Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann

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Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann - E. T. A. Hoffmann


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lebendig vor Augen zu bringen. In Deutschland muß man Euch für toll halten, und selbst bei uns würdet Ihr für einen guten Buffone gelten. Ihr könnt auf dem komischen Theater Euer Glück machen.” Schönfeld starrte den Geistlichen mit weit aufgerissenen Augen an, dann erhob er sich auf den Fußspitzen, schlug die Hände über den Kopf zusammen und rief auf italienisch: “Geisterstimme! … Schicksalsstimme, du hast aus dem Munde dieses ehrwürdigen Herrn zu mir gesprochen! … Belcampo … Belcampo … so konntest du deinen wahrhaften Beruf verkennen … es ist entschieden!” – Damit sprang er zur Türe hinaus. Den ändern Morgen trat er reisefertig zu mir herein. “Du bist, mein lieber Bruder Medardus”, sprach er, “nunmehr ganz genesen, du bedarfst meines Beistandes nicht mehr, ich ziehe fort, wohin mich mein innerster Beruf leitet … Lebe wohl! … doch erlaube, daß ich zum letztenmal meine Kunst, die mir nun wie ein schnödes Gewerbe vorkommt, an dir übe.” Er zog Messer, Schere und Kamm hervor und brachte unter tausend Grimassen und possenhaften Reden meine Tonsur und meinen Bart in Ordnung. Der Mensch war mir trotz der Treue, die er mir bewiesen, unheimlich worden, ich war froh, als er geschieden. Der Arzt hatte mir mit stärkender Arznei ziemlich aufgeholfen; meine Farbe war frischer worden, und durch immer längere Spaziergänge gewann ich meine Kräfte wieder. Ich war überzeugt, eine Fußreise aushaken zu können, und verließ ein Haus, das dem Geisteskranken wohltätig, dem Gesunden aber unheimlich und grauenvoll sein mußte. Man hatte mir die Absicht untergeschoben, nach Rom zu pilgern, ich beschloß, dieses wirklich zu tun, und so wandelte ich fort auf der Straße, die als dorthin führend mir bezeichnet worden war. Unerachtet mein Geist vollkommen genesen, war ich mir doch selbst eines gefühllosen Zustande? bewußt, der über jedes im Innern aufkeimende Bild einen düstern Flor warf, so daß alles farblos, grau in grau erschien. Ohne alle deutliche Erinnerung des Vergangenen, beschäftigte mich die Sorge für den Augenblick ganz und gar. Ich sah in die Ferne, um den Ort zu erspähen, wo ich würde einsprechen können, um mir Speise oder Nachtquartier zu erbetteln, und war recht innig froh, wenn Andächtige meinen Bettelsack und meine Flasche gut gefüllt hatten, wofür ich meine Gebete mechanisch herplapperte. Ich war selbst im Geist zum gewöhnlichen stupiden Bettelmönch herabgesunken. So kam ich endlich an das große Kapuzinerkloster, das, wenige Stunden von Rom, nur von Wirtschaftsgebäuden umgeben, einzeln daliegt. Dort mußte man den Ordensbruder aufnehmen, und ich gedachte, mich in voller Gemächlichkeit recht auszupflegen. Ich gab vor, daß, nachdem das Kloster in Deutschland, worin ich mich sonst befand, aufgehoben worden, ich fortgepilgert sei und in irgendein anderes Kloster meines Ordens einzutreten wünsche. Mit der Freundlichkeit, die den italienischen Mönchen eigen, bewirtete man mich reichlich, und der Prior erklärte, daß, insofern mich nicht vielleicht die Erfüllung eines Gelübdes weiterzupilgern nötige, ich als Fremder so lange im Kloster bleiben könne, als es mir anstehen würde. Es war Vesperzeit, die Mönche gingen in den Chor, und ich trat in die Kirche. Der kühne, herrliche Bau des Schiffs setzte mich nicht wenig in Verwunderung, aber mein zur Erde gebeugter Geist konnte sich nicht erheben, wie es sonst geschah, seit der Zeit, als ich, ein kaum erwachtes Kind, die Kirche der heiligen Linde geschaut hatte. Nachdem ich mein Gebet am Hochaltar verrichtet, schritt ich durch die Seitengänge, die Altargemälde betrachtend, welche, wie gewöhnlich, die Martyrien der Heiligen, denen sie geweiht, darstellten. Endlich trat ich in eine Seitenkapelle, deren Altar von den durch die bunten Fensterscheiben brechenden Sonnenstrahlen magisch beleuchtet wurde. Ich wollte das Gemälde betrachten, ich stieg die Stufen hinauf. – Die heilige Rosalia – das verhängnisvolle Altarblatt meines Klosters – Ach! – Aurelien erblickte ich! Mein ganzes Leben – meine tausendfachen Frevel – meine Missetaten – Hermogens – Aureliens Mord – alles – alles nur ein entsetzlicher Gedanke, und der durchfuhr wie ein spitzes glühendes Eisen mein Gehirn. – Meine Brust – Adern und Fibern zerrissen im wilden Schmerz der grausamsten Folter! – Kein lindernder Tod! – Ich warf mich nieder – ich zerriß in rasender Verzweiflung mein Gewand – ich heulte auf im trostlosen Jammer, daß es weit in der Kirche nachhallte: “Ich bin verflucht, ich bin verflucht! – Keine Gnade – kein Trost mehr, hier und dort! – Zur Hölle – zur Hölle – ewige Verdammnis über mich verruchten Sünder beschlossen!” – Man hob