Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann - E. T. A. Hoffmann


Скачать книгу
Viktorin.” –

      “Sonderbar, höchst sonderbar, aber warum verschwiegen Sie das alles dem Richter?”

      “Wie konnte ich hoffen, daß der Richter auch nur einiges Gewicht auf eine Erzählung legen werde, die ihm ganz abenteuerlich klingen mußte. Darf denn überhaupt ein erleuchtetes Kriminalgericht an das Wunderbare glauben?” “Wenigstens hätten Sie aber doch gleich ahnen, daß man Sie mit dem wahnsinnigen Mönch verwechsle, und diesen als den Kapuziner Medardus bezeichnen sollen?”

      “Freilich – und zwar nachdem mich ein alter, blöder Greis, ich glaube, er heißt Cyrillus, durchaus für seinen Klosterbruder halten wollte. Es ist mir nicht eingefallen, daß der wahnsinnige Mönch eben der Medardus, und das Verbrechen, das er mir bekannte, Gegenstand des jetzigen Prozesses sein könne. Aber wie mir der Förster sagte, hatte er ihm niemals seinen Namen genannt – wie kam man zur Entdeckung?”

      “Auf die einfachste Weise. Der Mönch hatte sich, wie Sie wissen, einige Zeit bei dem Förster aufgehalten; er schien geheilt, aber aufs neue brach der Wahnsinn so verderblich aus, daß der Förster sich genötigt sah, ihn hierher zu schaffen, wo er in das Irrenhaus eingesperrt wurde. Dort saß er Tag und Nacht mit starrem Blick, ohne Regung, wie eine Bildsäule. Er sprach kein Wort und mußte gefüttert werden, da er keine Hand bewegte. Verschiedene Mittel, ihn aus der Starrsucht zu wecken, blieben fruchtlos, zu den stärksten durfte man nicht schreiten, ohne Gefahr, ihn wieder in wilde Raserei zu stürzen. Vor einigen Tagen kommt des Försters ältester Sohn nach der Stadt, er geht in das Irrenhaus, um den Mönch wiederzusehen. Ganz erfüllt von dem trostlosen Zustande des Unglücklichen, tritt er aus dem Hause, als eben der Pater Cyrillus aus dem Kapuzinerkloster in B. vorüberschreitet. Den redet er an und bittet ihn, den unglücklichen, hier eingesperrten Klosterbruder zu besuchen, da ihm Zuspruch eines Geistlichen seines Ordens vielleicht heilsam sein könne. Als Cyrillus den Mönch erblickt, fährt er entsetzt zurück. >Heilige Mutter Gottes! Medardus, unglückseliger Medardus!” So ruft Cyrillus, und in dem Augenblick beleben sich die starren Augen des Mönchs. Er steht auf und fällt mit einem dumpfen Schrei kraftlos zu Boden. – Cyrillus mit den übrigen, die bei dem Ereignis zugegen waren, geht sofort zum Präsidenten des Kriminalgerichts und zeigt alles an. Der Richter, dem die Untersuchung wider Sie übertragen, begibt sich mit Cyrillus nach dem Irrenhause; man findet den Mönch sehr matt, aber frei von allem Wahnsinn. Er gesteht ein, daß er der Mönch Medardus aus dem Kapuzinerkloster in B. sei. Cyrillus versicherte seinerseits, daß Ihre unglaubliche Ähnlichkeit mit Medardus ihn getäuscht habe. Nun bemerke er wohl, wie Herr Leonard sich in Sprache, Blick, Gang und Stellung sehr merklich von dem Mönch Medardus, den er nun vor sich sehe, unterscheide. Man entdeckte auch das bedeutende Kreuzeszeichen an der linken Seite des Halses, von dem in Ihrem Prozeß so viel Aufhebens gemacht worden ist. Nun wird der Mönch über die Begebenheiten aus dem Schlosse des Barons von F. befragt. – >Ich bin ein abscheulicher, verruchter Verbrecher<, sagt er mit matter, kaum vernehmbarer Stimme, >ich bereue tief, was ich getan. – Ach, ich ließ mich um mein Selbst, um meine unsterbliche Seele betrügen! … Man habe Mitleiden! … Man lasse mir Zeit … Alles … alles will ich gestehen.< – Der Fürst, unterrichtet, befiehlt sofort, den Prozeß wider Sie aufzuheben und Sie der Haft zu entlassen. Das ist die Geschichte Ihrer Befreiung. – Der Mönch ist nach dem Kriminalgefängnis gebracht worden.”

      “Und hat alles gestanden? Hat er Euphemien, Hermogen ermordet? Wie ist es mit dem Grafen Viktorin?” … “Soviel wie ich weiß, fängt der eigentliche Kriminalprozeß wider den Mönch erst heute an. Was aber den Grafen Viktorin betrifft, so scheint es, als wenn nun einmal alles, was nur irgend mit jenen Ereignissen an unserm Hofe in Verbindung steht, dunkel und unbegreiflich bleiben müsse.”

      “Wie die Ereignisse auf dem Schlosse des Barons von F. aber mit jener Katastrophe an Ihrem Hofe sich verbinden sollen, sehe ich in der Tat nicht ein.”

      “Eigentlich meinte ich auch mehr die spielenden Personen als die Begebenheit.” “Ich verstehe Sie nicht.”

      “Erinnern Sie sich genau meiner Erzählung jener Katastrophe, die dem Prinzen den Tod brachte?” “Allerdings.”

