Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
Читать онлайн книгу.Bei Aureliens Anblick überfiel mich heilige Scheu, ich wagte es nicht mehr, sie stürmisch zu liebkosen wie sonst. Aurelie bemerkte mein verändertes Betragen, ich gestand ihr reuig den Raub des Briefes an die Äbtissin; ich entschuldigte ihn mit einem unerklärlichen Drange, dem ich, wie der Gewalt einer unsichtbaren höheren Macht, nicht widerstehen können, ich behauptete, daß eben jene höhere, auf mich einwirkende Macht mir jene Vision am Beichtstuhle habe kundtun wollen, um mir zu zeigen, wie unsere innigste Verbindung ihr ewiger Ratschluß sei. “Ja, du frommes Himmelskind”, sprach ich, “auch mir ging einst ein wunderbarer Traum auf, in dem du mir deine Liebe gestandest, aber ich war ein unglücklicher, vom Geschick zermalmter Mönch, dessen Brust tausend Qualen der Hölle zerrissen. – Dich – dich liebte ich mit namenloser Inbrunst, doch Frevel, doppelter, verruchter Frevel war meine Liebe, denn ich war ja ein Mönch und du die heilige Rosalia.” Erschrocken fuhr Aurelie auf. “Um Gott”, sprach sie, “um Gott, es geht ein tiefes, unerforschliches Geheimnis durch unser Leben; ach, Leonard, laß uns nie an dem Schleier rühren, der es umhüllt, wer weiß, was Grauenvolles, Entsetzliches dahinter verborgen. Laß uns fromm sein und fest aneinander halten in treuer Liebe, so widerstehen wir der dunkeln Macht, deren Geister uns vielleicht feindlich bedrohen. Daß du meinen Brief lasest, das mußte so sein; ach! ich selbst hätte dir alles erschließen sollen, kein Geheimnis darf unter uns walten. Und doch ist es mir, als kämpftest du mit manchem, was früher recht verderblich eintrat in dein Leben und was du nicht vermöchtest über die Lippen zu bringen vor unrechter Scheu! – Sei aufrichtig, Leonard! – Ach, wie wird ein freimütiges Geständnis deine Brust erleichtern und heller unsere Liebe strahlen!” – Wohl fühlte ich bei diesen Worten Aureliens recht marternd, wie der Geist des Truges in mir wohne und wie ich nur noch vor wenigen Augenblicken das fromme Kind recht frevelig getäuscht; und dies Gefühl regte sich stärker und stärker auf in wunderbarer Weise, ich mußte Aurelien alles – alles entdecken und doch ihre Liebe gewinnen. “Aurelie – du meine Heilige – die mich rettet von …” In dem Augenblick trat die Fürstin herein, ihr Anblick warf mich plötzlich zurück in die Hölle, voll Hohn und Gedanken des Verderbens. Sie mußte mich jetzt dulden, ich blieb und stellte mich als Aureliens Bräutigam kühn und keck ihr entgegen. Überhaupt war ich nur frei von allen bösen Gedanken, wenn ich mit Aurelien allein mich befand; dann ging mir aber auch die Seligkeit des Himmels auf. Jetzt erst wünschte ich lebhaft meine Vermählung mit Aurelien. – In einer Nacht stand lebhaft meine Mutter vor mir, ich wollte ihre Hand ergreifen und wurde gewahr, daß es nur Duft sei, der sich gestaltet. “Weshalb diese alberne Täuschung?” rief ich erzürnt; da flössen helle Tränen aus meiner Mutter Augen, die wurden aber zu silbernen, hellblinkenden Sternen, aus denen leuchtende Tropfen fielen und um mein Haupt kreisten, als wollten sie einen Heiligenschein bilden, doch immer zerriß eine schwarze, fürchterliche Faust den Kreis. “Du, den ich rein von jeder Untat geboren”, sprach meine Mutter mit sanfter Stimme, “ist denn deine Kraft gebrochen, daß du nicht zu widerstehen vermagst den Verlockungen des Satans? – Jetzt kann ich erst dein Innres durchschauen, denn mir ist die Last des Irdischen entnommen! – Erhebe dich, Franziskus! ich will dich schmücken mit Bändern und Blumen, denn es ist der Tag des heiligen Bernardus gekommen, und du sollst wieder ein frommer Knabe sein!” – Da war es mir, als müsse ich wie sonst einen Hymnus anstimmen zum Lobe des Heiligen, aber entsetzlich tobte es dazwischen, mein Gesang wurde ein wildes Geheul, und schwarze Schleier rauschten herab zwischen mir und der Gestalt meiner Mutter. – Mehrere Tage nach dieser Vision begegnete mir der Kriminalrichter auf der Straße. Er trat freundlich auf mich zu. “Wissen Sie schon”, fing er an, “daß der Prozeß des Kapuziners Medardus wieder zweifelhaft worden? Das Urteil, das ihm höchstwahrscheinlich den Tod zuerkannt hätte, sollte schon abgefaßt werden, als er aufs neue Spuren des Wahnsinns zeigte. Das Kriminalgericht erhielt nämlich die Nachricht von dem Tode seiner Mutter; ich machte es ihm bekannt, da lachte er wild auf und rief mit einer Stimme, die selbst dem standhaftesten Gemüt Entsetzen erregen konnte: >Ha ha ha! – die Prinzessin von … (er nannte die Gemahlin des ermordeten Bruders unsers Fürsten) ist längst gestorben!