörder“ durchsucht (das Volk ist nicht träge, belastende Momente zu suchen und zu einem Urteilsspruch zu gelangen), daß er aber nicht gefunden worden sei. Reiter waren nach allen Himmelsrichtungen ausgesandt, und der Sheriff hatte die beste Hoffnung, man werde ihn (nicht den Sheriff!) noch vor der Nacht erwischt haben.

      Der ganze Ort war unterwegs nach dem Kirchhof. Toms Herzeleid schwand, und er schloß sich der Prozession an, nicht weil er nicht tausendmal lieber anderswohin gegangen wäre, als vielmehr unter dem Zwang eines schrecklichen, unerklärlichen Antriebs. An dem gräßlichen Schauplatz angelangt, zwängte er seinen kleinen Körper durch die Menge und genoß den ganzen traurigen Anblick. Es schien ihm eine Ewigkeit, seit er hier gewesen. Jemand packte seinen Arm. Er fuhr herum, und sein Blick traf auf Huckleberry. Dann sahen beide wie auf Verabredung seitwärts und fürchteten, es möge ihnen jemand das Einverständnis vom Gesicht lesen können. Aber alles schwatzte durcheinander und achtete nur auf den schrecklichen Anblick vor sich.

      „Armer Bursche!“ „Armer, junger Bursche!“ „Eine Lehre für Leichenräuber!“ „Muff Potter muß hängen für das da, wenn man ihn erwischt!“ Das waren so die Bemerkungen, die fielen, und der Geistliche sagte: „Es war ein Gericht. Seine Hand ist hier sichtbar!“ In diesem Augenblick erschauerte Tom von Kopf bis zu Fuß, denn seine Augen fielen auf des Indianer-Joes gleichgültiges Gesicht.

      Die Menge begann zu flüstern und zu tuscheln. „Er ist‘s, er ist‘s! Er kommt!“

      „Wo, wo?“ fragten zwanzig Stimmen. „Muff Potter! Hallo, er steht still! Seht mal, er kommt hierher zurück! Laßt ihn nicht entwischen!“

      Leute, die in den Zweigen der Bäume über Tom saßen, sagten, er habe nicht den geringsten Versuch gemacht, zu entschlüpfen, er stand nur und schaute zweifelnd und wie erstarrt um sich.

      „Teuflische Frechheit!“ sagte einer der Umstehenden. „Wagt‘s, zurückzukommen und sein Werk ganz ruhig zu betrachten! Hat wohl nicht gedacht, schon Gesellschaft hier zu finden!“

      Die Menge teilte sich jetzt, und der Sheriff kam ostentativ hindurchgeschritten, Potter am Arm führend. Des armen Burschen Gesicht sah blaß aus, und aus seinen Augen sprach die Furcht, die ihn beherrschte. Als er vor dem Ermordeten stand, zuckte er wie unter einem Hieb zusammen, verbarg das Gesicht in den Händen und brach in Tränen aus.

      „Ich hab‘s nicht getan, Freunde.“ schluchzte er. „Auf Ehr‘ und Seligkeit, ich tat‘s nicht!“

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      „Wer hat dich denn angeklagt?“ schrie eine Stimme. Dieser Hieb saß. Potter nahm die Hände vom Gesicht und schaute in sichtbarster Hilflosigkeit um sich. Er sah Joe und rief aus: „O, Joe, du versprachst mir, niemals —“

      „Ist das Euer Messer?“ Und es wurde vom Sheriff vorgehalten.

      Potter wäre umgefallen, wenn man ihn nicht aufgefangen und ihn auf die Erde niedergelassen hätte. Dann sagte er: „Dacht‘ ich mir‘s doch, wenn ich nicht zurückkäme und —“, er schauderte. Dann erhob er seine kraftlose Hand mit müder Gebärde und flüsterte: „Sag‘s ihnen, Joe, sag‘s ihnen — ‘s ist nichts mehr zu machen.“

      Dann standen Huckleberry und Tom stumm und starr und hörten den kaltherzigen Lügner ganz gemütlich Bericht erstatten; sie erwarteten jeden Augenblick, Gottes Blitzstrahl werde ihn treffen, und wunderten sich, ihn solange unberührt stehen zu sehen. Und nachdem er geendet hatte und gesund und heil blieb, dachten sie nicht mehr daran, ihren Eid zu brechen und des armen Gefangenen Leben zu retten, denn es war zweifellos, daß Joe sich dem Satan verschrieben hatte, und es wäre wohl gefährlich gewesen, sich mit einer solchen Macht einzulassen.

      „Warum liefst du nicht davon? Warum, zum Teufel, kamst du hierher zurück?“

      „Konnt‘ nicht anders — ich konnt‘ nicht anders,“ stöhnte Potter. „Ich wollt‘ wohl fortlaufen, aber ich konnt‘ nirgends hinkommen als hierher!“

      Und er fing wieder an zu schluchzen.

      Joe wiederholte seinen Bericht, ebenso ruhig, ein paar Minuten später und beschwor ihn auf Verlangen, und die Burschen, die den Lichtstrahl immer noch nicht hervorbrechen sahen, wurden dadurch in ihrem Glauben, daß er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen habe, noch mehr bestärkt. Er war mit einem Schlage für sie der Gegenstand des unheimlichsten Interesses geworden, wie nichts anderes, und sie konnten die bezauberten Blicke nicht von ihm wenden. Sie beschlossen innerlich, ihn nachts, wenn sich einmal die Gelegenheit böte, zu belauern, in der Hoffnung, seines schrecklichen Herrn und Meisters ansichtig zu werden.

      Joe half den Körper des Ermordeten aufheben und auf einen Karren laden, um ihn fortzuschaffen. Und es ging ein Flüstern durch das schaudernde Volk, daß die Wunde ein wenig zu bluten anfinge! Die Knaben hofften, dieser glückliche Umstand werde den Verdacht in die wahre Richtung lenken. Aber sie waren enttäuscht, als mehrere der Leute sagten: „Er war nur drei Schritt von Muff Potter entfernt, als es geschah.“

      Toms schreckliches Geheimnis, seine furchtbare Mitwisserschaft störte seinen Schlaf während mehr als einer Woche; und eines Morgens beim Frühstück sagte Sid:

      „Tom, du wirfst dich im Schlaf herum und sprichst so viel, daß du mich die halbe Nacht wach erhältst.“

      Tom erbleichte und senkte die Augen.

      „‘s ist ein böses Zeichen,“ sagte Tante Polly


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