      “Ist es Ihnen dabei nicht völlig klar worden, daß Francesko verbrecherisch die Italienerin liebte? daß er es war, der vor dem Prinzen in die Brautkammer schlich und den Prinzen niederstieß? – Viktorin ist die Frucht jener freveligen Untat. – Er und Medardus sind Söhne eines Vaters. Spurlos ist Viktorin verschwunden, alles Nachforschen blieb vergebens.” “Der Mönch schleuderte ihn hinab in den Teufelsgrund. Fluch dem wahnsinnigen Brudermörder!”

      Leise – leise ließ sich in dem Augenblick, als ich heftig diese Worte ausstieß, jenes Klopfen des gespenstischen Unholds aus dem Kerker hören. Vergebens suchte ich das Grausen zu bekämpfen, welches mich ergriff. Der Arzt schien so wenig das Klopfen als meinen Innern Kampf zu bemerken. Er fuhr fort: “Was? … Hat der Mönch Ihnen gestanden, daß auch Viktorin durch seine Hand fiel?”

      “Ja! … Wenigstens schließe ich aus seinen abgebrochenen Äußerungen, halte ich damit Viktorins Verschwinden zusammen, daß sich die Sache wirklich so verhält. Fluch dem wahnsinnigen Brudermörder!” – Stärker klopfte es und stöhnte und ächzte; ein feines Lachen, das durch die Stube pfiff, klang wie “Medardus … Medardus … hi … hi … hi hilf!” – Der Arzt, ohne das zu bemerken, fuhr fort:

      “Ein besonderes Geheimnis scheint noch auf Franceskos Herkunft zu ruhen. Er ist höchstwahrscheinlich dem fürstlichen Hause verwandt. So viel ist gewiß, daß Euphemie die Tochter …”

      Mit einem entsetzlichen Schlage, daß die Angeln zusammenkrachten, sprang die Tür auf, ein schneidendes Gelächter gellte herein. “Ho ho … ho … ho Brüderlein”, schrie ich wahnsinnig auf, “hoho … hieher … frisch, frisch, wenn du kämpfen willst mit mir … der Uhu macht Hochzeit; nun wollen wir auf das Dach steigen und ringen miteinander, und wer den ändern herabstößt, ist König und darf Blut trinken.” – Der Leibarzt faßte mich in die Arme und rief: “Was ist das? was ist das? Sie sind krank … in der Tat, gefährlich krank. Fort, fort, zu Bette.” – Aber ich starrte nach der offnen Türe, ob mein scheußlicher Doppeltgänger nicht hereintreten werde, doch ich erschaute nichts und erholte mich bald von dem wilden Entsetzen, das mich gepackt hatte mit eiskalten Krallen. Der Leibarzt bestand darauf, daß ich kränker sei, als ich selbst wohl glauben möge, und schob alles auf den Kerker und die Gemütsbewegung, die mir überhaupt der Prozeß verursacht haben müsse. Ich brauchte seine Mittel, aber mehr als seine Kunst trug zu meiner schnellen Genesung bei, daß das Klopfen sich nicht mehr hören ließ, der furchtbare Doppeltgänger mich daher ganz verlassen zu haben schien. Die Frühlingssonne warf eines Morgens ihre goldnen Strahlen hell und freundlich in mein Zimmer, süße Blumendüfte strömten durch das Fenster; hinaus ins Freie trieb mich ein unendlich Sehnen, und des Arztes Verbot nicht achtend, lief ich fort in den Park. – Da begrüßten Bäume und Büsche rauschend und flüsternd den von der Todeskrankheit Genesenen. Ich atmete auf, wie aus langem schwerem Traum erwacht, und tiefe Seufzer waren des Entzückens unaussprechbare Worte, die ich hineinhauchte in das Gejauchze der Vögel, in das fröhliche Sumsen und Schwirren bunter Insekten.

      Ja! – ein schwerer Traum dünkte mir nicht nur die letztvergangene Zeit, sondern mein ganzes Leben, seitdem ich das Kloster verlassen, als ich mich in einem von dunklen Platanen beschatteten Gange befand. – Ich war im Garten der Kapuziner zu B. Aus dem fernen Gebüsch ragte schon das hohe Kreuz hervor, an dem ich sonst oft mit tiefer Inbrunst flehte um Kraft, aller Versuchung zu widerstehen. – Das Kreuz schien mir nun das Ziel zu sein, wo ich hinwallen müsse, um, in den Staub niedergeworfen, zu bereuen und zu büßen den Frevel sündhafter Träume, die mir der Satan vorgegaukelt; und ich schritt fort mit gefalteten emporgehobenen Händen, den Blick nach dem Kreuz gerichtet. – Stärker und stärker zog der Luftstrom – ich glaubte die Hymnen der Brüder zu vernehmen, aber es waren nur des Waldes wunderbare Klänge, die der Wind, durch die Bäume sausend, geweckt hatte und der meinen Atem fortriß, so daß ich bald erschöpft stillstehen, ja mich an einen nahen Baum festhalten mußte, um nicht niederzusinken. Doch hin zog es mich mit unwiderstehlicher Gewalt nach dem fernen Kreuz; ich nahm alle meine Kraft zusammen und wankte weiter fort, aber nur bis an den Moossitz dicht vor dem Gebüsch konnte ich gelangen; alle Glieder lahmte plötzlich


Скачать книгу