Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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wie sein Le­ben dann sein wird, aber er kann es nicht. Da gehe ich also die Stra­ße lang, und da ist eine Knei­pe, und ich ma­che ein­fach die Tür auf und sage: Ober, ein Glas Bier …

      Drau­ßen, in der Zen­tra­le, der Haupt­wacht­meis­ter Rusch schlägt mit dem Schlüs­sel ge­gen das Ei­sen­git­ter. Es hallt durch den gan­zen Bau, in sechs­hun­dert­vier­zig Zel­len ist es zu hö­ren.

      Schwein das, mit sei­ner ewi­gen Krach­ma­che­rei, murrt Ku­falt. Stimmt wie­der was nicht, Ru­sche­ken? Wenn ich nur wüss­te, was ich an­fan­ge, wenn ich raus­kom­me! Die wer­den mich doch fra­gen, wo­hin ich ent­las­sen wer­den will … Und wenn ich kei­ne Ar­beit weiß, wird mein Ver­dienst von hier an die Wohl­fahrt über­wie­sen, und ich darf mir alle Wo­chen ein biss­chen ho­len. Euch hust ich was! Lie­ber dreh ich noch mit Batz­ke ein großes Ding …!

      Er schaut ge­dan­ken­ver­lo­ren auf sei­ne Ja­cke, de­ren blau­er Är­mel mit drei wei­ßen Strei­fen Wä­sche­band ge­ziert ist. Was be­deu­tet, dass er »drit­te Stu­fe« ist, ein Ge­fan­ge­ner also, des­sen Füh­rung auf »nach­hal­ti­ge Bes­se­rung und Wohl­ver­hal­ten in der Frei­heit« schlie­ßen lässt.

      Hab ich krie­chen müs­sen, um die zu krie­gen! Und hat es ge­lohnt? Das biss­chen Ta­bak und eine hal­be Frei­stun­de mehr und Ra­dio ein­mal in der Wo­che abends und dass sie die Zel­le nicht ab­schlie­ßen tags­über …

      Das ist so: Ku­falts Zel­len­tür ist nicht ab­ge­schlos­sen, die Zel­len­tü­ren der drit­ten Stu­fe wer­den nicht ab­ge­schlos­sen, son­dern nur an­ge­lehnt. Aber es ist das eine selt­sa­me Art Ver­güns­ti­gung: Bei­lei­be darf er die Tür nicht auf­sto­ßen, auf den Gang tre­ten und auch nur zwei Schritt dort ma­chen! Das ist ver­bo­ten. Wenn er das tut, wird ihm die drit­te Stu­fe wie­der ent­zo­gen. Sie ist eben of­fen, die Tür, dass er das weiß, das ist Vor­be­rei­tung auf das Le­ben drau­ßen, wo ja auch die Tü­ren nicht ab­ge­schlos­sen sind … eine all­mäh­li­che Ak­kli­ma­ti­sie­rung, er­dacht von ei­nem Ge­heim­rats­hirn.

      Der Ge­fan­ge­ne steht wie­der un­ter dem Fens­ter und über­legt einen Au­gen­blick, ob er hoch­klet­tern soll und hin­aus­se­hen. Vi­el­leicht sieht er jen­seits der Mau­ern eine Frau …?

      Nee, lie­ber nicht, spa­ren wir uns auf bis Mitt­woch.

      Ru­he­los nimmt er das Netz in die Hand und strickt sechs, acht, zehn Ma­schen. Da­bei fällt ihm ein, dass er so­wohl Putz­po­ma­de wie Ta­bak beim Net­ze­kal­fak­tor schnor­ren kann – und er lässt die Holz­na­del wie­der fal­len und geht ge­gen die Tür.

      Ei­nen Au­gen­blick steht er und über­legt, ob er es wa­gen soll. Dann fällt ihm was ein, er knöpft schnell die Ho­sen ab, geht auf den Kü­bel und legt sein Mor­ge­nei. Er kippt einen Schuss Was­ser dar­über, schließt den De­ckel, knöpft die Ho­sen wie­der an und nimmt den Kü­bel in bei­de Hän­de.

      Wenn er mich schnappt, sag ich, die ha­ben heu­te früh ver­ges­sen, bei mir zu kü­beln, über­legt er und drückt mit dem Ell­bo­gen die an­ge­lehn­te Tür auf.

      2

      Er wirft über die Schul­ter einen Blick ge­gen den Glas­kas­ten der Zen­tra­le, wo, wie eine Spin­ne in ih­rem Netz, sonst der Haupt­wacht­meis­ter Rusch sitzt und alle Gän­ge, alle Zel­len­tü­ren über­schaut. Aber Ku­falt hat Du­sel: Der Haupt­wacht­meis­ter ist fort. Statt sei­ner sitzt ein Ober­wacht­meis­ter da, den der gan­ze Krem­pel lang­weilt: Er liest Zei­tung.

