Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke

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Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke - Rainer Maria  Rilke


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nieder zu ihm.

      Denn die beiden waren schon so außer sich vor Getue.

       Eine Nachbarin kam und klugte und wußte nicht wie,

       und der Alte, vorsichtig, ging und verhielt das Gemuhe

       einer dunkelen Kuh. Denn so war es noch nie.

       Inhaltsverzeichnis

      Um zu begreifen, wie sie damals war,

       mußt du dich erst an eine Stelle rufen,

       wo Säulen in dir wirken; wo du Stufen

       nachfühlen kannst; wo Bogen voll Gefahr

       den Abgrund eines Raumes überbrücken,

       der in dir blieb, weil er aus solchen Stücken

       getürmt war, daß du sie nicht mehr aus dir

       ausheben kannst: du rissest dich denn ein.

      Bist du so weit, ist alles in dir Stein,

       Wand, Aufgang, Durchblick, Wölbung –,

       so probier den großen Vorhang, den du vor dir hast,

       ein wenig wegzuzerrn mit beiden Händen:

       da glänzt es von ganz hohen Gegenständen

       und übertrifft dir Atem und Getast.

       Hinauf, hinab, Palast steht auf Palast,

       Geländer strömen breiter aus Geländern

       und tauchen oben auf an solchen Rändern,

       daß dich, wie du sie siehst, der Schwindel faßt.

       Dabei macht ein Gewölk aus Räucherständern

       die Nähe trüb; aber das Fernste zielt

       in dich hinein mit seinen graden Strahlen –,

       und wenn jetzt Schein aus klaren Flammenschalen

       auf langsam nahenden Gewändern spielt:

       wie hältst du’s aus?

      Sie aber kam und hob

       den Blick, um dieses alles anzuschauen.

       (Ein Kind, ein kleines Mädchen zwischen Frauen.)

       Dann stieg sie ruhig, voller Selbstvertrauen,

       dem Aufwand zu, der sich verwöhnt verschob:

       So sehr war alles, was die Menschen bauen,

       schon überwogen von dem Lob

       in ihrem Herzen. Von der Lust

       sich hinzugeben an die innern Zeichen:

       Die Eltern meinten, sie hinaufzureichen,

       der Drohende mit der Juwelenbrust

       empfing sie scheinbar: Doch sie ging durch alle,

       klein wie sie war, aus jeder Hand hinaus

       und in ihr Los, das, höher als die Halle,

       schon fertig war, und schwerer als das Haus.

       Inhaltsverzeichnis

      NICHT daß ein Engel eintrat (das erkenn),

       erschreckte sie. Sowenig andre, wenn

       ein Sonnenstrahl oder der Mond bei Nacht

       in ihrem Zimmer sich zu schaffen macht,

       auffahren –, pflegte sie an der Gestalt,

       in der ein Engel ging, sich zu entrüsten;

       sie ahnte kaum, daß dieser Aufenthalt

       mühsam für Engel ist. (O wenn wir wüßten,

       wie rein sie war. Hat eine Hirschkuh nicht,

       die, liegend, einmal sie im Wald eräugte,

       sich so in sie versehn, daß sich in ihr,

       ganz ohne Paarigen, das Einhorn zeugte,

       das Tier aus Licht, das reine Tier –,)

       Nicht, daß er eintrat, aber daß er dicht,

       der Engel, eines Jünglings Angesicht

       so zu ihr neigte; daß sein Blick und der,

       mit dem sie aufsah, so zusammenschlugen

       als wäre draußen plötzlich alles leer

       und, was Millionen schauten, trieben, trugen,

       hineingedrängt in sie: nur sie und er;

       Schaun und Geschautes, Aug und Augenweide

       sonst nirgends als an dieser Stelle –: sieh,

       dieses erschreckt. Und sie erschraken beide.

      Dann sang der Engel seine Melodie.

       Inhaltsverzeichnis

      NOCH erging sie’s leicht im Anbeginne,

       doch im Steigen manchmal ward sie schon

       ihres wunderbaren Leibes inne, –

       und dann stand sie, atmend, auf den hohn

      Judenbergen. Aber nicht das Land,

       ihre Fülle war um sie gebreitet;

       gehend fühlte sie: man überschreitet

       nie die Größe, die sie jetzt empfand.

      Und es drängte sie, die Hand zu legen

       auf den andern Leib, der weiter war.

       Und die Frauen schwankten sich entgegen

       und berührten sich Gewand und Haar.

      Jede, voll von ihrem Heiligtume,

       schützte sich mit der Gevatterin.

       Ach der Heiland in ihr war noch Blume,

       doch den Täufer in dem Schlooß der Muhme

       riß die Freude schon zum Hüpfen hin.

       Inhaltsverzeichnis

      UND der Engel sprach und gab sich Müh

       an dem Mann, der seine Fäuste ballte:

       Aber siehst du nicht an jeder Falte,

       daß sie kühl ist wie die Gottesfrüh.

      Doch der andre sah ihn finster an,

       murmelnd nur: Was hat sie so verwandelt?

       Doch da schrie der Engel: Zimmermann,

       merkst du’s noch nicht, daß der Herrgott handelt?

      Weil du Bretter machst, in deinem Stolze,

       willst du wirklich den zu Rede stelln,

       der bescheiden aus dem gleichen Holze

       Blätter treiben macht und Knospen schwelln?

      Er begriff. Und wie er jetzt die Blicke,

       recht erschrocken, zu dem Engel hob,

       war der fort. Da schob er seine dicke

       Mütze langsam ab. Dann sang er lob.


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