Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann

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Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann - E. T. A. Hoffmann


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aus dem Gebüsch hervorrauschend, ein Mensch auf meinen Rücken sprang und mich mit den Armen umhalste. Vergebens versuchte ich, ihn abzuschütteln – ich warf mich nieder, ich drückte mich hinterrücks an die Bäume, alles umsonst. Der Mensch kicherte und lachte höhnisch; da brach der Mond helleuchtend durch die schwarzen Tannen, und das totenbleiche, gräßliche Gesicht des Mönchs – des vermeintlichen Medardus, des Doppeltgängers, starrte mich an mit dem gräßlichen Blick, wie von dem Wagen herauf. – “Hi … hi … hi… Brüderlein … Brüderlein, immer, immer bin ich bei dir … lasse dich nicht … lasse … dich nicht… Kann nicht lau … laufen … wie du … mußt mich tra … tragen .. Komme vom Ga … Galgen … haben mich rä … rädern wollen … hi hi…” So lachte und heulte das grause Gespenst, indem ich, von wildem Entsetzen gekräftigt; hoch emporsprang wie ein von der Riesenschlange eingeschnürter Tiger! – Ich raste gegen Baumund Felsstücke, um ihn, wo nicht zu töten, doch wenigstens hart zu verwunden, daß er mich zu lassen genötigt sein sollte. Dann lachte er stärker, und mich nur traf jäher Schmerz; ich versuchte seine unter meinem Kinn festgeknoteten Hände loszuwinden, aber die Gurgel einzudrücken drohte mir des Ungetümes Gewalt. Endlich, nach tollem Rasen, fiel er plötzlich herab, aber kaum war ich einige Schritte fortgerannt, als er von neuem auf meinem Rücken saß, kichernd und lachend und jene entsetzliche Worte stammelnd! Aufs neue jene Anstrengungen wilder Wut – aufs neue befreit! – aufs neue umhalst von dem fürchterlichen Gespenst. – Es ist mir nicht möglich, deutlich anzugeben, wie lange ich, von dem Doppeltgänger verfolgt, durch finstre Wälder floh, es ist mir so, als müsse das Monate hindurch, ohne daß ich Speise und Trank genoß, gedauert haben. Nur eines lichten Augenblicks erinnere ich mich lebhaft, nach welchem ich in gänzlich bewußtlosen Zustand verfiel. Eben war es mir geglückt, meinen Doppeltgänger abzuwerfen, als ein heller Sonnenstrahl und mit ihm ein holdes, anmutiges Tönen den Wald durchdrang. Ich unterschied eine Klosterglocke, die zur Frühmette läutete. “Du hast Aurelie ermordet!” Der Gedanke erfaßte mich mit des Todes eiskalten Armen, und ich sank bewußtlos nieder.

