Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann

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Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann - E. T. A. Hoffmann


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Kraft. Bald wird man gewahr, daß eine starke Faust, ein Harnisch, ein mächtig geschwungenes Schwert nicht hinreichen, das zu besiegen, was der Geist will; selbst Krieg und Waffenübung unterwerfen sich dem geistigen Prinzip der Zeit. Jeder wird immer mehr und mehr auf sich selbst gestellt, aus seinem innern geistigen Vermögen muß er das schöpfen, womit er, gibt der Staat ihm auch irgendeinen blendenden äußern Glanz, sich der Welt geltend machen muß. Auf das entgegengesetzte Prinzip stützt sich der aus dem Rittertum hervorgehende Ahnenstolz, der nur in dem Satz seinen Grund findet: Meine Voreltern waren Helden, also bin ich dito ein Held. Je höher das hinaufgeht, desto besser; denn kann man das leicht absehen, wo einem Großpapa der Heldensinn kommen und ihm der Adel verliehen worden, so traut man dem, wie allem Wunderbaren, das zu nahe liegt, nicht recht. Alles bezieht sich wieder auf Heldenmut und körperliche Kraft. Starke, robuste Eltern haben wenigstens in der Regel eben dergleichen Kinder, und ebenso vererbt sich kriegerischer Sinn und Mut. Die Ritterkaste rein zu erhalten, war daher wohl Erfordernis jener alten Ritterzeit und kein geringes Verdienst für ein altstämmiges Fräulein, einen Junker zu gebären, zu dem die arme bürgerliche Welt flehte: >Bitte, friß uns nicht, sondern schütze uns vor ändern Junkern<; mit dem geistigen Vermögen ist es nicht so. Sehr weise Väter erzielen oft dumme Söhnchen, und es möchte, eben weil die Zeit dem physischen Rittertum das psychische untergeschoben hat, rücksichts des Beweises angeerbten Adels ängstlicher sein, von Leibniz abzustammen als von Amadis von Gallien oder sonst einem uralten Ritter der Tafelrunde. In der einmal bestimmten Richtung schreitet der Geist der Zeit vorwärts, und die Lage des ahnenstolzen Adels verschlimmert sich merklich; daher denn auch wohl jenes taktlose, aus Anerkennung des Verdienstes und widerlicher Herablassung gemischte Benehmen gegen der Welt und dem Staat hoch geltende Bürgerliche das Erzeugnis eines dunkeln, verzagten Gefühls sein mag, in dem sie ahnen, daß vor den Augen der Weisen der veraltete Tand längst verjährter Zeit abfällt und die lächerliche Blöße sich ihnen frei darstellt. Dank sei es dem Himmel, viele Adlige, Männer und Frauen, erkennen den Geist der Zeit und schwingen sich auf im herrlichen Fluge zu der Lebenshöhe, die ihnen Wissenschaft und Kunst darbieten; diese werden die wahren Geisterbanner jenes Unholds sein.”

      Des Leibarztes Gespräch hatte mich in ein fremdes Gebiet geführt. Niemals war es mir eingefallen, über den Adel und über sein Verhältnis zum Bürger zu reflektieren. Wohl mochte der Leibarzt nicht ahnen, daß ich ehedem eben zu der zweiten Klasse gehört hatte, die nach seiner Behauptung der Stolz des Adels nicht trifft. – War ich denn nicht in den vornehmsten adeligen Häusern zu B. der hochgeachtete, hochverehrte Beichtiger? – Weiter nachsinnend, erkannte ich, wie ich selbst aufs neue mein Schicksal verschlungen hatte, indem aus dem Namen Kwiecziczewo, den ich jener alten Dame bei Hofe nannte, mein Adel entsprang und so dem Fürsten der Gedanke einkam, mich mit Aurelien zu vermählen.

