Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann

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Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann - E. T. A. Hoffmann


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eigne wunderbare Stimmung bis zur höchsten Erschöpfung treiben. Ich fühlte mich krank und matt zum Umsinken. – Ich übergehe alle die sonderbaren Auftritte, die ich mit meinem Freunde und Gebieter hatte, wenn er sogar an meinen kindischen Spielen teilnahm, und fleißig an der unüberwindlichen Festung mit bauen half, die ich in dem Garten nach den strengsten Regeln der Befestigungskunst anlegte – ich komme zur Hauptsache. – Es war, wie ich mich genau erinnere, in der Nacht vom achten auf den neunten September im Jahr 17-als ich lebhaft, als geschähe es wirklich, träumte, der Major öffne leise meine Tür, käme langsam an mein Bett geschritten und lege, mich mit seinen hohlen schwarzen Augen auf furchtbare Weise anstarrend, die rechte Hand auf meine Stirn über die Augen, und doch könne ich ihn vor mir stehen sehn. – Ich ächzte vor Beklemmung und Entsetzen – da sprach er mit dumpfer Stimme: ‚Armes Menschenkind, erkenne deinen Meister und Herrn! – Was krümmst und windest du dich in deiner Knechtschaft, die du vergebens abzuschütteln strebst? – Ich bin dein Gott, der dein Innerstes durchschaut, und alles was du darin jemals verborgen hast oder verbergen willst, liegt hell und klar vor mir. Damit du aber nicht wagst, an meiner Macht über dich, du Erdenwurm, zu zweifeln, will ich auf eine dir selbst sichtbarliche Weise in die geheimste Werkstatt deiner Gedanken eindringen.‘ – Plötzlich sah ich ein spitzes glühendes Instrument in seiner Hand, mit dem er in mein Gehirn fuhr. Über den fürchterlichen Schrei des Entsetzens, den ich ausstieß, erwachte ich in Angstschweiß gebadet – ich war der Ohnmacht nahe. Endlich erholte ich mich, aber eine dumpfe schwüle Luft erfüllte das Zimmer, es war mir, als höre ich die Stimme des Majors, der, wie aus weiter Ferne, mich mehrmals bei dem Vornamen rief. Ich hielt dies für die Nachwirkung des gräßlichen Traums; ich sprang aus dem Bette, ich öffnete die Fenster, um die freie Luft hineinströmen zu lassen in das schwüle Zimmer. Aber welch ein Schreck ergriff mich, als ich in der mondhellen Nacht den Major in seiner Staatsuniform, ganz so wie er mir im Traum erschienen, durch die Hauptallee nach dem Gattertor, das aufs freie Feld führte, schreiten sah; er riß es auf, ging hindurch, warf die Flügel hinter sich zu, daß Riegel und Angel klirrend und rasselnd zusammensprangen und das Getöse weit in der stillen Nacht widerhallte. – Was war das, was will der Major in der Nacht draußen im Felde? dachte ich, und es überfiel mich eine unbeschreibliche Angst und Unruhe. Wie von unwiderstehlicher Gewalt getrieben, zog ich mich schnell an, weckte den guten Inspektor, einen frommen Greis von siebzig Jahren, den einzigen, den der Major selbst in seinem ärgsten Paroxismus scheute und schonte, und erzählte ihm meinen Traum sowie den Vorgang nachher. Der Alte wurde sehr aufmerksam und sagte: ‚Auch ich habe das Gattertor stark zuwerfen gehört, es aber für Täuschung gehalten‘; auf jeden Fall möge wohl etwas Besonderes mit dem Major vorgegangen und deshalb es gut sein, in seinem Zimmer nachzusehen. Die Hausglocke weckte Zöglinge und Lehrer, und wir gingen mit Lichtern wie in feierlicher Prozession, durch den langen Gang nach den Zimmern des Majors. Die Tür war verschlossen, und vergebliche Versuche, sie mit dem Hauptschlüssel zu öffnen, überzeugten uns, daß von innen der Riegel vorgeschoben war. Auch die Haupttür, durch die der Major hätte gehen müssen, um in den Garten zu kommen, war verschlossen und verriegelt, wie den Abend zuvor. Man erbrach endlich, als alles Rufen ohne Antwort blieb, die Tür des Schlafzimmers und – mit starrem gräßlichen Blick, blutigen Schaum vor dem Munde, lag der Major in seiner roten dänischen Staatsuniform, den Degen mit zusammengekrampfter Hand festhaltend, tot auf der Erde! – Alle Versuche, ihn wieder in das Leben zu bringen, blieben fruchtlos.“ – Der Baron schwieg – Ottmar war im Begriff etwas zu sagen, doch unterließ er es und schien, die Hand an die Stirn gelegt, alles, was er vielleicht über die Erzählung äußern wollte, erst im Innern zu regeln und zu ordnen. Maria unterbrach das Stillschweigen, indem sie rief: „Ach, bester Vater! – welche schauerliche Begebenheit, ich sehe den fürchterlichen Major in seiner dänischen Uniform vor mir stehen, den Blick starr auf mich gerichtet; um meinen Schlaf in dieser Nacht ist es geschehen.“ – Der Maler Franz Bickert, nun schon seit fünfzehn Jahren im Hause des Barons als wahrer Hausfreund, hatte, wie er manchmal pflegte, bisher an dem Gespräch gar keinen Anteil genommen, sondern war mit über den Rücken zusammengeflochtenen Armen, allerlei skurrile Gesichter schneidend und wohl gar bisweilen einen possierlichen Sprung versuchend, auf und ab geschritten. Nun brach er los: „Die Baronesse hat ganz recht – wozu schauerliche Erzählungen, wozu abenteuerliche Begebenheiten gerade vor dem Schlafengehen? Das ist wenigstens ganz gegen meine Theorie vom Schlafen und Träumen, die sich auf die Kleinigkeit von ein paar Millionen Erfahrungen stützt. – Wenn der Herr Baron nur lauter Unglücksträume hatte, so war es bloß, weil er meine Theorie nicht kannte, und also danach nicht verfahren konnte. Wenn Ottmar von magnetischen Einflüssen – Planetenwirkung und was weiß ich, spricht, so mag er nicht unrecht haben, aber meine Theorie schmiedet den Panzer, den kein Mondstrahl durchdringt.“ – „Nun so bin ich denn wirklich auf deine vortreffliche Theorie begierig“, sagte Ottmar. „Laß den Franz nur reden“, fiel der Baron ein, „er wird uns bald von allem, was und wie er will, überzeugen.“ Der Maler setzte sich Marien gegenüber, und indem er mit komischem Anstande und mit einem höchst skurrilen süßlichen Lächeln eine Prise nahm, fing er an:

