Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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fährt fast fie­ber­haft er­regt, halb zum Ober­wacht­meis­ter, halb zu mir ge­wen­det, fort: »Aber ich kann dir doch schi­cken, Er­win, was du brauchst! Hät­te ich das ge­ahnt! Darf ich ihm ein Pa­ket mit Ess­wa­ren schi­cken, Herr …?«

      »Das dür­fen Sie, Frau Som­mer«, sagt Fritsch gnä­dig. »Auch Rauch­wa­ren sind er­laubt. Hier ist über­haupt vie­les er­laubt. Aber«, fährt er fort und sieht Mag­da au­gen­zwin­kernd aus sei­nem fet­ten Ge­sicht an, »Sie müs­sen be­den­ken, vie­le von die­sen Kran­ken wis­sen wirk­lich nicht, wann sie satt sind. Sie fres­sen und fres­sen – ein gan­zes Pa­ket voll, zwei Bro­te an ei­nem Tag! Und nach­her sind sie krank, und wir ha­ben un­se­re Mühe mit ih­nen. Man darf nicht al­les glau­ben, was die­se Kran­ken er­zäh­len.«

      Und ich muss still da­bei­sit­zen und mir die­se Ge­mein­hei­ten mit an­hö­ren, der fet­te Fritsch ist mein Vor­ge­setz­ter, ich darf ihm nicht wi­der­spre­chen. Ich den­ke an die Hun­ger­ge­stal­ten drü­ben, die Kar­tof­fel­scha­len fres­sen und je­den ver­spritz­ten Trop­fen Sau­ce vom Tisch ab­le­cken, und die Wut steigt wie­der in mir hoch. Aber ich be­zwin­ge mich, ich sage rasch und lä­chelnd: »Ich dan­ke dir viel­mals für dei­ne gu­ten Ab­sich­ten, Mag­da, aber ich brau­che wirk­lich nichts. Herr Ober­wacht­meis­ter Fritsch hat ganz recht: Die Kran­ken ken­nen kein Maß. Gott sei Dank ge­hö­re ich nicht zu ih­nen, gott­lob wer­de ich wohl schon in kur­z­em von hier fort­kom­men …«

      Ver­wirrt sieht mich Mag­da an. »Aber du sprachst doch eben selbst von Was­ser, Er­win …«, sagt sie.

      »Ich sprach von Gän­se­bra­ten«, la­che ich, »und das Was­ser habe ich nur um des Kon­tras­tes wil­len da­ge­gen­ge­setzt. Nein, nein, Mag­da, mach dir nur kei­ne Ge­dan­ken, wir wer­den voll­kom­men aus­rei­chend er­nährt, wie dir eben Herr Fritsch auch ge­sagt hat. Schließ­lich tue ich ja auch kei­ne schwe­re Ar­beit, ich ma­che Bürs­ten, Mag­da, ich bin ein rich­ti­ger Bürs­ten­ma­cher ge­wor­den. Hät­test du das je von mir ge­dacht, Mag­da? Du sitzt auf mei­nem Stuhl im Kon­tor, und dein Mann macht un­ter­des Bürs­ten. Gibt es nicht ein Lied vom mun­te­ren Bürs­ten­ma­cher, ach nein, das ist ein mun­te­rer Sei­fen­sie­der. Aber auch ich bin mun­ter und ver­gnügt in mei­ner Zel­le beim Bürs­ten­ma­chen, ich pfei­fe und sin­ge den gan­zen Tag, ach nein, das tue ich na­tür­lich nicht, denn das ist in die­sem Haus der vie­len Er­laub­nis­se ver­bo­ten. Aber in­ner­lich pfei­fe und sin­ge ich …«

      Ich habe im­mer ra­scher und höh­nen­der ge­spro­chen, mein Zorn riss mich fort, aber da­bei be­herrsch­te ich mich doch, äu­ßer­lich sah al­les ganz glatt und zu­frie­den­stel­lend aus. Ich be­merk­te die stei­gen­de Ver­wir­rung in Mag­das Ge­sicht, sie hat ein paar­mal wäh­rend mei­ner Wor­te das Ta­schen­tuch be­nutzt und an ih­ren Au­gen ge­wischt. Fritsch hat sich auf sei­nem Stuhl zu­rück­ge­lehnt und be­trach­tet ge­lang­weilt die Flie­gen an der Zim­mer­de­cke. Er ist viel zu grob be­sai­tet, um den iro­ni­schen Un­ter­ton mei­ner Wor­te her­aus­zu­spü­ren.

      Üb­ri­gens hat Mag­da ein Ko­stüm an, das ich noch nicht an ihr ken­ne: ein dun­kel­grau­es, sehr schickes Ko­stüm mit ei­nem hel­len Na­del­strei­fen. Ich den­ke mit Bit­ter­keit dar­an, dass mei­ne zu mir ge­hö­ren­de Frau in ei­ner Zeit, da ich Maß­lo­ses litt, Zeit und Lust hat­te, an ein neu­es Ko­stüm zu den­ken, zur Schnei­de­rin zu ge­hen, An­pro­ben zu hal­ten … So un­ge­recht sind die Lose ver­teilt, so ge­dan­ken­los sind selbst die bes­ten Ehe­frau­en! – Üb­ri­gens sieht Mag­da gut aus, sie hat sich in der Zeit un­se­rer Tren­nung we­sent­lich er­holt, sie ist aus­ge­spro­chen hübsch. Wäh­rend ich in die­ser Zeit …

      61

      Nach mei­nen ra­schen, höh­ni­schen Wor­ten ist eine tie­fe Stil­le ein­ge­tre­ten, ich habe es nicht ei­lig, sie zu un­ter­bre­chen. Mag­da be­wegt sich et­was un­ru­hig auf ih­rem Stuhl hin und her, ich bin ge­spannt, was sie nun vor­brin­gen wird. Aber als sie dann zu spre­chen an­fängt, ist es nur ein Dank für die über­sand­te Ge­ne­ral­voll­macht.

