Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann

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Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann - E. T. A. Hoffmann


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setzen wird, das Ihr jemals empfunden. – Ich hab es Ilmoro bianco betitelt. Stoßt Euch nicht an die Seltsamkeit des Namens! Er entspricht dem Außerordentlichen, dem Unerhörten des Stücks ganz und gar.“ –

      Mit jedem Worte des geschwätzigen Abbate fühlte sich Giglio mehr aus dem gespannten Zustande gerissen, in dem er sich befunden. Sein ganzes Herz ging auf in Freude, wenn er sich wieder dachte als tragischen Helden, die unvergleichlichen Verse des Herrn Abbate Antonio Chiari deklamierend. Er fragte den Dichter sehr angelegentlich, ob in dem moro bianco auch eine recht schöne dankbare Rolle enthalten, die er spielen könne. „Hab ich“, erwiderte der Abbate in voller Hitze, „hab ich jemals in irgendeinem Trauerspiel andere Rollen gedichtet, als dankbare? – Es ist ein Unglück, daß meine Stücke nicht bis auf die kleinste Rolle von lauter Meistern dargestellt werden können. In dem moro bianco kommt ein Sklave vor, und zwar erst bei dem Beginn der Katastrophe, der die Verse spricht:

      ‚Ah! giorno di dolori! crudel inganno!

       Ah signore infelice, la tua morte

       mi fa piangere e subito partire!‘ –

      dann aber wirklich schnell abgeht und nicht wieder erscheint. Die Rolle ist von geringerm Umfang, ich gestehe es; aber Ihr könnt es mir glauben, Signor Giglio, beinahe ein Menschenalter gehört für den besten Schauspieler dazu, jene Verse in dem Geist vorzutragen, wie ich sie empfangen, wie ich sie gedichtet, wie sie das Volk bezaubern, hinreißen müssen zum wahnsinnigen Entzücken.“

      Unter diesen Gesprächen waren beide, der Abbateund Giglio, in die Straße del Babuino gelangt, wo der Abbate wohnte. Die Treppe, die sie erstiegen, war so hühnersteigartig, daß Giglio zum zweitenmal recht lebhaft an Giacinta dachte und im Innern wünschte, doch lieber das holde Ding anzutreffen, als des Abbate weißen Mohren.

      Der Abbate zündete zwei Kerzen an, rückte dem Giglio einen Lehnstuhl vor den Tisch, holte ein ziemlich dickleibiges Manuskript hervor, setzte sich dem Giglio gegenüber und begann sehr feierlich: „II moro bianco, tragedia etc.“

      Die erste Szene begann mit einem langen Monolog irgendeiner wichtigen Person des Stücks, die erst über das Wetter, über die zu hoffende Ergiebigkeit der bevorstehenden Weinlese sprach, dann aber Betrachtungen über das Unzulässige eines Brudermords anstellte.

      Giglio wußte selbst nicht, wie es kam, daß ihm des Abbate Verse, die er sonst für hochherrlich gehalten, heute so läppisch, so albern, so langweilig vorkamen. Ja! – unerachtet der Abbate alles mit der dröhnenden gewaltigen Stimme des übertriebensten Pathos vortrug, so daß die Wände erbebten, so geriet doch Giglio in einen träumerischen Zustand, in dem ihm alles seltsam zu Sinn kam, was ihm seit dem Tage begegnet, als der Palast Pistoja den abenteuerlichsten aller Maskenzüge in sich aufnahm. Sich ganz diesen Gedanken überlassend drückte er sich tief in die Lehne des Sessels, schlug die Arme übereinander und ließ den Kopf tiefer und tiefer sinken auf die Brust.

      Ein starker Schlag auf die Schulter riß ihn aus den träumerischen Gedanken. „Was?“ schrie der Abbate, der aufgesprungen war und ihm jenen Schlag versetzt hatte, ganz erbost, „was? – ich glaube gar. Ihr schlaft? – Ihr wollt meinen moro bianco nicht hören? – Ha, nun verstehe ich alles. Euer Impresario hatte recht, Euch fortzujagen; denn Ihr seid ein miserabler Bursche worden ohne Sinn und Verstand für das Höchste der Poesie. – Wißt Ihr, daß nun Euer Schicksal entschieden ist, daß Ihr niemals mehr Euch erheben könnt aus dem Schlamm, in den Ihr versunken? – Ihr seid über meinem moro bianco eingeschlafen; das ist ein nie zu sühnendes Verbrechen, eine Sünde wider den heiligen Geist. Schert Euch zum Teufel!“

      Giglio war sehr erschrocken über des Abbate ausgelassenen Zorn. Er stellte ihm de-und wehmütig vor, daß ein starkes festes Gemüt dazu gehöre, seine Trauerspiele aufzufassen, daß aber, was ihn (den Giglio) betreffe, sein ganzes Innere zermalmt und zerknirscht sei von den zum Teil seltsamen spukhaften, zum Teil unglückseligen Begebenheiten, in die er seit den letzten Tagen verwickelt.

