Gesammelte Werke von Johanna Spyri. Johanna Spyri

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Gesammelte Werke von Johanna Spyri - Johanna Spyri


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Nicht im Gang, nicht im Garten, nirgends war’s zu finden. Lippo rief laut und noch lauter, es kam keine Antwort. Endlich hörte er den Gegenruf in sonderbar dumpfer Weise; doch merkte Lippo, dass er aus der Schlafstube kam. Er trat ein. Da sass Mäzli am Boden mitten in einem Kleiderhäufchen, den Kopf tief in den Schrank gesteckt, um immer noch mehr Gegenstände herauszukramen.

      »Ja, ja, du machst etwas Schönes am Sonntagmorgen«, sagte Lippo, indem er seine grossen Augen auf die Kleider am Boden richtete.

      »Das ist etwas Rechtes«, erwiderte Mäzli sehr bestimmt, »Kurt hat gesagt, man muss den Abgebrannten Kleider schicken, und nun muss man alle Kleider, die man nicht mehr braucht, herausnehmen und zusammenlegen; dann ist die Mama froh, weil sie dann nichts mehr zu tun hat, man kann alles morgen früh fortschicken. Du kannst deine Kleider auch holen, man legt alle auf ein Häuflein.«

      Lippo schien die Sache etwas zweifelhaft zu sein; er stand nachdenklich vor all den Röckchen und Jäckchen, die vor ihm auf dem Boden lagen. Es kam ihm vor, die Sache sei nicht so ganz nach der Mutter Sinn.

      »Aber wenn man etwas mit den Kleidern machen will, muss man doch immer die Mama fragen«, fing er wieder an.

      Mäzli gab keine Antwort und zog geschäftig noch ein Häufchen wollener Strümpfe und einen dicken Winterkragen heraus; alles wurde vorerst auf dem Boden ausgebreitet.

      »Nein, das will ich nicht tun«, sagte Lippo wieder nach längerer Betrachtung des ungewohnten Anblicks.

      »Du willst nur nicht, weil es soviel zu tun gibt«, behauptete Mäzli mit einem vor Eifer ganz roten Gesicht, »ich will dir dann schon helfen, wenn ich hier fertig bin.«

      »Ich will es doch nicht tun«, wiederholte Lippo jetzt ganz entschlossen; »ich will nicht, weil man nicht darf.«

      Mäzli hatte nicht Zeit, ihn weiter zu überzeugen; es musste durchaus noch die dicken Schuhe hervorkrabbeln, die da drinnen sein mussten. Aber bevor es diese ans Tageslicht gebracht, ging die Tür auf, und entsetzt blickte die Mutter auf die Verheerung:

      »Aber Kinder, welche abscheuliche Unordnung!« rief sie aus, »und am Sonntagmorgen! Was ist denn in euch gefahren, Kinder? Was soll überhaupt dieser Markt auf dem Boden bedeuten?«

      »Jetzt siehst du, Mäzli«, sagte Lippo nicht ohne Befriedigung, da es so klar zum Vorschein kam, wie recht er hatte. Aber Mäzli suchte mit aller Macht die Mutter zu überzeugen, dass es ihr nur helfen wollte, damit sie gar nichts mehr zu tun habe und nur alles fortschicken könne.

      Jetzt erklärte die Mutter dem Mäzli aber sehr bestimmt, dass es solche Hilfeleistungen nie mehr zu unternehmen habe, dass es durchaus nicht zu beurteilen habe, welche Kleider es noch brauchen und welche es verschenken solle, und dass eine solche Hilfe ihr nur gerade die doppelte Mühe mache, die sie sonst gehabt hätte. »Übrigens, Mäzli«, schloss die Mutter, »kann ich bemerken, dass dein grosser Eifer hauptsächlich daher kommt, dass du dich bei der Gelegenheit aller der Dinge entledigen möchtest, die du selbst nicht gern anziehst. Da liegt all dein wollenes Zeug, von dem du behauptest, es kratze dich, das magst du nun anderen Kindern gern gönnen, nicht Mäzli?«

      »Vielleicht haben sie es gern, weil sie frieren«, meinte Mäzli.

      »Mama, die Frau Amtsrichter kommt die Strasse herauf und gerade auf unser Haus zu, sie kommt gewiss zu uns«, berichtete Lippo, der ans Fenster getreten war.

      »Und ich habe noch nicht einmal meine Sachen abgelegt um dieser Unordnung willen«, sagte die Mutter erschrocken. »Geh, Mäzli, und grüsse die Frau Amtsrichter artig und führe sie in die vordere Stube. Sag ihr, ich komme sogleich, ich sei nur gerade aus der Kirche heimgekehrt.«

      Mäzli lief erfreut, der Auftrag war ihm sehr angenehm. Ganz manierlich empfing es die Frau Amtsrichter und führte sie nach der vorderen Stube zum Sofa hin, dass sie sich setze; geradeso wie die Mutter es machte, das wusste Mäzli genau. Dann richtete es seinen Auftrag aus, die Mutter werde gleich kommen.

      »Schon gut, schon gut, und was willst du tun an dem schönen Sonntag?« fragte die Frau.

