Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
Читать онлайн книгу.seinen Knechten, die mir die Fesseln von den wunden Armen und Füßen ablösten. Ich solle bald zum Verhör hinaufgeführt werden, hieß es. Tief in mich gekehrt, mit dem Gedanken des nahen Todes vertraut, schritt ich hinauf in den Gerichtssaal; mein Bekenntnis hatte ich im Innern so geordnet, daß ich dem Richter eine kurze, aber den kleinsten Umstand mit aufgreifende Erzählung zu machen hoffte. Der Richter kam mir schnell entgegen, ich mußte höchst entstellt aussehen, denn bei meinem Anblick verzog sich schnell das freudige Lächeln, das erst auf seinem Gesicht schwebte, zur Miene des tiefsten Mitleids. Er faßte meine beiden Hände und schob mich sanft in seinen Lehnstuhl. Dann mich starr anschauend, sagte er langsam und feierlich: “Herr von Krcszinski! ich habe Ihnen Frohes zu verkünden! Sie sind frei! Die Untersuchung ist auf Befehl des Fürsten niedergeschlagen worden. Man hat Sie mit einer ändern Person verwechselt, woran Ihre ganz unglaubliche Ähnlichkeit mit dieser Person schuld ist. Klar, ganz klar ist Ihre Schuldlosigkeit dargetan! … Sie sind frei!” – Es schwirrte und sauste und drehte sich alles um mich her. – Des Richters Gestalt blinkte, hundertfach vervielfältigt, durch den düstern Nebel, alles schwand in dicker Finsternis. – Ich fühlte endlich, daß man mir die Stirne mit starkem Wasser rieb, und erholte mich aus dem ohnmachtähnlichen Zustande, in den ich versunken. Der Richter las mir ein kurzes Protokoll vor, welches sagte, daß er mir die Niederschlagung des Prozesses bekannt gemacht und meine Entlassung aus dem Kerker bewirkt habe. Ich unterschrieb schweigend, keines Wortes war ich mächtig. Ein unbeschreibliches, mich im Innersten vernichtendes Gefühl ließ keine Freude aufkommen. Sowie mich der Richter mit recht in das Herz dringender Gutmütigkeit anblickte, war es mir, als müsse ich nun, da man an meine Unschuld glaubte und mich freilassen wollte, allen verruchten Frevel, den ich begangen, frei gestehen und dann mir das Messer in das Herz stoßen. – Ich wollte reden – der Richter schien meine Entfernung zu wünschen. Ich ging nach der Türe, da kam er mir nach und sagte leise: “Nun habe ich aufgehört, Richter zu sein; von dem ersten Augenblick, als ich Sie sah, interessierten Sie mich auf das höchste. So sehr, wie (Sie werden dies selbst zugeben müssen) der Schein wider Sie war, so wünschte ich doch gleich, daß Sie in der Tat nicht der abscheuliche, verbrecherische Mönch sein möchten, für den man Sie hielt. Jetzt darf ich Ihnen zutraulich sagen … Sie sind kein Pole. Sie sind nicht in Kwiecziczewo geboren. Sie heißen nicht Leonard von Krcszinski.” – Mit Ruhe und Festigkeit antwortete ich: “Nein!” – “Und auch kein Geistlicher?” frug der Richter weiter, indem er die Augen niederschlug, wahrscheinlich um mir den Blick des Inquisitors zu ersparen. Es wallte auf in meinem Innern. – “So hören Sie denn”, fuhr ich heraus – “Still”, unterbrach mich der Richter, “was ich gleich anfangs geglaubt und noch glaube, bestätigt sich. Ich sehe, daß hier rätselhafte Umstände walten, und daß Sie selbst mit gewissen Personen des Hofes in ein geheimnisvolles Spiel des Schicksals verflochten sind. Es ist nicht mehr meines Berufs, tiefer einzudringen, und ich würde es für unziemlichen Vorwitz halten, Ihnen irgend etwas über Ihre Person, über Ihre wahrscheinlich ganz eigne Lebensverhältnisse entlocken zu wollen! – Doch, wie wäre es, wenn Sie, sich losreißend von allem Ihrer Ruhe Bedrohlichem, den Ort verließen. Nach dem, was geschehen, kann Ihnen ohnedies der Aufenthalt hier nicht wohltun.” – Sowie der Richter dieses sprach, war es, als flöhen alle finstre Schatten, die sich drückend über mich gelegt hatten, schnell von hinnen. Das Leben war wiedergewonnen, und die Lebenslust stieg durch Nerv und Adern glühend in mir auf. Aurelie! sie dachte ich wieder, und ich sollte jetzt fort von dem Orte, fort von ihr? – Tief seufzte ich auf: “Und sie verlassen?” – Der Richter blickte mich im höchsten Erstaunen an und sagte dann schnell: “Ach! jetzt glaube ich klar zu sehen! Der Himmel gebe, Herr Leonard! daß eine sehr schlimme Ahnung, die mir eben jetzt recht deutlich wird, nicht in Erfüllung gehen möge.” – Alles hatte sich in meinem Innern anders gestaltet. Hin war alle Reue, und wohl mochte es beinahe frevelnde Frechheit sein, daß ich den Richter mit erheuchelter Ruhe frug: “Und Sie halten mich doch für schuldig?” – “Erlauben Sie, mein Herr!” erwiderte der Richter sehr ernst, “daß ich meine Überzeugungen, die doch nur auf ein reges Gefühl gestützt scheinen, für mich behalte. Es ist ausgemittelt nach bester Form und Weise, daß Sie nicht der Mönch Medardus sein können, da eben dieser Medardus sich hier befindet und von dem Pater Cyrill, der sich durch Ihre ganz genaue Ähnlichkeit täuschen ließ, anerkannt wurde, ja auch selbst gar nicht leugnet, daß er jener Kapuziner sei. Damit ist nun alles geschehen, was geschehen konnte, um Sie von jedem Verdacht zu reinigen, und um so mehr muß ich glauben, daß Sie sich frei von jeder Schuld fühlen.” – Ein Gerichtsdiener rief in diesem Augenblick den Richter ab, und so wurde ein Gespräch unterbrochen, als es eben begann, mich zu peinigen.