      Zweiter Abschnitt

      Die Buße

       Inhaltsverzeichnis

      Eine sanfte Wärme glitt durch mein Inneres. Dann fühlte ich es in allen Adern seltsam arbeiten und prickeln; dies Gefühl wurde zu Gedanken, doch war mein Ich hundertfach zerteilt. Jeder Teil hatte im eignen Regen eignes Bewußtsein des Lebens, und umsonst gebot das Haupt den Gliedern, die wie untreue Vasallen sich nicht sammeln mochten unter seiner Herrschaft. Nun fingen die Gedanken der einzelnen Teile an, sich zu drehen wie leuchtende Punkte, immer schneller und schneller, so daß sie einen Feuerkreis bildeten, der wurde kleiner, so wie die Schnelligkeit wuchs, daß er zuletzt nur eine stillstehende Feuerkugel schien. Aus der schössen rotglühende Strahlen und bewegten sich im farbichten Flammenspiel. “Das sind meine Glieder, die sich regen, jetzt erwache ich!” So dachte ich deutlich, aber in dem Augenblick durchzuckte mich ein jäher Schmerz, helle Glockentöne schlugen an mein Ohr. “Fliehen, weiter fort! – weiter fort!” rief ich laut, wollte mich schnell aufraffen, fiel aber entkräftet zurück. Jetzt erst vermochte ich die Augen zu öffnen. Die Glockentöne dauerten fort – ich glaubte noch im Walde zu sein, aber wie erstaunte ich, als ich die Gegenstände ringsumher, als ich mich selbst betrachtete. In dem Ordenshabit der Kapuziner lag ich in einem hohen, einfachen Zimmer auf einer wohlgepolsterten Matratze ausgestreckt. Ein paar Rohrstühle, ein kleiner Tisch und ein ärmliches Bett waren die einzigen Gegenstände, die sich noch im Zimmer befanden. Es wurde mir klar, daß mein bewußtloser Zustand eine Zeitlang gedauert haben und daß ich in demselben auf diese oder jene Weise in ein Kloster gebracht sein mußte, das Kranke aufnehme. Vielleicht war meine Kleidung zerrissen, und man gab mir vorläufig eine Kutte. Der Gefahr, so schien es mir, war ich entronnen. Diese Vorstellungen beruhigten mich ganz, und ich beschloß abzuwarten, was sich weiter zutragen würde, da ich voraussetzen konnte, daß man bald nach dem Kranken sehen würde. Ich fühlte mich sehr matt, sonst aber ganz schmerzlos. Nur einige Minuten hatte ich so, zum vollkommenen Bewußtsein erwacht, gelegen, als ich Tritte vernahm, die sich wie auf einem langen Gange näherten. Man schloß meine Türe auf, und ich erblickte zwei Männer, von denen einer bürgerlich gekleidet war, der andere aber den Ordenshabit der Barmherzigen Brüder trug. Sie traten schweigend auf mich zu, der bürgerlich Gekleidete sah mir scharf in die Augen und schien sehr verwundert. “Ich bin wieder zu mir selbst gekommen, mein Herr”, fing ich mit matter Stimme an, “dem Himmel sei es gedankt, der mich zum Leben erweckt hat – wo befinde ich mich aber? wie bin ich hergekommen?” – Ohne mir zu antworten, wandte sich der bürgerlich Gekleidete zu dem Geistlichen und sprach auf italienisch: “Das ist in der Tat erstaunenswürdig, der Blick ist ganz geändert, die Sprache rein, nur matt … es muß eine besondere Krisis eingetreten sein.” –“Mir scheint”, erwiderte der Geistliche, “mir scheint, als wenn die Heilung nicht mehr zweifelhaft sein könne.” “Das kommt”, fuhr der bürgerlich Gekleidete fort, “das kommt darauf an, wie er sich in den nächsten Tagen hält. Verstehen Sie nicht so viel Deutsch, um mit ihm zu sprechen?” “Leider nein”, antwortete der Geistliche. – “Ich verstehe und spreche Italienisch”, fiel ich ein; “sagen Sie mir, wo bin ich, wie bin ich hergekommen?” – Der bürgerlich Gekleidete, wie ich wohl merken konnte, ein Arzt, schien freudig verwundert. “Ah”, rief er aus, “ah, das ist gut. Ihr befindet Euch, ehrwürdiger Herr! an einem Orte, wo man nur für Euer Wohl auf alle mögliche Weise sorgt. Ihr wurdet vor drei Monaten in einem sehr bedenklichen Zustande hergebracht. Ihr wart sehr krank, aber durch unsere Sorgfalt und Pflege scheint Ihr Euch auf dem Wege der Genesung zu befinden. Haben wir das Glück, Euch ganz zu heilen, so könnt Ihr ruhig Eure Straße fortwandeln, denn wie ich höre, wollt Ihr nach Rom?” – “Bin ich denn”, frug ich weiter, “in der Kleidung, die ich trage, zu Euch gekommen?” – “Freilich”, erwiderte der Arzt, “aber laßt das Fragen, beunruhigt Euch nur nicht, alles sollt Ihr erfahren, die Sorge für Eure Gesundheit ist jetzt das vornehmlichste.” Er faßte meinen Puls, der Geistliche hatte unterdessen eine Tasse herbeigebracht, die er mir darreichte. “Trinkt”, sprach der Arzt, “und sagt mir dann, wofür Ihr das Getränk haltet.” – “Es ist”, erwiderte ich, nachdem ich getrunken, “es ist eine gar kräftig zubereitete Fleischbrühe.” – Der Arzt lächelte zufrieden und rief dem Geistlichen zu: “Gut, sehr gut!” – Beide verließen mich. Nun war meine Vermutung, wie ich glaubte, richtig. Ich befand mich in einem öffentlichen Krankenhause. Man pflegte mich mit stärkenden Nahrungsmitteln und kräftiger Arzenei, so daß ich nach drei Tagen imstande war aufzustehen. Der Geistliche öffnete ein Fenster, eine warme, herrliche Luft, wie ich sie nie geatmet, strömte herein, ein Garten schloß sich an das Gebäude, herrliche fremde Bäume grünten und blühten, Weinlaub rankte sich üppig an der Mauer empor, vor allem aber war mir der dunkelblaue, duftige Himmel eine Erscheinung aus ferner Zauberwelt. “Wo bin ich denn”, rief ich voll Entzücken aus, “haben mich die Heiligen gewürdigt, in einem Himmelslande zu wohnen?” Der Geistliche lächelte wohlbehaglich, indem er sprach: “Ihr seid in Italien, mein Bruder! in Italien!” – Meine Verwunderung wuchs bis zum höchsten Grade, ich drang in den Geistlichen, mir genau die Umstände meines Eintritts in dies Haus zu sagen, er wies mich an den Doktor. Der sagte mir endlich, daß vor drei Monaten mich ein wunderlicher Mensch hergebracht und gebeten habe, mich aufzunehmen; ich befände mich nämlich in einem Krankenhause, das von Barmherzigen Brüdern verwaltet werde. Sowie ich mich mehr und mehr erkräftigte, bemerkte ich, daß beide, der Arzt und der Geistliche, sich in mannigfache Gespräche mit mir einließen und mir vorzüglich Gelegenheit gaben, lange hintereinander zu erzählen. Meine ausgebreiteten Kenntnisse in den verschiedensten Fächern des Wissens gaben mir reichen Stoff dazu, und der Arzt lag mir an, manches niederzuschreiben, welches er dann in meiner Gegenwart las und sehr zufrieden schien. Doch fiel es mir oft seltsamlich auf, daß er, statt meine Arbeit selbst zu loben, immer nur sagte: “In der Tat … das geht gut … ich habe mich nicht getäuscht! … wunderbar … wunderbar!” Ich durfte nun zu gewissen Stunden in den Garten hinab, wo ich manchmal grausig entstellte, totenblasse, bis zum Geripp ausgetrocknete Menschen, von Barmherzigen Brüdern geleitet, erblickte. Einmal begegnete mir, als ich schon im Begriff stand, in das Haus zurückzukehren, ein langer, hagerer Mann, in einem seltsamen erdgelben Mantel, der wurde von zwei


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