      »Ich brauch­te sie ei­gent­lich gar nicht. We­der auf der Post noch auf der Bank ha­ben sie we­gen mei­ner Un­ter­schrift Schwie­rig­kei­ten ge­macht. Aber ich ver­ste­he es schon, wie du es mein­test, Er­win, und ich dan­ke dir für dei­ne gute Mei­nung.« Sie reicht mir ihre Hand über den Tisch, und ich fas­se sie vor­sich­tig und kühl, hüte mich, sie wär­mer zu drücken. Die Hand kehrt et­was ent­täuscht zu ih­rer Be­sit­ze­rin zu­rück.

      »Und wie ge­hen die Ge­schäf­te?«, fra­ge ich, um nur et­was zu fra­gen.

      Mag­da aber be­lebt sich. »Ich freue mich, dir sa­gen zu kön­nen, Er­win, dass die Ge­schäf­te gut ge­hen, ja­wohl, aus­ge­spro­chen gut. Die Ern­te ist recht be­frie­di­gend aus­ge­fal­len, und wir ha­ben einen sehr schö­nen Um­satz er­zie­len kön­nen. Be­son­ders in Hül­sen­früch­ten habe ich ein un­glaub­li­ches Glück ge­habt. Ich kauf­te, ehe die Prei­se dann so plötz­lich an­zo­gen …«

      Eine Wei­le re­den wir nun ru­hig von den Ge­schäf­ten. Wirk­lich eine tüch­ti­ge Frau, ganz un­be­streit­bar. Wie ihr Auge leuch­tet, ihre Stim­me le­ben­dig wird, wenn sie da­von spricht! So leuch­te­te ihr Auge vor­her nicht, als es um ih­ren Mann ging. Aber so war es schon im­mer bei ihr – das Ge­schäft, der Gar­ten, das Haus: Al­les war ihr wich­ti­ger als der Mann. Ich könn­te ei­fer­süch­tig wer­den auf die­se to­ten Din­ge, wenn das nicht doch ein biss­chen lä­cher­lich wäre. Aber viel­leicht nicht so lä­cher­lich wie die­se auch vom Arzt ge­rühm­te Tüch­tig­keit. Wür­de sie ei­ni­ger­ma­ßen ver­nünf­tig über­le­gen, sie mach­te sich die gan­ze Pla­ge nicht, ver­pach­te­te das Ge­schäft ge­gen eine klei­ne Ren­te und leb­te be­hag­lich in un­se­rem Ei­gen­tum. Aber auf so et­was kommt na­tür­lich so eine Frau nicht.

      So ge­hen mei­ne Ge­dan­ken im­mer wei­ter, wäh­rend ich zer­streut Mag­das eif­ri­gem Re­den lau­sche, das die Erin­ne­rung an alte Kun­den wach­ruft, an Fahr­ten durch ab­seits lie­gen­de Dör­fer, glück­li­che Ab­schlüs­se … Aber plötz­lich wer­de ich hell­hö­rig, denn Mag­da hat plötz­lich von »un­se­rer Kon­kur­renz« ge­spro­chen, je­nem jun­gen An­fän­ger, der sich mir zum Trotz in mei­ner Va­ter­stadt eta­blier­te und mir schon ein paar­mal recht zu schaf­fen mach­te. Irre ich mich, oder klingt jetzt noch ein ganz be­son­de­rer Un­ter­ton in Mag­das Stim­me, et­was Wär­me­res als vor­her? Ich höre sehr auf­merk­sam an, was Mag­da da er­zählt.

      »Ja, den­ke dir, Er­win, ich habe Herrn Hein­ze jetzt per­sön­lich ken­nen­ge­lernt. Ich hat­te mich ei­nes Ta­ges doch zu sehr über die­ses stän­di­ge ge­gen­sei­ti­ge Un­ter­bie­ten ge­är­gert, bloß um ein­an­der die Kun­den ab­zu­fan­gen, an de­nen wir schließ­lich gar ver­lo­ren. Da bin ich ein­fach zu ihm auf sein Büro ge­gan­gen und habe ihm ge­sagt: ›Ich bin Frau Som­mer, Herr Hein­ze, und nun wol­len wir doch ein­mal se­hen, ob wir bei­de nicht zu ei­nem ver­nünf­ti­gen Ab­kom­men ge­lan­gen kön­nen! Für bei­de Fir­men gibt es ein Aus­kom­men hier in der Stadt, aber wenn wir uns wei­ter so un­ter­bie­ten, wer­den wir alle bei­de Plei­te ma­chen!‹ Das habe ich ihm ge­sagt!« Mag­da sieht mich tri­um­phie­rend an.

      »Und was ant­wor­te­te er?«, fra­ge ich ge­spannt.

      »Nun«, sag­te sie, und wie­der fiel mir der war­me Un­ter­ton in ih­rer Stim­me auf, »Herr Hein­ze ist nicht nur ein ge­bil­de­ter, son­dern auch ein klu­ger Mann. In fünf Mi­nu­ten wa­ren wir zu ei­nem Ab­kom­men ge­langt. Je­den Mor­gen, Mit­tag und Abend ver­stän­di­gen


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