mich auf – die Mönche waren in der Kapelle, vor mir stand der Prior, ein hoher, ehrwürdiger Greis. Er schaute mich an mit unbeschreiblich mildem Ernst, er faßte meine Hände, und es war, als halte ein Heiliger, von himmlischem Mitleid erfüllt, den Verlornen in den Lüften über dem Flammenpfuhl fest, in den er hinabstürzen wollte. “Du bist krank, mein Bruder!” sprach der Prior, “wir wollen dich in das Kloster bringen, da magst du dich erholen.” Ich küßte seine Hände, sein Kleid, ich konnte nicht sprechen, nur tiefe, angstvolle Seufzer verrieten den fürchterlichen, zerrissenen Zustand meiner Seele. – Man führte mich in das Refektorium, auf einen Wink des Priors entfernten sich die Mönche, ich blieb mit ihm allein. “Du scheinst, mein Bruder!” fing er an, “von schwerer Sünde belastet, denn nur die tiefste, trostloseste Reue über eine entsetzliche Tat kann sich so gebärden. Doch groß ist die Langmut des Herrn, stark und kräftig ist die Fürsprache der Heiligen, fasse Vertrauen – Du sollst mir beichten, und es wird dir, wenn du büßest, Trost der Kirche werden!” In dem Augenblick schien es mir, als sei der Prior jener alte Pilger aus der heiligen Linde, und nur der sei das einzige Wesen auf der ganzen weiten Erde, dem ich mein Leben voller Sünde und Frevel offenbaren müsse. Noch war ich keines Wortes mächtig, ich warf mich vor dem Greise nieder in den Staub. “Ich gehe in die Kapelle des Klosters”, sprach er mit feierlichem Ton und schritt von dannen. – Ich war gefaßt – ich eilte ihm nach, er saß im Beichtstuhl, und ich tat augenblicklich, wozu mich der Geist unwiderstehlich trieb; ich beichtete alles – alles! – Schrecklich war die Buße, die mir der Prior auflegte. Verstoßen von der Kirche, wie ein Aussätziger verbannt aus den Versammlungen der Brüder, lag ich in den Totengewölben des Klosters, mein Leben kärglich fristend durch unschmackhafte, in Wasser gekochte Kräuter, mich geißelnd und peinigend mit Marterinstrumenten, die die sinnreichste Grausamkeit erfunden, und meine Stimme erhebend nur zur eigenen Anklage, zum zerknirschten Gebet um Rettung aus der Hölle, deren Flammen schon in mir loderten. Aber wenn das Blut aus hundert Wunden rann, wenn der Schmerz in hundert giftigen Skorpionstichen brannte und dann endlich die Natur erlag, bis der Schlaf sie wie ein ohnmächtiges Kind schützend mit seinen Armen umfing, dann stiegen feindliche Traumbilder empor, die mir neue Todesmarter bereiteten. – Mein ganzes Leben gestaltete sich auf entsetzliche Weise. Ich sah Euphemien, wie sie in üppiger Schönheit mir nahte, aber laut schrie ich auf: “Was willst du von mir, Verruchte! Nein, die Hölle hat keinen Teil an mir.” Da schlug sie ihr Gewand auseinander, und die Schauer der Verdammnis ergriffen mich. Zum Gerippe eingedorrt war ihr Leib, aber in dem Gerippe wanden sich unzählige Schlangen durcheinander und streckten ihre Häupter, ihre rotglühenden Zungen mir entgegen. “Laß ab von mir! … Deine Schlangen stechen hinein in die wunde Brust … sie wollen sich mästen von meinem Herzblut … aber dann sterbe ich … dann sterbe ich … der Tod entreißt mich deiner Rache.” So schrie ich auf, da heulte die Gestalt: – “Meine Schlangen können sich nähren von deinem Herzblut … aber das fühlst du nicht, denn das ist nicht deine Qual – deine Qual ist in dir und tötet dich nicht, denn du lebst in ihr. Deine Qual ist der Gedanke des Frevels, und der ist ewig!” – Der blutende Hermogen stieg auf, aber vor ihm floh Euphemie, und er rauschte vorüber, auf die Halswunde deutend, die die Gestalt des Kreuzes hatte. Ich wollte beten, da begann ein sinnverwirrendes Flüstern und Rauschen. Menschen, die ich sonst gesehen, erschienen zu tollen Fratzen verunstaltet. – Köpfe krochen mit Heuschreckenbeinen, die ihnen an die Ohren gewachsen, umher und lachten mich hämisch an – seltsames Geflügel – Raben mit Menschengesichtern rauschten in der Luft – Ich erkannte den Konzertmeister aus B. mit seiner Schwester, die drehte sich in wildem Walzer, und der Bruder spielte dazu auf, aber auf der eigenen Brust streichend, die zur Geige worden. – Belcampo, mit einem häßlichen Eidechsengesicht, auf einem ekelhaften geflügelten Wurm sitzend, fuhr auf mich ein, er wollte meinen Bart kämmen mit eisernem glühendem Kamm – aber es gelang ihm nicht. – Toller und toller wird das Gewirre, seltsamer, abenteuerlicher werden die Gestalten, von der kleinsten Ameise mit tanzenden Menschenfüßchen bis zum langgedehnten Roßgerippe mit funkelnden Augen, dessen Haut zur Schabracke worden, auf der ein Reuter mit leuchtendem Eulenkopfe sitzt. – Ein bodenloser Becher ist sein Leibharnisch – ein umgestülpter Trichter sein Helm! – Der Spaß der Hölle ist emporgestiegen. Ich höre mich lachen, aber dies Lachen zerschneidet die Brust, und brennender wird der Schmerz, und heftiger bluten alle Wunden.
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