      Die Fürstin war zurückgekommen. Ich eilte zu Aurelien. Sie empfing mich mit holder jungfräulicher Verschämtheit; ich schloß sie in meine Arme und glaubte in dem Augenblick daran, daß sie mein Weib werden könne. Aurelie war weicher, hingebender als sonst. Ihr Auge hing voll Tränen, und der Ton, indem sie sprach, war wehmütige Bitte, so wie wenn im Gemüt des schmollenden Kindes sich der Zorn bricht, in dem es gesündigt. – Ich durfte an meinen Besuch im Lustschloß der Fürstin denken, lebhaft drang ich darauf, alles zu erfahren; ich beschwor Aurelien, mir zu vertrauen, was sie damals so erschrecken konnte. – Sie schwieg, sie schlug die Augen nieder, aber sowie mich selbst der Gedanke meines gräßlichen Doppeltgängers stärker erfaßte, schrie ich auf: “Aurelie! um aller Heiligen willen, welche schreckliche Gestalt erblicktest du hinter uns!” Sie sah mich voll Verwunderung an, immer starrer und starrer wurde ihr Blick, dann sprang sie plötzlich auf, als wolle sie fliehen, doch blieb sie und schluchzte, beide Hände vor die Augen gedrückt: “Nein, nein, nein – er ist es ja nicht!” – Ich erfaßte sie sanft, erschöpft ließ sie sich nieder. “Wer, wer ist es nicht?” – frug ich heftig, wohl alles ahnend, was in ihrem Innern sich entfalten mochte. – “Ach, mein Freund, mein Geliebter”, sprach sie leise und wehmütig, “würdest du mich nicht für eine wahnsinnige Schwärmerin halten, wenn ich alles … alles … dir sagen sollte, was mich immer wieder so verstört im vollen Glück der reinsten Liebe? – Ein grauenvoller Traum geht durch mein Leben, er stellte sich mit seinen entsetzlichen Bildern zwischen uns, als ich dich zum ersten Male sah; wie mit kalten Todesschwingen wehte er mich an, als du so plötzlich eintratst in mein Zimmer auf dem Lustschloß der Fürstin. Wisse, so wie du damals, kniete einst neben mir ein verruchter Mönch und wollte heiliges Gebet mißbrauchen zum gräßlichen Frevel. Er wurde, als er, wie ein wildes Tier listig auf seine Beute lauernd, mich umschlich, der Mörder meines Bruders! Ach und du! … deine Züge! .. deine Sprache … jenes Bild! … laß mich schweigen, o laß mich schweigen.” Aurelie bog sich zurück; in halb liegender Stellung lehnte sie, den Kopf auf die Hand gestützt, in die Ecke des Sofas, üppiger traten die schwellenden Umrisse des jugendlichen Körpers hervor. Ich stand vor ihr, das lüsterne Auge schwelgte in dem unendlichen Liebreiz, aber mit der Lust kämpfte der teuflische Hohn, der in mir rief: “Du Unglückselige, du dem Satan Erkaufte, bist du ihm denn entflohen, dem Mönch, der dich im Gebet zur Sünde verlockte? Nun bist du seine Braut … seine Braut!” – In dem Augenblick war jene Liebe zu Aurelien, die ein Himmelsstrahl zu entzünden schien, als, dem Gefängnis, dem Tode entronnen, ich sie im Park wiedersah, aus meinem Innern verschwunden, und der Gedanke, daß ihr Verderben meines Lebens glänzendster Lichtpunkt sein könne, erfüllte mich ganz und gar. – Man rief Aurelien zur Fürstin. Klar wurde es mir, daß Aureliens Leben gewisse mir noch unbekannte Beziehungen auf mich selbst haben müsse; und doch fand ich keinen Weg, dies zu erfahren, da Aurelie, alles Bittens unerachtet, jene einzelne hingeworfene Äußerungen nicht näher deuten wollte. Der Zufall enthüllte mir das, was sie zu verschweigen gedachte. – Eines Tages befand ich mich im Zimmer des Hofbeamten, dem es oblag, alle Privatbriefe des Fürsten und der dem Hofe Angehörigen zur Post zu befördern. Er war eben abwesend, als Aureliens Mädchen mit einem starken Briefe hineintrat und ihn auf den Tisch zu den übrigen, die schon dort befindlich, legte. Ein flüchtiger Blick überzeugte mich, daß die Aufschrift an die Äbtissin, der Fürstin Schwester, von Aureliens Hand war. Die Ahnung, alles noch nicht Erforschte sei darin enthalten, durchflog mich mit Blitzesschnelle; noch ehe der Beamte zurückgekehrt, war ich fort mit dem Briefe Aureliens. Du Mönch oder im weltlichen Treiben Befangener, der du aus meinem Leben Lehre und Warnung zu schöpfen trachtest, lies die Blätter, die ich hier einschalte, lies die Geständnisse des frommen, reinen Mädchens, von den bittern Tränen des reuigen, hoffnungslosen Sünders benetzt. Möge das fromme Gemüt dir aufgehen wie leuchtender Trost in der Zeit der Sünde und des Frevels.

      Aurelie an die Äbtissin des Zisterzienser-Nonnenklosters zu …

      Meine teure gute Mutter! mit welchen Worten soll ich Dir’s denn verkünden, daß Dein Kind glücklich ist, daß endlich die grause Gestalt, die, wie ein schrecklich drohendes Gespenst, alle Blüten abstreifend, alle Hoffnungen zerstörend, in mein Leben trat, gebannt wurde durch der Liebe göttlichen Zauber. Aber nun fällt es mir recht schwer aufs Herz, daß, wenn du meines unglücklichen Bruders, meines Vaters, den der Gram tötete, gedachtest und mich aufrichtetest in meinem trostlosen Jammer – daß ich dann dir nicht wie in heiliger Beichte mein Innres ganz aufschloß. Doch ich vermag ja auch nun erst das düstre Geheimnis auszusprechen, das tief in meiner Brust verborgen lag. Es ist, als wenn eine böse, unheimliche Macht mir mein höchstes Lebensglück recht trügerisch wie ein grausiges Schreckbild vorgaukelte. Ich sollte wie auf einem wogenden Meer hin und her schwanken und vielleicht rettungslos untergehen. Doch der Himmel half, wie durch ein Wunder, in dem Augenblick, als ich im Begriff stand, unnennbar elend zu werden. – Ich muß zurückgehen in meine frühe Kinderzeit, um alles, alles zu sagen, denn schon damals wurde der Keim in mein Innres gelegt, der so lange Zeit hindurch verderblich fortwucherte. Erst drei oder vier Jahre war ich alt, als ich einst in der schönsten Frühlingszeit im Garten unseres Schlosses mit Hermogen spielte. Wir pflückten allerlei Blumen, und Hermogen, sonst eben nicht dazu aufgelegt, ließ es sich gefallen, mir Kränze zu flechten, in die ich mich putzte. “Nun wollen wir zur Mutter gehen”, sprach ich, als ich mich über und über mit Blumen behängt hatte; da sprang aber Hermogen hastig auf und rief mit wilder Stimme: “Laß uns nur hier bleiben, klein Ding! die Mutter ist im blauen Kabinett und spricht mit dem Teufel!” – Ich wußte gar nicht, was er damit sagen wollte, aber dennoch erstarrte ich vor Schreck und fing endlich an,


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