< – Es ist jetzt eine neue ärztliche Untersuchung verfügt, man glaubt jedoch, daß der Wahnsinn des Mönchs verstellt sei.” – Ich ließ mir Tag und Stunde des Todes meiner Mutter sagen! Sie war mir in demselben Moment, als sie starb, erschienen, und tief eindringend in Sinn und Gemüt, war nun auch die nur zu sehr vergessene Mutter die Mittlerin zwischen mir und der reinen Himmelsseele, die mein werden sollte. Milder und weicher geworden, schien ich nun erst Aureliens Liebe ganz zu verstehen, ich mochte sie wie eine mich beschirmende Heilige kaum verlassen, und mein düsteres Geheimnis wurde, indem sie nicht mehr deshalb in mich drang, nun ein mir selbst unerforschliches, von höheren Mächten verhängtes Ereignis. – Der von dem Fürsten bestimmte Tag der Vermählung war gekommen. Aurelie wollte in erster Frühe vor dem Altar der heiligen Rosalia in der nahe gelegenen Klosterkirche getraut sein. Wachend und nach langer Zeit zum erstenmal inbrünstig betend, brachte ich die Nacht zu. Ach! ich Verblendeter fühlte nicht, daß das Gebet, womit ich mich zur Sünde rüstete, höllischer Frevel sei! – Als ich zu Aurelien eintrat, kam sie mir, weiß gekleidet und mit duftenden Rosen geschmückt, in holder Engelsschönheit entgegen. Ihr Gewand sowie ihr Haarschmuck hatte etwas sonderbar Altertümliches, eine dunkle Erinnerung ging in mir auf, aber von tiefen Schauer fühlte ich mich durchbebt, als plötzlich lebhaft das Bild des Altars, an dem wir getraut werden sollten, mir vor Augen stand. Das Bild stellte das Martyrium der heiligen Rosalia vor, und gerade so wie Aurelie war sie gekleidet. – Schwer wurde es mir, den grausigen Eindruck, den dies auf mich machte, zu verbergen. Aurelie gab mir mit einem Blick, aus dem ein ganzer Himmel voll Liebe und Seligkeit strahlte, die Hand, ich zog sie an meine Brust, und mit dem Kuß des reinsten Entzückens durchdrang mich aufs neue das deutliche Gefühl, daß nur durch Aurelie meine Seele errettet werden könne. Ein fürstlicher Bedienter meldete, daß die Herrschaft bereit sei, uns zu empfangen. Aurelie zog schnell die Handschuhe an, ich nahm ihren Arm, da bemerkte das Kammermädchen, daß das Haar in Unordnung gekommen sei, sie sprang fort, um Nadeln zu holen. Wir warteten an der Türe, der Aufenthalt schien Aurelien unangenehm. In dem Augenblick entstand ein dumpfes Geräusch auf der Straße, hohle Stimmen riefen durcheinander, und das dröhnende Gerassel eines schweren, langsam rollenden Wagens ließ sich vernehmen. Ich eilte ans Fenster! – Da stand eben vor dem Palast der vom Henkersknecht geführte Leiterwagen, auf dem der Mönch rückwärts saß, vor ihm ein Kapuziner, laut und eifrig mit ihm betend. Er war entstellt von der Blässe der Todesangst und dem struppigen Bart – doch waren die Züge des gräßlichen Doppeltgängers mir nur zu kenntlich. – Sowie der Wagen, augenblicklich gehemmt durch die andrängende Volksmasse, wieder fortrollte, warf er den stieren, entsetzlichen Blick der funkelnden Augen zu mir herauf und lachte und heulte herauf: “Bräutigam, Bräutigam! … komm … komm aufs Dach … aufs Dach … da wollen wir ringen miteinander, und wer den ändern herabstößt, ist König und darf Blut trinken!” Ich schrie auf: “Entsetzlicher Mensch … was willst du … was willst du von mir.” – Aurelie umfaßte mich mit beiden Armen, sie riß mich mit Gewalt vom Fenster, rufend: “Um Gott und der heiligen Jungfrau willen .. Sie führen den Medardus … den Mörder meines Bruders, zum Tode … Leonard … Leonard!” – Da wurden die Geister der Hölle in mir wach und bäumten sich auf mit der Gewalt, die ihnen verliehen über den frevelnden, verruchten Sünder. – Ich erfaßte Aurelien mit grimmer Wut, daß sie zusammenzuckte: “Ha ha ha … Wahnsinniges, töriges Weib … ich .. ich, dein Buhle, dein Bräutigam, bin der Medardus … bin deines Bruders Mörder … du, Braut des Mönchs, willst Verderben herab winseln über deinen Bräutigam? Ho ho ho! … ich bin König … ich trinke dein Blut!” – Das Mordmesser riß ich heraus – ich stieß nach Aurelien, die ich zu Boden fallen lassen – ein Blutstrom sprang hervor über meine Hand. –Ich stürzte die Treppen hinab, durch das Volk hin zum Wagen, ich riß den Mönch herab und warf ihn zu Boden; da wurde ich festgepackt, wütend stieß ich mit dem Messer um mich herum – ich wurde frei – ich sprang fort – man drang auf mich ein, ich fühlte mich in der Seite durch einen Stich verwundet, aber das Messer in der rechten Hand und mit der linken kräftige Faustschläge austeilend, arbeitete ich mich durch bis an die nahe Mauer des Parks, die ich mit einem fürchterlichen Satz übersprang. “Mord … Mord … Haltet … haltet den Mörder!” riefen Stimmen hinter mir her, ich hörte es rasseln, man wollte das verschlossene Tor des Parks sprengen, unaufhaltsam rannte ich fort. Ich kam an den breiten Graben, der den Park von dem dicht dabei gelegenen Walde trennte, ein mächtiger Sprung