Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
Читать онлайн книгу.poetische Werke geliefert, welche vielleicht bloß deshalb nicht mehr Glück auf der Bühne machten, weil die elenden Bretter zu schwach waren, das Kolossale zu tragen, indem ein gigantischer geharnischter Held der Vorzeit ganz anders auftritt als ein Hofrat im gestickten Staatskleide, – dieser Dichter nun war, wenn eins seiner Stücke zur Aufführung kam, vielleicht zu ängstlich besorgt, daß im Äußern, was Dekorationen und Kostüme betraf, alles ganz nach seiner Idee ausgeführt werde. Als nun eine weltberühmte und als poetisch höchst gebildet ausgeschriene Schauspielerin bei einem großen Theater in seinem neuesten Stücke eine tief in das Ganze eingreifende Rolle übernommen hatte, ging er zu ihr hin und bemühete sich recht weitläufig und deutlich ihr darzulegen, wie sie in ein langes, ägyptisches, erdfarbenes, faltenreiches Gewand gekleidet sein müsse, da er sich eben von der fremdartigen Kleidung recht viel verspreche. Nachdem er beinahe zwei Stunden hindurch ganz herrlich und tief von den bedeutungsvollen ägyptischen Gewändern und vorzüglich von dem in Rede stehenden gesprochen, ja sich selbst in einen zufällig daliegenden Shawl auf verschiedene Weise ägyptisch drapiert, und sie ihm ganz geduldig zugehört hatte, erhielt er den kurzen Bescheid: »Ich will's versuchen, steht es mir, so ist's gut, steht's mir nicht, so lass' ich's bleiben und kleide mich nach meinem Geschmack.« –
Ich. Du kennst allerdings die Schwächen unserer Bühnenhelden und – Königinnen, lieber Berganza, und ich behaupte auch mit dir, daß kein Schauspieler in der Welt imstande sein wird, den Mangel eines innigen, tiefen Gefühls, mit dem er den poetischen Charakter seiner Rolle ganz in sich aufnimmt, ja gleichsam zu seinem eignen Ich macht, durch äußere Vorteile zu ersetzen. Er kann augenblicklich den Zuschauer übertäuben, aber immer wird dem Spiel die Wahrheit fehlen, und er jeden Augenblick Gefahr laufen, auf dem Falschen ertappt und des falschen Schmucks beraubt zu werden. – Doch gibt es Ausnahmen. –
Berganza. Höchst selten!
Ich. Und doch! – manchmal gerade da, wo man sie am wenigsten sucht. So sah ich vor kurzer Zeit auf einem kleinen Theater einen Schauspieler den Hamlet mit ergreifender Wahrheit darstellen. Die düstre Schwermut, die Verachtung des menschlichen Treibens um ihn her, bei dem steten Gedanken an die entsetzliche Tat, die zu rächen ihn eine grauenvolle Erscheinung aus dem Grabe aufgefordert, der verstellte Wahnsinn – alles trat aus seinem tiefsten Innern in den lebendigsten Zügen heraus. Er war ganz der, »dem das Schicksal eine Last auflegte, die er nicht zu tragen vermag«.
Berganza. Ich errate, daß du von dem Schauspieler sprichst, der von einem Orte zum andern wandernd, vergebens die ideale Bühne sucht, welche nur im mindesten den gerechten Ansprüchen zusagt, welche er an das Theater als gebildeter, denkender Schauspieler macht. – Glaubst du nicht (im Vorbeigehen gesagt), daß sich darin schon die tiefe Erbärmlichkeit unserer gewöhnlichen Schauspieler recht charakteristisch ausspricht, daß man als etwas Besonderes rühmt: es ist ein denkender Schauspieler. – Der also wirklich wie ein Mensch, dem der liebe Gott eine lebendige Seele gegeben, denkt oder wenigstens die Mühe nicht scheut, zu denken, der ist schon etwas Außerordentliches.
Ich. Du hast recht, Berganza! – So ist oft ein gäng und gebe gewordenes Wort der Typus dafür, wie es überhaupt mit der Sache steht.
Berganza. Übrigens gehört der Schauspieler, von dem wir sprechen, wirklich zu den allerseltensten; nur wird er, weil oft Launen ihn beherrschen, von dem Publikum meistenteils verkannt, von seinen Kollegen aber gehaßt, weil er sich nie zu ihren Gemeinheiten, zu ihren pöbelhaften Späßen, zu ihren kleinlichen Klatschereien und was weiß ich mehr, herabläßt; kurz, er ist für unsere jetzigen Bretter zu gut.
Ich. Sollte denn zur Verbesserung unserer Bühne gar keine Hoffnung vorhanden sein?
