Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann

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Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann - E. T. A. Hoffmann


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Breite und Dicke regelrecht gefunden, den Inhalt hatten sie im völligen Einverständnis für ungemein abgeschmackt erklärt, und da es mehrmals von Kennern verlangt, freuten sie sich auf ihren Triumph, wenn das Stück, wie natürlich, ausgepfiffen werden würde. Recht boshafterweise hatte der Regisseur auch von dem heillosen Dichter ganz seine wohltätige Hand abgezogen und ihn ganz in seiner natürlichen Roheit, in seiner Unkenntnis alles theatralischen Effekts bloßgestellt, so daß, wenn er, der Herr Regisseur, nur an die ersten Szenen dachte, er ein vornehmes mitleidiges Lächeln, in dem sich das stolze Bewußtsein eigner Überlegenheit und Größe spiegelte, nicht unterdrücken konnte. – Nun – wer hätte das gedacht! – gefällt aber das lebendige, herrliche Spiel ganz ungemein – es elektrisiert die Menge – stille Andacht und lauter Jubel wechseln, durch die unwiderstehliche Macht der poetischen Wahrheit des Gedichts angeregt – da gibt es denn eine komische Szene zwischen dem Direktor und dem Regisseur, die beide etwas verblüfft die Meinung von dem nicht verstandenen Stück, die sie erst unverhohlen äußerten, nun einander ableugnen. Trifft es sich gar, daß die Schauspieler in einem solchen Stücke recht applaudiert worden sind, so treten auch diese auf die Seite des Dichters, wiewohl sie alle im stillen doch den Unverstand des Publikums belachen, das sich durch die persönliche Vortrefflichkeit der Spieler so blenden ließ, daß es den unverständlichen Unsinn des Gedichts für was Rechtes hielt.

      Berganza. Gar nicht lange her ist es, daß ich ein Beispiel dazu erlebte, was du eben gesagt hast. – Es war das tiefsinnigste und zugleich lebendigste Stück des hochverehrten Calderon de la Barca: »Die Andacht zum Kreuz«, welches man auf vieles Andringen der poetisch Gesinnten in eurer höchst vortrefflichen Übersetzung auf die Bühne brachte, und welches bei dem Publikum sowie hinter den Kulissen alle die ergötzlichen Wirkungen hatte, die du soeben beschriebst.

      Ich. Auch ich habe »Die Andacht zum Kreuz« aufführen gesehen, und der Eindruck auf die Menge war nicht zu verkennen; aber manche hochgebildete Personen fanden das Stück verwerflich, weil es unmoralisch sei.

      Berganza. Eben in diesem Urteil spricht sich eure jetzige Verschrobenheit, ja ich möchte sagen, Verderbtheit aus. – Überhaupt rechne ich den Verfall eures Theaters von der Zeit, als man die moralische Verbesserung der Menschen als den höchsten, ja einzigen Zweck der Bühne angab und so dieselbe zur Zuchtschule machen wollte. Das Lustigste konnte nicht mehr erfreuen, denn hinter jedem Scherz ragte die Rute des moralischen Schulmeisters hervor, der gerade dann am geneigtesten ist, die Kinder zu strafen, wenn sie sich dem Vergnügen ganz überlassen.

      Ich. Ich fühle die kräftigen Hiebe der Rute, schnell wandelt sich das unschickliche Gelächter um in schickliches Weinen.

      Berganza. Ihr Deutsche kommt mir vor wie jener Mathematiker, der, nachdem er Glucks »Iphigenia in Tauris« gehört hatte, den entzückten Nachbar sanft auf die Achsel klopfte und lächelnd fragte: »Aber was ist dadurch nun bewiesen?« – Alles soll noch außer dem, was es ist, was anderes bedeuten, alles soll zu einem außerhalb liegenden Zweck führen, den man gleich vor Augen hat, ja selbst jede Lust soll zu etwas anderm werden, als zur Lust und so noch irgendeinem andern leiblichen oder moralischen Nutzen dienen, damit nach der alten Küchenregel immer das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden bleibe.

      Ich. Aber der Zweck der bloßen vorübergehenden Belustigung ist so kleinlich, daß du doch der Bühne gewiß einen höheren einräumen wirst?

      Berganza. Es gibt keinen höheren Zweck der Kunst, als in dem Menschen diejenige Lust zu entzünden, welche sein ganzes Wesen von aller irdischen Qual, von allem niederbeugenden Druck des Alltagslebens wie von unsaubern Schlacken befreit und ihn so erhebt, daß er, sein Haupt stolz und froh emporrichtend, das Göttliche schaut, ja mit ihm in Berührung kommt. – Die Erregung dieser Lust, diese Erhebung zu dem poetischen Standpunkte, auf dem man an die herrlichen Wunder des Rein-Idealen willig glaubt, ja mit ihnen vertraut wird und auch das gemeine Leben mit seinen mannigfaltigen bunten Erscheinungen durch den Glanz der Poesie in allen seinen Tendenzen verklärt und verherrlicht erblickt – das nur allein ist nach meiner Überzeugung der wahre Zweck des Theaters. Ohne die Gabe, diese Erscheinungen des Lebens nicht als unabhängige Einzelnheiten, von der Natur wie ihm zwecklosen Spiel eines launenhaften Kindes hingeworfen, sondern als aus dem Ganzen entspringend und in seinen Mechanism wieder tief eingreifend zu betrachten, im Innern aufzufassen und mit den lebendigsten Farben wiederzugeben, gibt es keinen Schauspieldichter; vergebens ist sonst das Ringen, »der Natur den Spiegel vorzuhalten, der Tugend ihre eignen Züge, der Schmach ihr eignes Bild, dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen«.