      »Spazieren gehen«, antwortete Mäzli schnell. »Sind sie noch eingesperrt?« fragte es dann angelegentlich.

      »Wer? Wer? Was meinst du denn?« Die Frau Amtsrichter schaute ein wenig verweisend auf die Kleine.

      »Der Edwin und der Eugen.«, antwortete Mäzli unerschrocken.

      »Es nimmt mich nur wunder, woher du solches Zeug im Kopf hast«, sagte die Frau mit steigender Erregung, »warum sollten denn die Knaben eingesperrt sein, das möchte ich doch wissen.«

      »Weil sie dem Loneli soviel zuleide getan haben«, berichtete Mäzli. - Jetzt trat die Mutter ein. Sie begrüsste sehr freundlich ihren Gast, erhielt aber einen kurzen Gegengruss.

      »Mich nimmt nur eines wunder, Frau Pfarrer«, begann die Besuchende gleich in gereiztem Ton, »was für eine Bosheit dieses Giftkrötchen von Loneli über meine Knaben ersonnen und verbreitet hat, und noch mehr, dass Leute, denen man es nicht zutraute, daran glauben.«

      Frau Maxa war sehr verwundert ihrerseits, dass die Frau Amtsrichter schon etwas von dem gestrigen Vorgang vernommen hatte, ihre Söhne hatten doch kaum davon gesprochen.

      »Weil Sie doch schon um diese Sache wissen«, sagte sie dann, »so will ich Ihnen erzählen, was vorgefallen ist; denn Sie scheinen ganz unrichtig berichtet zu sein; es handelt sich nicht um eine Bosheit von Lonelis Seite. - Mäzli«, unterbrach sich die Mutter hier, zu dem Kinde gewandt, das seine Augen erwartungsvoll auf die Frau Amtsrichter geheftet hielt; denn es dachte, nun werde sie gleich berichten, ob die zwei noch eingesperrt seien -, »geh zu den Geschwistern hinüber und bleib dort, bis ich komme.«

      Mäzli ging, aber ein wenig langsam; es hoffte die Nachricht komme noch, bevor es bei der Tür anlangen würde; Sie kam aber nicht, Mäzli musste verschwinden. Nun erzählte Frau Maxa der Wahrheit gemäss den Vorgang von gestern abend.

      »Das ist ja nichts«, sagte die Frau Amtsrichter, als sie die Sache vernommen; »das sind Kinderscherze, alle Kinder halten sich zum Spass die Füsse vor. So etwas sollte man gar nicht beachten wie grössere Fehlen, bei denen es dann der Mühe wert ist, sie den Kindern vorzuhalten.«

      »Ich bin nicht Ihrer Meinung, Frau Amtsrichter«, sagte Frau Maxa; »diese Art von Scherzen grenzt doch ganz nahe an Roheit, und aus kleinen Roheiten werden bald grosse. Dem Loneli ist doch ein Leid geschehen durch solches Tun, da hört doch wirklich der Scherz auf.«

      »Wie gesagt, es ist ja der Mühe nicht wert, darüber soviel Worte zu verlieren. Man macht überhaupt zuviel Wesens aus diesem Kinde und seiner Grossmutter. Diese Apollonie hat es immer noch im Kopf, dass sie die Schlossapollonie hiess, und trägt ihn darum heut noch hoch, und das Kind wird’s bald genug auch lernen. Aber ich kam, etwas ganz anderes und viel Wichtigeres mit Ihnen zu besprechen«, und nun begann die Frau Amtsrichter ihre Mitteilungen zu machen, die ihrer Zuhörerin wenig erfreulich sein mussten; denn sie sah immer erschrockener aus. Ihr Mann und sie seien zu der Ansicht gekommen, hatte die Frau zu berichten, dass es nun an der Zeit sei, die Söhne nach der Stadt zu schicken, damit sie dort die höheren Klassen des Gymnasiums besuchen könnten. Der Unterricht beim Herrn Pfarrer sei ja für die ersten Jahre ganz gut gewesen; dem seien die Söhne aber nun doch entwachsen, sie gehörten nun auf eine höhere Schule. so werde es das beste sein, gleich auf den Herbst für alle drei zusammen ein Unterkommen in einem guten Kosthause zu suchen; denn Bruno werde ja natürlich dann auch mitgehen. Es sei auch für alle Zeit gut, wenn die drei zusammenblieben und sich so auf die gleiche Weise weiter entwickelten; denn später würden sie ja doch in ihrer Gemeinde am meisten zu sagen haben. So wäre es ja dann für das ganze Gemeinwesen gut, wenn sie alles so recht übereinstimmend beurteilen und behandeln würden. »So denkt denn mein Mann bald einmal nach der Stadt zu fahren und sich nach einem geeigneten Kosthause umzusehen«, schloss die Besprechung; »es wir Ihnen ja lieb sein, wenn er in dieser Weise auch für Ihren Bruno den Weg auftut, den Sie ja sonst selbst suchen müssten.«

      Frau Maxa fielen diese Mitteilungen schwer aufs Herz. Schon sah sie die drei Jungen vor sich unter einem Dache wohnen, und alle die erschrecklichen Szenen, die aus diesem nahen Zusammensein erfolgen würden, stiegen


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