      Ku­falt geht mög­lichst lei­se über den Gang zum Spül­raum. Da­bei kommt er an der Zel­le des Net­ze­kal­fak­tors vor­bei und zö­gert einen Au­gen­blick: Da strei­ten zwei drin. Die eine Stim­me kennt er, die ist ölig: Das ist der Net­ze­meis­ter. Aber die an­de­re …

      Er steht und lauscht. Dann geht er wei­ter.

      In der Spül­zel­le ist Hoch­be­trieb. Die Kal­fak­to­ren von C 2 und C 4 ha­ben sich her­auf­ge­schli­chen, eine sto­ßen.

      Und noch je­mand ist hier.

      »Gott, Emil, Jun­ge, Bruhn, sieht man dich wirk­lich mal wie­der?! Du musst doch dei­nen Knast auch bald ab­ge­ris­sen ha­ben?!« Da­bei kippt Ku­falt sei­nen Kü­bel in das Spül­be­cken.

      »Saue­rei! Wo wir hier rau­chen!« schimpft ein Kal­fak­tor.

      Ku­falt gibt an. »Du hältst dein Maul, Stub­ben! Seit wann bist du denn über­haupt im Bun­ker? Ein hal­b­es Jahr? Und so was reißt hier die Fres­se auf von we­gen Saue­rei?! Hät­test ja drau­ßen blei­ben kön­nen, wenn du Was­ser­spü­lung ge­wöhnt bist! Ach, halt die Klap­pe! Ich bin drit­te Stu­fe! – Hat ei­ner von euch Ta­bak für mich?«

      »Hier, Wil­li«, sagt der klei­ne Emil Bruhn und gibt ihm ein gan­zes Pa­ket Flag­gen­stolz und Blätt­chen. »Kannst du be­hal­ten. Ich hab bis Mitt­woch stief.«

      »Mitt­woch? Kommst du Mitt­woch raus? Ich auch!«

      Bruhn fragt: »Sag mal, Wil­li, bleibst du ei­gent­lich hier im Kaff?«

      »Aus­ge­schlos­sen! Hier, wo lau­ter Wacht­meis­ter rum­lau­fen! Ich fah­re nach Ham­burg.«

      »Hast du denn da Ar­beit?«

      »Nee, noch nicht. Aber ich krieg si­cher was. Ich den­ke, mei­ne Ver­wand­ten … Oder der Pfaf­fe … Ich kom­me im­mer durch!« Und Ku­falt lä­chelt, aber et­was küm­mer­lich.

      »Ich habe schon was. Ich fan­ge hier in der Holz­fa­brik an. Fal­len­nes­ter im Ak­kord. Ich kom­me min­des­tens auf fünf­zig Mark die Wo­che, hat mir der Meis­ter ge­sagt.«

      »Das schaffst du«, be­stä­tigt Ku­falt. »Das kannst du. Das hast du ja nun neun Jah­re ge­macht.«

      »Zehn­ein­halb«, sagt der klei­ne blon­de Bruhn und blin­zelt mit sei­nen was­ser­blau­en Au­gen. Er hat einen See­hunds­kopf, kug­lig, gut­mü­tig. »Elf Jah­re wa­ren’s. Ein hal­b­es ha­ben sie mir ge­schenkt auf Be­wäh­rung.«

      »Mensch, Emil, das hät­te ich doch nicht an­ge­nom­men! Ein hal­b­es Jahr ge­schenkt – und wie lan­ge sollst du dich be­wäh­ren?«

      »Drei Jah­re.«

      »Schön dumm bist du. Und wenn du ’ne Klei­nig­keit machst, wenn du nur ’ne Schei­be ein­schmeißt in der Be­sof­fen­heit oder Krach schlägst auf der Stra­ße, schon musst du dein hal­b­es Jahr ab­rei­ßen. Das hät­te ich doch noch gleich mit run­ter­ge­ris­sen.«

      »Na, Wil­li, wenn man zehn­ein­halb Jahr Knast ge­scho­ben hat …«

      »Mir ha­ben sie ewig ge­sagt, der Di­rek­tor und der Leh­rer und der Pfaf­fe, alle: Ich soll ein Ge­such auf Be­wäh­rung ma­chen. Aber ich bin nicht so dumm. Wenn ich Mitt­woch raus­kom­me, dann hab ich freie Bahn …«

      Ein Kal­fak­tor mischt sich ein: »Ich den­ke, dir ha­ben sie dein Ge­such ab­ge­lehnt?«

      »Ab­ge­lehnt? Gar keins ge­macht habe ich, hast du Dreck in den Ohren?«

      »Mir hat’s aber der Haus­va­ter­kal­fak­tor er­zählt.«

      »Der? Was der weiß! Die dün­ken sich was, die vom Haus­va­ter! Weißt du, was das für ei­ner ist? Klei­ne Kin­der stößt der vor den Hin­tern und nimmt ih­nen die Mark weg, die ih­nen ihre Mut­ti für Be­sor­gun­gen ge­ge­ben hat. Von so ei­nem lässt du dir Ge­schich­ten er­zäh­len! – Hast du Putz­po­ma­de?«

      »Der Ka­lie­be hat aber auch ge­sagt …«

      »Quatsch!


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