Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
Читать онлайн книгу.hörte, wie er in seinem Kalender blätterte. Sie kannte ihn, ein dickes, in schwarzes Leder gebundenes Buch. Sie selbst besaß einen aus rotbraunem Leder. Sie konnte sich vorstellen, wie er die Seiten umblätterte und dabei überlegte, welche Termine er verschieben könnte.
»Also, frühestens am Freitag«, hörte sie ihn durz darauf. »Ich komm’ ganz früh und fahre gegen Mittag wieder ab. Das muß reichen.«
»Das wird es«, freute Elke sich. »Ich bin froh, daß du es einrichten kannst. Außerdem…, ach nichts.«
»Nanu? Ist da noch etwas, das dich bedrückt?« fragte Reinhard. »Du klingst so merkwürdig.«
»Nicht direkt…«
»Mädchen, sag’ die Wahrheit. Ich kenn’ dich seit mehr als zwanzig Jahren. Du weißt, daß du mir so leicht nichts vormachen kannst. Ich spür’ doch, daß da noch was ist.«
»Schon, aber darüber reden wir, wenn du hier bist.«
»Wirklich dann erst? Nicht eine kleine Andeutung?« Elke schwieg.
»Etwa ein Mann?« platzte es aus ihrem Bruder heraus. »Du hast dich doch nicht etwa verliebt? Marina, stell’ dir vor, Elke hat sich verliebt.«
Was ihre Schwägerin antwortete, hörte sie nicht mehr.
Sie rief: »Blödmann!« ins Telefon, warf den Hörer auf die Gabel und vergrub das Gesicht in ihrem Kopfkissen.
Sie wußte nicht, ob sie weinen oder lachen sollte.
*
»Ein undankbarer Patron!« schimpfte Sophie Tappert beim Frühstück.
»Von wem reden Sie denn?« fragte Sebastian Trenker seine Haushälterin.
»Na, von dem Taugenichts, der fast eine ganze Woch’ bei uns genächtigt hat.«
»Wieso hat? Ist er fort?«
»Jawohl, und ohne ein Dankeschön für all die Mühe, die wir mit ihm hatten, und gestohlen hat er auch noch.«
Die ansonsten schweigsame Frau kam so richtig in Fahrt und schilderte, wie sie dem Moislinger-Karl das Frühstück hatte bringen wollen.
Sophie Tappert klopfte an die Kammertür und trat ein, ohne ein ›Herein‹ abzuwarten. In der rechten Hand hielt sie ein Tablett, auf dem sich das Frühstück für den Kranken befand.
»Guten Mor…«
Guten Morgen hatte sie sagen wollen, doch das Wort erstarb ihr auf den Lippen. Das Bett, in dem Karl Moislinger liegen sollte, war nämlich leer.
Kopfschüttelnd stellte die Haushälterin das Tablett auf den Tisch. Vermutlich war der Obdachlose im Badezimmer. Sie wandte sich zum Gehen um – und blieb wie erstarrt stehen.
Etwas war ihr aufgefallen. Die Plastiktüten, in denen der Moislinger-Karl sein Hab und Gut herumschleppte, die immer neben dem Bett gestanden hatten, waren verschwunden.
Sophie Tappert blickte auf den Stuhl. Dorthin hatte sie Hochwürdens ausgetragenen Anzug hingehängt, zusammen mit dem Hemd und der Leibwäsche. Alles war fort!
Sie ging auf den Flur. Zwei Türen weiter war das Badezimmer. Sophie klopfte an, erhielt aber keine Antwort. Sie lauschte einen Moment und drückte, als sie keine Geräusche vernahm, die Klinke herunter. Wie sie erwartet hatte, war das Bad leer.
»Aus dem Staub gemacht hat er sich, der Herr Moislinger«, schloß sie ihren Bericht.
Das Wort ›Herr‹ betonte sie dabei.
»Ob der Doktor Wiesinger ihm denn schon erlaubt hat, aufzustehen?« wunderte der Pfarrer sich.
»Glauben S’ denn, Hochwürden, daß so einer um Erlaubis fragt?« erwiderte Sophie Tappert. Wir können ja froh sein, daß er ›nur‹ etwas gestohlen, und uns net umgebracht hat.«
»Bitt’schön, Frau Tappert, übertreiben S’ net. Was fehlt denn eigentlich?«
»Ein gutes Stück geräuchten Schinken, eine halbe Mettwurst und ein ganzes Brot!« trumpfte sie auf.