      „Geehrte Versammlung! Träume sind Schäume, das ist ein altes körnichtes, recht ehrlich deutsches Sprichwort, aber Ottmar hat es so fein gewendet, so subtilisiert, daß ich, indem er sprach, in meinem Haupte ordentlich die Bläschen fühlte, die aus dem Irdischen entwickelt aufstiegen, um sich mit dem höheren geistigen Prinzip zu vermählen. Aber ist es denn nicht wieder unser Geist, der den Hefen bereitet, aus dem jene subtileren Teile, die auch nur das Erzeugnis eines und desselben Prinzips sind, emporsteigen ? – Findet unser Geist in sich selbst allein alle Elemente, alles Zubehör, woraus er, um in dem Gleichnis zu bleiben, jenen Hefen bereitet, oder kommt ihm außerhalb ihm Liegendes dabei zu Hülfe ? frage ich ferner, und antworte schnell: Die ganze Natur mit allen ihren Erscheinungen steht ihm nicht sowohl bei, als sie selbst in Raum und Zeit die Werkstatt darbietet, in welcher er, sich ein freier Meister wähnend, nur als Arbeiter für ihre Zwecke schafft und wirkt. Wir stehen mit allen Außendingen, mit der ganzen Natur in solch enger psychischer und physischer Verbindung, daß das Loslösen davon, sollte es möglich sein, auch unsere Existenz vernichten würde. Unser sogenanntes intensives Leben wird von dem extensiven bedingt, es ist nur ein Reflex von diesem, in dem aber die Figuren und Bilder, wie in einem Hohlspiegel aufgefangen, sich oft in veränderten Verhältnissen und daher wunderlich und fremdartig darstellen, unerachtet auch wieder diese Karikaturen im Leben ihre Originale finden. Ich behaupte keck, daß niemals ein Mensch im Innern etwas gedacht oder geträumt hat, wozu sich nicht die Elemente in der Natur finden ließen; aus ihr heraus kann er nun einmal nicht. – Abgesehen von äußern unabwendbaren Eindrücken, die unser Gemüt aufregen und in eine unnatürliche Spannung versetzen, z. B. plötzlicher Schreck – großes Herzeleid u.s.w., so meine ich, daß unser Geist, hält er sich bescheiden in den ihm angewiesenen Schranken, aus den angenehmsten Erscheinungen des Lebens bequem den Hefen bereiten kann, aus dem dann die Bläschen aufsteigen, die nach Ottmars Ausspruch den Schaum des Traums bilden. Ich, meinesteils, dessen gute Laune vorzüglich abends unverwüstlich ist, wie man mir einräumen wird, präpariere förmlich die Träume der Nacht, indem ich mir tausend närrische Dinge durch den Kopf laufen lasse, die mir dann nachts meine Fantasie in den lebendigsten Farben auf eine höchst ergötzliche Weise darstellt; am liebsten sind mir aber meine theatralischen Darstellungen.“ – „Was meinst du damit?“ fragte der Baron. – „Wir sind“, fuhr Bickert fort, „im Traum, wie schon ein geistreicher Schriftsteller bemerkt hat, die herrlichsten Schauspieldichter und Schauspieler, indem wir jeden außer uns liegenden Charakter mit allen seinen individuellsten Zügen richtig auffassen und mit der vollendetsten Wahrheit darstellen. Darauf baue ich denn, und denke so manchmal an die vielfachen komischen Abenteuer auf meinen Reisen, an manche komische Charaktere, mit denen ich lebte, und da gibt mir denn nachts meine Fantasie, indem sie diese Personen mit allen ihren närrischen Zügen und Albernheiten auftreten läßt, das ergötzlichste Schauspiel von der Welt. Es ist, als habe ich mir abends vorher nur den Cannevas, die Skizze des Stücks gegeben, und im Traum würde dann alles mit Feuer und Leben nach des Dichters Willen improvisiert. Ich trage die ganze Sacchische Truppe in mir, die das Gozzische Märchen mit allen aus dem Leben gegriffenen Nuancen so lebendig darstellt, daß das Publikum, welches ich auch wieder selbst repräsentiere, daran als an etwas Wahrhaftiges glaubt. – Wie gesagt, von diesen gleichsam willkürlich erregten Träumen rechne ich jeden ab, den eine besondere durch äußere Zufälle herbeigeführte Gemütsstimmung, oder ein äußerer physischer


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