Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Читать онлайн книгу.

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


Скачать книгу
ge­nie­ße ein be­stimm­tes be­schränk­tes Ver­trau­en im Hau­se, ich fal­le nie läs­tig, ich ma­che kei­nem Ar­beit, ich son­de­re mich von den an­de­ren ab. Ich darf mich ziem­lich frei be­we­gen im Bau. Nur darf ich nie das Arzt­zim­mer be­tre­ten, ohne dass der Ober­pfle­ger da­bei ist, das ist mir bei acht Wo­chen stren­gem Ar­rest ver­bo­ten. Ich möch­te es oft, ich könn­te es manch­mal, aber ich wage es nie. Ich bin eben fei­ge.

      Ich habe eine be­hag­li­che Stel­lung, ich habe im­mer ge­nug zu rau­chen und lei­de nie Hun­ger. Zwei­mal in der Wo­che kauft mein Vor­mund von den Gel­dern, die mei­ne frü­he­re Frau re­gel­mä­ßig für mich ein­zahlt, ein für mich, was mein Herz be­gehrt und was zu­läs­sig ist. Ich kann nie ver­brau­chen, was ein­ge­zahlt wird, ich wer­de als wohl­ha­ben­der Mann ster­ben. Ich ahne es nicht, wer mich be­er­ben wird, es in­ter­es­siert mich auch nicht. Mein frü­her er­rich­te­tes Te­sta­ment ist durch die Schei­dung hin­fäl­lig ge­wor­den, und ein neu­es darf ich nicht er­rich­ten, ich bin näm­lich geis­tes­krank.

      Aber ich bin doch nicht so geis­tes­krank und apa­thisch ge­wor­den, dass ich nicht noch einen Plan hät­te und eine klei­ne Hoff­nung. Ge­wiss, den Ge­dan­ken an das Schnei­de­mes­ser habe ich auf­ge­ben müs­sen, aber ich kann er­lei­den, ich ver­mag zu er­tra­gen, was über mich her­ein­bricht. Ich bin, wie ich wohl ohne Über­heb­lich­keit sa­gen darf, ein großer Dul­der.

      Ich habe noch nicht er­wähnt, dass wir im un­ters­ten Stock des An­baus im­mer fünf oder auch sie­ben Tu­ber­ku­lö­se lie­gen ha­ben, ehe­ma­li­ge Lei­dens­ge­fähr­ten, die man von uns iso­liert hat. Sie be­kom­men ein et­was bes­se­res und reich­li­che­res Es­sen und brau­chen nicht mehr zu ar­bei­ten, bis sie ster­ben. Die­se Kran­ken ha­ben klei­ne Fläsch­chen, in die sie ih­ren Aus­wurf spu­cken, und ihre Iso­lie­rung ist nicht so streng, dass ich, der ich mich ziem­lich frei im Bau be­we­gen darf, nicht manch­mal ein sol­ches Fläsch­chen er­wi­schen könn­te. Ich trin­ke es dann ein­fach aus. Ich habe schon drei sol­cher Fläsch­chen aus­ge­trun­ken, und ich wer­de noch mehr aus­trin­ken.

      Nein, ich will nicht in die­sem To­ten­haus ur­alt wer­den und dann lang­sam ver­re­cken, ich will einen Tod ster­ben, wie ihn alle drau­ßen ha­ben kön­nen – nach ei­ge­ner Wahl. Ich bin si­cher, ich bin heu­te schon tu­ber­ku­lös. Ich habe stän­dig Ste­chen in der Brust und hus­te viel, aber ich mel­de mich nicht zum Arzt, ich ver­ste­cke mei­ne Krank­heit; ich will erst so krank sein, dass ich un­ter kei­nen Um­stän­den ge­ret­tet wer­den kann.

      Und dann, wenn ich erst im An­bau lie­gen wer­de und die letz­te Stun­de ganz nahe ist, wer­de ich den Me­di­zi­nal­rat zu mir kom­men las­sen, und ich wer­de zu ihm spre­chen: »Herr Me­di­zi­nal­rat, ich habe Ih­nen viel Kum­mer und Är­ger ge­macht, und Sie ha­ben es mir nie ver­zei­hen kön­nen, dass Sie mei­net­we­gen Ihr be­reits er­stat­te­tes Gut­ach­ten wie­der um­sto­ßen muss­ten, wo­durch Ihr Ruf als Psych­ia­ter bei den Ge­rich­ten ge­lit­ten hat. Aber nun, da mein Tod ganz nahe ist, ver­zei­hen Sie mir, und tun Sie mir noch einen letz­ten Ge­fal­len.«

      Und er wird sei­nen Frie­den mit mir schlie­ßen, weil ich ein Ster­ben­der bin, und man ei­nem Ster­ben­den nichts ab­schlägt, und wird fra­gen, was für ein Ge­fal­len das ist.