Berganza. Wenig! – Selbst von den Schauspielern will ich einen Teil der Schuld weg – und ihn dem Heer der überdummen Schauspieldirektoren und Regisseurs zuschieben. Diese gehen von dem Grundsatz aus: »Das Stück ist gut, welches die Kasse füllt und worin die Schauspieler häufig beklatscht werden. Mit diesem oder jenem Schauspiel ist dies am allermehrsten der Fall gewesen, und je mehr sich nun ein neues in der Form, der Anlage und dem Ausdruck demselben nähert, desto besser, je mehr es sich davon entfernt, desto schlechter ist es.« – Neuigkeiten müssen auf die Bühne, und da doch nun die Stimmen der Dichter nicht ganz verklingen, sondern von gar manchem gehört werden, so ist es nicht zu vermeiden, auch manche Produkte, die sich dem Maßstabe der Gemeinheit nicht recht fügen wollen, bei dem Theater anzunehmen. Damit der arme Dichter aber nicht ganz sinke, damit er doch nur einigermaßen die auf den Brettern als unerläßlich angenommenen Bedingungen erfülle, ist der Herr Regisseur so gütig, sich seiner anzunehmen und sein Stück zu streichen. Das heißt: es werden Reden, ja sogar Szenen ausgelassen oder versetzt, so daß alle Einheit des Ganzen, jeder von dem Dichter mit Bedacht und Überlegung vorbereitete Effekt zerstört wird, und der Zuschauer, dem nur die gröbsten Farbenstriche ohne alle Verschmelzung durch die Mitteltinten blieben, nicht mehr erkennen kann, was das Ding eigentlich vorstellen soll. – Der Regisseur ist hoch erfreuet, wenn in seinem Sinn nur die Personen regelrecht kommen und gehen, und ebenso normal das Theater sich verändert.
Ich. Ach, Berganza! Du hast ein wahres Wort gesprochen. – Aber, ist es denn nicht eine furchtbare Eitelkeit, die nur durch die stupideste Stupidität erzeugt werden kann, wenn solch ein Bursche sich über das Werk des Dichters, das dieser solange im Innern trug, wovon er jeden Moment wohl überdachte und überlegte, ehe er das Ganze gerundet aufschrieb, erheben will? Aber gerade in den Werken der größten Dichter entfaltet sich nur dem poetischen Sinn der innere Zusammenhang; der Faden, der sich durch das Ganze schlängelt und jeden kleinsten Teil dem Ganzen fest anreiht, wird nur dem tiefen Blick des echten Kenners sichtbar. Darf ich's denn wohl noch sagen, daß das bei dem Shakespeare mehr als bei irgendeinem andern Dichter der Fall ist?
Berganza. Ich setze hinzu: und bei meinem Calderon, dessen Schauspiele zu meiner guten Zeit in Spanien das Publikum entzückten.
Ich. Du hast recht, und beide sind auch innig verwandte Geister, die sich oft sogar in ähnlichen Bildern aussprechen.
Berganza. Es gibt nur eine Wahrheit. – Aber was sagst du zu dem gewissen Mittelgut, das bei euch nur in zu großer Menge zu Markte gebracht wird; – es ist nicht gerade schlecht zu nennen, glückliche Ideen und Gedanken fehlen nicht, aber diese muß man wie den Goldfisch mühsam aus dem Wasser angeln, und die Langeweile, die man dabei empfindet, stumpft den Geist für die momentane Erscheinung irgendeines poetischen Blitzes ganz ab – man wird ihn endlich kaum gewahr.
Ich. Dies Mittelgut (zugeben muß ich dir leider, daß es dessen bei uns nur zuviel gibt) überlasse ich unbedingt der Diskretion der Regisseurs, die ihre Blei- und Rotstifte daran üben können. Denn gewöhnlich gleicht ein solches Werk den sibyllinischen Büchern, die, soviel man auch davon wegwerfen mochte, noch immer ein brauchbares Ganze blieben, so, daß man den Verlust nicht bemerkte. Vorzüglich herrscht auch eine gewisse Schwatzhaftigkeit darin, eine gewisse Prägnanz, in der jede einzelne Strophe immer die zehn folgenden zu gebären scheint u.s.f., und leider hat ein schon verstorbener großer Dichter, vorzüglich durch seine ersten metrisch geschriebenen Stücke, dazu den mächtigen Anlaß gegeben. – Ja, ja! – Dies Mittelgut mag gestrichen werden. –
Berganza. Ganz gestrichen! – Es soll gar nicht auf die Bühne kommen, da bin ich ganz deiner Meinung; muß es aber des launenhaften Publikums wegen, das den steten Wechsel neuer Vorstellungen verlangt, aus Bedürfnis, weil die Meisterwerke so selten sind, dennoch auf die Bühne kommen, so finde ich auch hier sogar das Streichen in der gewöhnlichen Art für gefährlich, wo nicht für unzulässig. Auch der mittelmäßigere Dichter hat seine Intentionen, die er manchmal in Szenen verfolgt, die leicht dem unpoetischen Sinn als sogenannte Flickszenen erscheinen können. – Kurz, lieber Freund, nur ein solches Werk im poetischen Feuer zu läutern und so das darin enthaltene Gold, von Schlacken gesäubert, im künstlichen Gefüge zu ordnen, dazu gehört nicht weniger, als daß man selbst ein guter Dichter sei und so die Rechte der Meisterschaft ausübe, die man durch den gereinigtsten Geschmack, durch die tiefste poetische Erfahrung erlangt hat.
Ich. Freilich ist dieser Maßstab für unsere Bühnendirektoren und Regisseurs nicht tauglich. – Aber unter dem Mittelgut schleicht sich denn doch zuweilen