      „Glaubt es mir“, sprach Giglio, „glaubt es mir, Signor Abbate, ein geheimnisvolles Verhängnis hat mich erfaßt. Ich gleiche einer zerschlagenen Zither, die keinen Wohllaut in sich aufzunehmen, keinen Wohllaut aus sich heraus ertönen zu lassen vermag. Wähntet Ihr, daß ich während Eurer herrlichen Verse eingeschlafen, so ist so viel gewiß, daß eine krankhafte, unbezwingliche Schlaftrunkenheit dermaßen mich übernahm, daß selbst die kräftigsten Reden Eures unübertrefflichen weißen Mohren mir matt und langweilig vorkamen.“ – „Seid Ihr rasend?“ schrie der Abbate. – „Geratet doch nur nicht in solchen Zorn!“ fuhr Giglio fort. „Ich ehre Euch ja als den höchsten Meister, dem ich meine ganze Kunst zu verdanken und suche bei Euch Rat und Hülfe. Erlaubt, daß ich Euch alles erzähle, wie es sich mit mir begeben, und steht mir bei in höchster Not! Schafft, daß ich mich in den Sonnenglanz des Ruhms, in dem Euer weiße Mohr aufstrahlen wird, stelle und von dem bösesten aller Fieber genese!“

      Der Abbate ward durch diese Rede Giglios besänftigt und ließ sich alles erzählen, von dem verrückten Celionati, von der Prinzessin Brambilla u. s. w.

      Als Giglio geendet, begann der Abbate, nachdem er einige Augenblicke sich tiefem Nachdenken überlassen, mit ernster feierlicher Stimme: „Aus allem, was du mir erzählt, mein Sohn Giglio, entnehme ich mit Recht, daß du völlig unschuldig bist. Ich verzeihe dir, und damit du gewahrest, daß meine Großmut, meine Herzensgüte grenzenlos ist, so werde dir durch mich das höchste Glück, das dir auf deiner irdischen Laufbahn begegnen kann! – Nimm hin die Rolle des moro bianco und die glühendste Sehnsucht deines Innern nach dem Höchsten werde gestillt, wenn du ihn spielest! – Doch, o mein Sohn Giglio, du liegst in den Schlingen des Teufels. Eine höllische Kabale gegen das Höchste der Dichtkunst, gegen meine Trauerspiele, gegen mich, will dich nützen als tötendes Werkzeug. – Hast du nie sprechen gehört von dem alten Fürsten Bastianello di Pistoja, der in jenem alten Palast, wo die maskierten Hasenfüße hineingezogen, hauste und der, schon mehrere Jahre sind es her, aus Rom spurlos verschwand? – Nun, dieser alte Fürst Bastianello war ein gar närrischer Kauz und auf alberne Art seltsam in allem, was er sprach und begann. So behauptete er aus dem Königsstamm eines fernen unbekannten Landes entsprossen und drei-bis vierhundert Jahre alt zu sein, unerachtet ich den Priester selbst kannte, der ihn hier in Rom getauft. Oft sprach er von Besuchen, die er von seiner Familie auf geheimnisvolle Weise erhalte und in der Tat sah man oft plötzlich die abenteuerlichsten Gestalten in seinem Hause, die dann ebenso plötzlich verschwanden, wie sie gekommen. – Gibt es etwas Leichteres, als Bedienten und Mägde seltsam zu kleiden? – denn andere waren doch nicht jene Gestalten, die das dumme Volk voll Erstaunen angaffte und den Fürsten für etwas ganz Besonderes hielt, wohl gar für einen Zauberer. Närrisches Zeug machte er genug, und so viel ist gewiß, daß er einmal zur Karnevalszeit mitten im Korso Pomeranzenkerne ausstreute, woraus sogleich kleine nette Pulcinells emporschossen zum Jubel der Menge und er meinte, das wären die süßesten Früchte der Römer. – Was soll ich Euch indessen mit dem verrückten Unsinn des Fürsten langweilen und nicht lieber gleich das sagen, was ihn als den gefährlichsten Menschen darstellt? Könnt Ihr es Euch wohl denken, daß der verwünschte Alte es darauf abgesehen hatte, allen guten Geschmack in der Literatur und Kunst zu untergraben? – Könnt Ihr es Euch denken, daß er, was vorzüglich das Theater betrifft, die Masken in Schutz nahm und nur das alte Trauerspiel gelten lassen wollte, dann aber von einer Gattung des Trauerspiels sprach, die nur ein verbranntes Gehirn ausbrüten kann? Eigentlich hab ich niemals recht verstanden, was er wollte; aber es kam beinahe so heraus, als behaupte er, daß die höchste Tragik durch eine besondere Art des Spaßes hervorgebracht werden müsse. Und – nein es ist unglaublich, es ist beinahe unmöglich zu sagen – meine Trauerspiele – - versteht Ihr wohl? – meine Trauerspiele, meinte er, wären ungemein spaßhaft, wiewohl auf andere Weise, indem das tragische Pathos sich darin unwillkürlich selbst parodiere. – Was vermögen alberne Gedanken und Meinungen? Hätte der Fürst sich nur damit begnügt; aber in Tat – in grause Tat ging sein Haß über gegen mich und meine Trauerspiele! – Noch ehe Ihr nach Rom gekommen, geschah mir das Entsetzliche. – Das herrlichste meiner Trauerspiele (ich nehme den moro bianco aus) Lo spettro fraterno vendicato, wurde gegeben. Die Schauspieler übertrafen sich selbst; nie hatten sie so den innern Sinn meiner Worte aufgefaßt, nie waren sie in Bewegung und Stellung


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