Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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um so falscher schi­en sie mir. Wenn ich erst wie­der drau­ßen war, wür­de ich ihm und Mag­da und al­ler Welt be­wei­sen, wie tüch­tig ich erst sein konn­te. Und ich plag­te den gu­ten Holz mit lan­gen Schil­de­run­gen über die Mög­lich­kei­ten des Lan­des­pro­duk­ten­han­dels, Mög­lich­kei­ten, die ich na­tür­lich alle blitz­schnell er­fas­sen und aus­nut­zen wür­de.

      Um­sonst warn­te mich der durch lan­ges Dul­den Er­fah­re­ne. »Som­mer, du bist noch nicht drau­ßen! Mach nicht zu viel Plä­ne! Wer weiß, was nicht noch al­les pas­sie­ren kann!?«

      Ich rief: »Was soll denn noch pas­sie­ren? Von mir hängt jetzt al­les ab, und mei­ner selbst bin ich si­cher.«

      Auch in mei­nem Ar­bei­ten an den Bürs­ten hat­te ich mich sehr ge­än­dert. Nicht, dass ich schlech­ter ge­ar­bei­tet hät­te, das konn­ten mei­ne Hän­de schon nicht mehr, sie konn­ten schon den lei­ten­den Ver­stand ent­beh­ren, und mei­ne Ab­lie­fe­rung wur­de auch kaum ge­rin­ger. Aber ich ar­bei­te­te ganz stoß­wei­se.

      Ei­nen hal­b­en Tag stand ich am Zel­len­fens­ter, sah stun­den­lang die rasch zie­hen­den Wol­ken am Him­mel an, freu­te mich an Wie­se, Vieh und Wald und sah lä­chelnd den auf ih­ren Rä­dern vor­über­f­lit­zen­den Mä­dels nach. Bald wür­de ich wie­der zu al­le­dem ge­hö­ren, ein Teil der Welt sein, nicht mehr her­aus­ge­löst aus ihr und bei le­ben­di­gem Lei­be schon tot!

      Dann wie­der dach­te ich an die Wor­te des Me­di­zi­nal­ra­tes und stürz­te mich mit Feuerei­fer in die Bürs­ten­ma­che­rei. Die Ar­beit flog mir nur so durch die Hän­de. Je­der Griff saß, in zwei Stun­den war die feins­te Na­gel­bürs­te fer­tig. Manch­mal dach­te ich da­bei mit Sehn­sucht an Mag­da und emp­fand den leb­haf­ten Wunsch, sie möch­te mir bei mei­ner Ar­beit ein­mal zu­se­hen. Auch ich konn­te tüch­tig sein, un­ge­wöhn­lich tüch­tig!

      Selbst das Ver­hält­nis zu mei­nen Ar­beits­ka­me­ra­den war seit die­ser Un­ter­re­dung we­sent­lich ver­än­dert. War ich ih­nen bis­her still aus dem Wege ge­gan­gen, hat­te mich nie in ihre Strei­te­rei­en ge­mischt und je­dem sei­ne Art ge­las­sen, sie moch­te noch so ab­sto­ßend sein, so be­fä­hig­te mich mei­ne jet­zi­ge gute Lau­ne, leb­haft in die Un­ter­hal­tung ein­zu­grei­fen und auch ein­mal ei­nem un­an­ge­neh­men Men­schen zu­zu­ru­fen: »Thie­de, leck doch nicht den Tisch mit der Zun­ge ab! Ist Sau­ce ver­kle­ckert, so nimm dei­nen Löf­fel!«

      Ich kann nicht be­haup­ten, dass mei­ne Lei­dens­ge­nos­sen die­se Ver­än­de­rung mei­nes We­sens ins Leb­haf­te güns­tig auf­nah­men. Mei­ne wit­zi­gen Be­mer­kun­gen wur­den meist mit tie­fem, ab­leh­nen­dem Still­schwei­gen auf­ge­nom­men, und mei­ne Er­mah­nun­gen zu gu­ter Sit­te lenk­ten wüs­te Be­schimp­fun­gen auf mein Haupt. Das focht mich aber in mei­ner gu­ten Stim­mung fast gar nicht an. Ich dach­te nur bei mir: ›Ihr ar­men Ir­ren! In ein paar Wo­chen wer­de ich drau­ßen sein, wäh­rend ihr euer gan­zes Le­ben in die­sen Mau­ern hin­brin­gen wer­det. Was geht mich da euer Schimp­fen an?! Ihr exis­tiert ein­fach nicht für mich!‹

      Die Ver­än­de­rung mei­ner Den­kart zeig­te sich aber nicht nur in mei­nem Be­neh­men in­ner­halb der Heil­an­stalt, sie soll­te auch nach au­ßen wir­ken. Nach­dem ich ein paar Näch­te mit mir ge­run­gen, auch den Fall gründ­lich mit Holz be­spro­chen hat­te, der mir ent­schie­den ab­riet, ließ ich den al­ten Jus­tiz­rat Hol­s­ten kom­men, einen schon et­was alt­mo­disch ge­wor­de­nen Herrn, der aber bei den an­ge­se­he­nen Bür­gern der Stadt größ­tes An­se­hen ge­noss und der auch mei­ner Fir­ma bei ge­le­gent­lich auf­tau­chen­den Rechts­fra­gen mit Rat und Tat zur Sei­te ge­stan­den hat­te.