Ich begab mich nach meiner Wohnung und fand alles so wieder, wie ich es verlassen. Meine Papiere hatte man in Beschlag genommen, in ein Paket gesiegelt, lagen sie auf meinem Schreibtische, nur Viktorins Brieftasche, Euphemiens Ring und den Kapuzinerstrick vermißte ich, meine Vermutungen im Gefängnisse waren daher richtig. Nicht lange dauerte es, so erschien ein fürstlicher Diener, der mit einem Handbillet des Fürsten mir eine goldene, mit kostbaren Steinen besetzte Dose überreichte. “Es ist Ihnen übel mitgespielt worden, Herr von Krcszinski”, schrieb der Fürst, “aber weder ich noch meine Gerichte sind schuld daran. Sie sind einem sehr bösen Menschen auf ganz unglaubliche Weise ähnlich; alles ist aber nun zu Ihrem Besten aufgeklärt: Ich sende Ihnen ein Zeichen meines Wohlwollens und hoffe, Sie bald zu sehen.” – Des Fürsten Gnade war mir ebenso gleichgültig als sein Geschenk; eine düstre Traurigkeit, die geisttötend mein Inneres durchschlich, war die Folge des strengen Gefängnisses; ich fühlte, daß mir körperlich aufgeholfen werden müsse, und lieb war es mir daher, als der Leibarzt erschien. Das Ärztliche war bald besprochen. “Ist es nicht”, fing nun der Leibarzt an, “eine besondere Fügung des Schicksals, daß eben in dem Augenblick, als man davon überzeugt zu sein glaubt, daß Sie jener abscheuliche Mönch sind, der in der Familie des Barons von F. so viel Unheil anrichtete, dieser Mönch wirklich erscheint und Sie von jedem Verdacht rettet?”
“Ich muß versichern, daß ich von den näheren Umständen, die meine Befreiung bewirkten, nicht unterrichtet bin; nur im allgemeinen sagte mir der Richter, daß der Kapuziner Medardus, dem man nachspürte und für den man mich hielt, sich hier eingefunden habe.”
“Nicht eingefunden hat er sich, sondern hergebracht ist er worden, festgebunden auf einem Wagen und seltsamerweise zu derselben Zeit, als Sie hergekommen waren. Eben fällt mir ein, daß, als ich Ihnen einst jene wunderbaren Ereignisse erzählen wollte, die sich vor einiger Zeit an unserm Hofe zutrugen, ich gerade dann unterbrochen wurde, als ich auf den feindlichen Medardus, Franceskos Sohn, und auf seine verruchte Tat im Schlosse des Barons von F. gekommen war. Ich nehme den Faden der Begebenheit da wieder auf, wo er damals abriß. – Die Schwester unserer Fürstin, wie Sie wissen, Äbtissin im Zisterzienserkloster zu B., nahm einst freundlich eine arme Frau mit einem Kinde auf, die von der Pilgerfahrt nach der heiligen Linde wiederkehrte.”
“Die Frau war Franceskos Witwe, und der Knabe eben der Medardus.”
“Ganz recht, aber wie kommen Sie dazu, dies zu wissen?” “Auf die seltsamste Weise sind mir die geheimnisvollen Lebensumstände des Kapuziners Medardus bekannt worden. Bis zu dem Augenblick, als er aus dem Schloß des Barons von F. entfloh, bin ich von dem, was sich dort zutrug, genau unterrichtet.”
“Aber wie? … von wem?” … “Ein lebendiger Traum hat mir alles dargestellt.” “Sie scherzen?”
“Keinesweges. Es ist mir wirklich so, als hätte ich träumend die Geschichte eines Unglücklichen gehört, der, ein Spielwerk dunkler Mächte, hin und her geschleudert und von Verbrechen zu Verbrechen getrieben wurde. In dem …tzer Forst hatte mich auf der Reise hierher der Postillon irregefahren; ich kam in das Försterhaus, und dort…”
“Ha! ich verstehe alles, dort trafen Sie den Mönch an” … “So ist es, er war aber wahnsinnig.”
“Er scheint es nicht mehr zu sein. Schon damals hatte er lichte Stunden und vertraute Ihnen alles?” …
“Nicht geradezu. In der Nacht trat er, von meiner Ankunft im Försterhause nicht unterrichtet, in mein Zimmer. Ich, mit der treuen, beispiellosen Ähnlichkeit, war ihm furchtbar. Er hielt mich für seinen Doppeltgänger, dessen Erscheinung ihm den Tod verkünde. – Er stammelte – stotterte Bekenntnisse her –