      Ich. Und hiernach möchte sich auch die Fähigkeit zu beobachten modifizieren, die man hauptsächlich vom Lustspieldichter verlangt.

      Berganza. Allerdings. Aus dem getreuen Beobachten und Auffassen der individuellen Züge einzelner Personen kann höchstens ein ergötzliches Porträt entstehen, das eigentlich nur dann zu interessieren vermag, wenn man das Original kennt und durch den Vergleich damit in den Stand gesetzt wird, die praktische Fertigkeit des Malers zu beurteilen. Als Charakter auf der Bühne wird aber dem zu getreuen Porträt oder der gar aus einzelnen Zügen mehrerer Porträts zusammengepinselten Personage immer die innere poetische Wahrheit fehlen, die nur durch die Betrachtung des Menschen von jenem höheren Standpunkte aus erzeugt wird. – Kurz, der Schauspieldichter muß nicht sowohl die Menschen, als den Menschen kennen. – Der Blick des wahren Dichters durchschaut die menschliche Natur in ihrer innersten Tiefe und herrscht über ihre Erscheinungen, indem er ihre mannigfaltigste Strahlenbrechung in seinem Geiste wie in einem Prisma auffaßt und reflektiert.

      Ich. Deine Ansichten von der Kunst und von dem Theater, lieber Berganza, möchten manchen Widerspruch finden, wiewohl vorzüglich das, was du von der Kenntnis des Menschen und der Menschen sagst, mir recht gut eingeht, und ich darin den Grund finde, warum die Schau- und Lustspiele eines gewissen Dichters, der zugleich praktischer Schauspieler war, momentan so hochgeachtet und so bald vergessen wurden; das gänzliche Vorübergehen seiner Periode noch während seines Lebens hatte seine Fittiche dermaßen gelähmt, daß er sie nicht mehr zum neuen Fluge zu schwingen vermochte.

      Berganza. Der Dichter, von dem du sprichst, trägt auch größtenteils die Schuld der Sünde, welche als unabwendbare Folge den Fall unseres Theaters nach sich zog. – Er war einer der Koryphäen jener langweiligen, weinerlichen, moralisierenden Sekte, die mit ihrem Tränenwasser jeden emporblitzenden Funken der wahren Poesie auszulöschen strebten. – Er bot uns in reichlicher Fülle die verbotenen Apfel dar, deren Genuß uns das Paradies kostete.

      Ich. Aber man kann ihm eine gewisse lebensvolle Darstellung nicht absprechen.

      Berganza. Die aber mehrenteils in dem geschraubten Dialog sich selbst wieder vernichtet. Mir ist es, als wenn er lebhaft aufgefaßte individuelle Züge einzelner Personen so wie ein fremdes Kleid sich selbst angepaßt, alsdann so lange daran geschnörkelt und geschnitten, bis sie ihm gerecht waren, und in der Art seine Charaktere geschaffen hätte. Wie es da um die innere poetische Wahrheit stehen muß, kannst du leicht selbst ermessen.

      Ich. Indessen waren doch seine Intentionen meistenteils gut.

      Berganza. Ich hoffe, daß du das Wort Intention nicht in dem höhern Sinn der Kunstsprache nimmst, sondern nur den wenigstens scheinbar moralischen Zweck der Schauspiele jenes Dichters darunter verstehst, und da muß ich dir gestehen, daß vielleicht, abgesehen von aller Kunst, von allem Poetischen, jene Schauspiele in der Absicht und dem Erfolg wirklich den erbaulichen Fastenpredigten an die Seite zu stellen sind, die den Gottlosen mit der Hölle drohen und den Frommen den Himmel versprechen; nur hat der Dichter den Vorteil, als Handhaber und Vollstrecker der poetischen Gerechtigkeit nach Befund gleich mit dem Schwerte selbst dreinschlagen zu können. Belohnung und Strafe, Geldbörsen und Geheimderatstitel, bürgerliche Schande und Festung, alles ist in Bereitschaft, sobald sich der Vorhang vor dem fünften Akte hebt.

      Ich. Mich wundert, daß in diesen Dingen noch eine gewisse Varietät stattfinden kann.

      Berganza. Warum das nicht! – Wäre es nicht für unsere Dichter eine herrliche fruchtbare Idee gewesen, die zehn Gebote zyklisch in Schauspielen zu behandeln? – Die beiden Gebote: »Du sollst


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