      Und ich wer­de wie­der zu ihm spre­chen: »Herr Me­di­zi­nal­rat, ge­hen Sie ins Arzt­zim­mer und mi­schen Sie mir mit ei­ge­ner Hand aus Al­ko­hol und Was­ser einen Schnaps, nur ein Was­ser­glas voll. Nicht so einen, dass ich so­fort hin­stür­ze und nichts von ihm habe, wie da­mals, son­dern einen, der mich wirk­lich noch ein­mal glück­lich macht.«

      Und er wird mir mei­nen Wunsch er­fül­len und mit dem Glas an mein La­ger tre­ten, und ich wer­de trin­ken, nach so vie­len Jah­ren der Ent­beh­rung end­lich wie­der trin­ken, Schluck für Schluck, in lan­gen Ab­stän­den, voll das un­end­li­che Glück aus­kos­tend.

      Und ich wer­de noch ein­mal jung wer­den, und ich wer­de die Welt blü­hen se­hen mit al­len Früh­lin­gen und al­len Ro­sen und den jun­gen Mäd­chen von eh und je. Eine aber wird vor mich tre­ten und wird ihr blei­ches Ge­sicht über mich, der vor ihr auf die Knie fällt, nei­gen, und ihre dunklen Haa­re wer­den mich ganz ein­hül­len. Ihr Duft wird um mich sein, und ihre Lip­pen auf den mei­nen lie­gen, und ich wer­de nicht mehr alt und ver­un­stal­tet, son­dern jung und schön sein, und mei­ne rei­ne d’al­cool wird mich hin­auf zu sich zie­hen, und wir wer­den ent­schwe­ben in Rausch und Ver­ges­sen, aus de­nen es nie ein Er­wa­chen gibt!

      Und wenn mir so ge­schieht in mei­ner To­des­stun­de, wer­de ich mein Le­ben seg­nen, und ich wer­de nicht um­sonst ge­lit­ten ha­ben.

      ENDE

Wer einmal aus dem Blechnapf frisst

      Vorwort des Verfassers

      Ei­ne der ers­ten Ta­ten der Na­zis war es, dass sie die­ses Buch vom Blech­napf auf die schwar­ze Lis­te setz­ten. Eine der ers­ten Ta­ten des neu­en de­mo­kra­ti­schen Deutsch­lands ist es, die­ses Buch wie­der zu dru­cken. Dies scheint mir bei­na­he sym­bo­lisch: Jede Zei­le in die­sem Ro­man wi­der­strei­tet der Auf­fas­sung, die von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten über den Ver­bre­cher ge­hegt und durch­ge­führt wur­de an ih­nen. Jetzt ist wie­der Platz für Hu­ma­ni­tät, für eine Hu­ma­ni­tät, die wohl frei ist von je­der Ge­fühls­du­se­lei, die aber des Sat­zes ein­ge­denk bleibt: Ihr lasst den Ar­men schul­dig wer­den …

      Ich habe bei die­sem Neu­druck kei­ne Zei­le ge­än­dert der ers­ten Auf­la­ge ge­gen­über. Vi­el­leicht den­ke ich heu­te in man­chen Din­gen an­ders als da­mals vor elf Jah­ren, als ich die­ses Buch schrieb. Um so mehr ein Grund, nichts zu än­dern. Wir kön­nen un­se­re Bü­cher nicht in je­der Le­ben­s­pha­se um­schrei­ben. Und im großen Gan­zen hat für mein Ge­fühl noch Gül­tig­keit, was ich da­mals schrieb.

      So gehe denn hin­aus, Buch, in die Welt. Ich hof­fe, dass auch du für dein Teil ein we­ni­ges bei­trägst zur Hu­ma­ni­sie­rung der Men­schen – nach zwölf Jah­ren der Ver­ro­hung.

      Ber­lin, am 1. De­zem­ber 1945

      H. F.

ERSTES KAPITEL – Reif zur Entlassung

      1

      Der Straf­ge­fan­ge­ne Wil­li Ku­falt geht in sei­ner Zel­le auf und ab. Fünf Schrit­te hin, fünf Schrit­te her. Wie­der fünf Schrit­te hin.

      Ei­nen Au­gen­blick bleibt er un­ter dem Fens­ter ste­hen. Es ist schräg auf­ge­stellt, so­weit die ei­ser­nen Blen­den das zu­las­sen, und her­ein dringt das Schar­ren vie­ler Füße, auch ein­mal der Ruf ei­nes Wacht­meis­ters: »Ab­stand hal­ten! Fünf Schrit­te Ab­stand!«

      Sta­ti­on C 4 hat Frei­stun­de, eine hal­be Stun­de ge­hen sie dort im Kreis, an der fri­schen Luft.

      »Nichts ha­ben Sie zu re­den! Ver­stan­den?!« ruft der Wacht­meis­ter drau­ßen, und die Füße schar­ren wei­ter.

      Der Ge­fan­ge­ne geht ge­gen die Tür, nun bleibt er dort ste­hen und lauscht in den Bau, der still ist.

      Wenn Wer­ner heu­te nicht schreibt, denkt er, muss ich zum Pfaf­fen ge­hen und bet­teln, dass sie mich in das Heim auf­neh­men. Wo­hin soll ich sonst? Über drei­hun­dert Mark macht mein Ar­beits­ver­dienst si­cher nicht. Die sind bald alle.

      Er lauscht im­mer noch. In zwan­zig Mi­nu­ten ist die Frei­stun­de vor­bei. Dann kom­men wir run­ter. Se­hen, dass ich vor­her noch was Ta­bak kramp­fe. Ich kann


Скачать книгу