»Nun ja, ich denke, wir werden den Verlust verkraften können«, meinte Sebastian. »Natürlich braucht er eine Wegzehrung. Wenn sonst nichts Schlimmeres geschehen ist.«
Sophie wurde leichenblaß und preßte eine Hand vor den Mund. Eine Geste, die sie immer dann zeigte, wenn sie ihre Fassungslosigkeit ausdrückte.
»Sie sagen da ’was, Hochwürden«, rief sie entsetzt und wandte sich zum Küchenschrank um. »Hoffentlich ist’s noch da!«
»Ja was denn?« wollte der Pfarrer wissen.
Seine Haushälterin antwortete nicht. Sie wühlte in dem oberen, linken Schrankfach.
»Es ist weg!« stöhnte sie dann und drehte sich zu Sebastian um. »Hier hat’s gelegen. Jetzt ist es fort. Gestohlen!«
»Ja, was denn, um alles in der Welt?«
»Das Geld…, das Haushaltsgeld für die nächste Woch’«, sagte sie leise unter Tränen.
Sebastian sah sie kopfschüttelnd an. Dann stand er auf und drückte sie sanft auf den Stuhl. Er reichte ihr die Kaffeetasse.
»Hier trinken Sie erstmal, und dann beruhigen Sie sich«, versuchte er, sie aufzumuntern.
»Einfach gestohlen!«
Sophie kramte aus ihrer Schürze ein Taschentuch hervor und trocknete die Tränen.
»Was mach’ ich denn jetzt nur?« fragte sie. »Das ganze Haushaltsgeld…«
Sebastian räusperte sich.
»Natürlich ist es schlimm, was da vorgefallen ist«, sagte er.
»Dennoch kann ich Ihnen einen kleinen Vorwurf nicht ersparen. Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, Sie sollen das Geld vom Pfarrkonto auf der Bank holen, wenn Sie welches brauchen. Wozu haben Sie denn diese Karte dafür?«
»Ach, Hochwürden, Sie wissen doch, daß ich diesen Maschinen net trau’, all dieser neumodische Kram. Davon versteh’ ich doch nix«, antwortete sie. »Und die Geheimnummer – merken kann ich’s mir net, und aufschreiben darf ich’s a net.«
Sie stand auf und machte ein entschlossenes Gesicht.
»Aber der Bursche wird mich kennenlernen«, drohte sie.
»Eines Tages läuft er mir wieder über den Weg, und dann…«
Sie sprach nicht aus, was sie dann zu tun gedachte, statt dessen ging sie zum Telefon und wählte die Nummer des Polizeipostens von St. Johann.
Sebastian, der ahnte, daß die Haushälterin seinen Bruder anrufen wollte, schmunzelte. Der Max wird sich freuen, so früh aus dem Bett geholt zu werden!
*
Vergeblich hatte Elke Kerner beim Frühstück auf Carsten Henning gewartet. Dabei hatte sie sich so darauf gefreut, mit ihm zusammen an einem Tisch zu sitzen. Enttäuscht ging sie hinauf und klopfte an seine Zimmertür. Als Carsten nicht antwortete ging Elke auf ihr Zimmer und zog sich um.
Sie wußte nicht, wie sie Carstens Verhalten deuten sollte. Ging er ihr absichtlich aus dem Weg? Bereute er vielleicht sogar, was gestern abend geschehen war? Die junge Frau überlegte, ob sie noch eine Weile warten solle, doch dann verwarf sie den Gedanken. Um einen abschließenden Eindruck zu gewinnen, mußte sie noch einmal das Gebiet um St. Johann herum in Augenschein nehmen. Eigentlich war sie schon viel zu spät dran. Sie mußte sich beeilen, die Strecke, die sie sich vorgenommen hatte, brauchte ihre Zeit.
Elke wollte noch einmal auf die Hohe Riest wandern. Von dort hatte man den schönsten Blick in alle Richtungen. Im Rücken die Berge, und vor sich das weite Tal mit dem Ort darin. Dorthin wollte sie auch ihren Bruder führen. Wenn er dieses Bild sah, konnte Reinhard nur der gleichen Meinung sein, wie sie. Überhaupt war sie sicher, ihren Bruder und Teilhaber der Firma davon überzeugen zu können, daß das ehrgeizige Projekt des Bürgermeisters