      Ich setz­te mit ihm eine Ge­ne­ral­voll­macht für Mag­da auf und ver­fass­te ein Te­sta­ment, in dem ich Mag­da zu mei­ner Al­leiner­bin ein­setz­te. Ich be­auf­trag­te den al­ten Herrn, die Voll­macht schon am nächs­ten Tage in die Hän­de mei­ner Frau, das Te­sta­ment aber an Ge­richts­stel­le zu hin­ter­le­gen. Dies war mein Dank an Mag­da für die schö­ne Art, in der sie über mich mit dem Me­di­zi­nal­rat ge­re­det hat­te, ich freu­te mich, dass ich ihr so wir­kungs­voll dan­ken konn­te.

      Holz frei­lich, der in die­ser Zeit gar nicht mit mir ge­hen woll­te, stöhn­te: »Wenn du das nur nicht ei­nes Ta­ges be­reust, Som­mer! Man soll sich nie ei­nem Men­schen ganz in die Hän­de ge­ben, das ver­bie­tet doch die ein­fachs­te Vor­sicht. Und wozu auch? Es hat kei­ner von dir ver­langt, warum tust du es also.«

      »Ich bin im­mer ein groß­zü­gi­ger Mensch ge­we­sen, Holz«, ant­wor­te­te ich ihm. »Ich habe im­mer eine Lei­den­schaft für Schen­ken ge­habt.«

      Ich muss üb­ri­gens noch be­mer­ken, dass der Jus­tiz­rat ganz und gar nicht da­mit zu­frie­den war, die­se bei­den Ur­kun­den für mich ab­zu­fas­sen und mit sei­nem No­ta­ri­ats­sie­gel zu ver­se­hen. Nicht, als ob er mit ih­rem In­halt nicht ein­ver­stan­den ge­we­sen wäre, im Ge­gen­teil. »Es ist im­mer gut, wenn man sein Haus be­stellt, Herr Som­mer«, sag­te er. »Und Ihre Frau ist na­tür­lich die Nächs­te. Sie se­hen ei­ner un­ge­wis­sen Zu­kunft ent­ge­gen. Ha­ben Sie schon einen Ver­tei­di­ger für Ihren Ter­min ge­wählt, oder wün­schen Sie, dass ich Ihre Ver­tei­di­gung über­neh­me?«

      »Dan­ke, dan­ke!«, sag­te ich leicht­hin. »Ich be­ab­sich­ti­ge, mich selbst zu ver­tei­di­gen. Im Üb­ri­gen ist die gan­ze Ge­schich­te nur eine Klei­nig­keit, die mei­ne lie­ben Mit­bür­ger viel zu sehr auf­ge­bauscht ha­ben.«

      Der Jus­tiz­rat war ent­setzt über mei­ne »Leicht­fer­tig­keit«, wie er es nann­te. »Es ist nie eine Klei­nig­keit«, rief der alte Mann fast em­pört, »wenn ein an­ge­se­he­ner Bür­ger ins Ge­fäng­nis ge­hen muss, nicht nur sei­net­we­gen, son­dern vor al­lem auch um des bö­sen Bei­spiels wil­len! Las­sen Sie mich Ihre Ver­tei­di­gung über­neh­men, Herr Som­mer, viel­leicht, bei­na­he si­cher kann ich Be­wäh­rungs­frist für Sie er­wir­ken. Dann ver­mei­den Sie we­nigs­tens die ent­eh­ren­de Ge­fäng­nis­haft.«

      »Mei­ne Ehre liegt al­lein bei mir«, sag­te ich stolz. »Die kön­nen mir an­de­re nicht neh­men.«

      Der alte Mann schüt­tel­te mit ei­nem trü­ben Lä­cheln ver­nei­nend den Kopf.

      »Im Üb­ri­gen han­delt es sich um ein im Af­fekt be­gan­ge­nes Ver­ge­hen, und die Fol­gen ei­nes sol­chen Ver­ge­hens kön­nen nie ent­eh­rend sein.«

      Wie­der schüt­tel­te der alte Mann trau­rig den Kopf. »Das ist eine Spra­che«, sag­te er, »die ich in sol­chen Mau­ern häu­fig ge­nug ge­hört habe, aus Ihrem Mun­de hät­te ich sie lie­ber nicht ge­hört. Wie steht es denn mit dem Gut­ach­ten des Kreis­phy­si­kus? Wis­sen Sie et­was da­von?«

      Ich ver­si­cher­te, dass al­les äu­ßerst güns­tig ste­he und dass der Me­di­zi­nal­rat mei­ne Un­ter­brin­gung in ei­ner Heil- und Pfle­gean­stalt nicht für not­wen­dig hal­te.

      »Ich will es hof­fen, hof­fen will ich es von Her­zen«, rief der Jus­tiz­rat Hol­s­ten. »Nun, Herr Som­mer, jetzt muss ich mich ver­ab­schie­den. Und wenn Sie mich ge­gen Ihr jet­zi­ges Er­war­ten doch brau­chen soll­ten, Sie kön­nen mich je­der­zeit ru­fen. Ich scheue trotz mei­ner Jah­re den wei­ten Weg aus der Stadt in die­se An­stalt nicht, wenn ich Ih­nen nur hel­fen kann.«

      Ich dank­te ihm fast ge­rührt, war aber über­zeugt, dass ich sei­nen Rat nie brau­chen wür­de und dass ich mich in ei­nem wirk­li­chen Not­fal­le


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