Das fehlende Glied in der Kette. Agatha Christie

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Das fehlende Glied in der Kette - Agatha Christie


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Murdoch war ein frisches junges Mädchen, das vor Lebenslust und Energie förmlich strotzte.

      Sie warf ihre Uniformmütze zur Seite und ich bewunderte den Schwung ihrer kastanienbraunen Locken und ihre kleinen weißen Hände, die sie nach ihrer Tasse Tee ausstreckte. Mit dunklen Augen und Wimpern wäre sie eine Schönheit gewesen. Sie ließ sich neben John auf die Erde fallen und lächelte zu mir hoch, als ich ihr die Platte mit den Sandwiches reichte.

      »Setzen Sie sich doch auch auf den Rasen, hier ist es viel, viel schöner.«

      Gehorsam ließ ich mich neben ihr auf dem Boden nieder.

      »Sie arbeiten in Tadminster, nicht wahr, Miss Murdoch?«

      Sie nickte. »Die reinste Strafarbeit.«

      »Sind sie denn dort so unfreundlich zu Ihnen?«, fragte ich lächelnd.

      »Das sollen die nur wagen!«, rief Cynthia empört.

      »Ich habe eine Kusine, die als Krankenschwester arbeitet«, bemerkte ich. »Sie hat schreckliche Angst vor den Oberschwestern.«

      »Das überrascht mich nicht. Oberschwestern sind einfach – ach, Mr Hastings, Oberschwestern sind einfach fürchterlich! Sie machen sich ja gar keine Vorstellung davon, wie fürchterlich sie sind. Aber ich bin keine Krankenschwester, dem Himmel sei Dank, ich arbeite in der Apotheke.«

      »Na, wie viele Menschen haben Sie denn schon vergiftet?« Ich lächelte.

      Cynthia lächelte ebenfalls.

      »Oh, hunderte«, sagte sie.

      »Cynthia«, rief Mrs Inglethorp. »Könntest du wohl ein paar Briefe für mich schreiben?«

      »Aber gern, Tante Emily.«

      Sie sprang sofort auf, und irgendwas in ihrem Verhalten erinnerte mich daran, dass sie von Mrs Inglethorps Großmut abhängig war und dass Mrs Inglethorp sie das bei aller sonstigen Freundlichkeit nie vergessen ließ.

      Meine Gastgeberin wandte sich nun mir zu. »John wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen. Um halb acht gibt es Abendbrot. Seit einiger Zeit verzichten wir auf späte Abendmahlzeiten. Lady Tadminster, die Frau unseres Parlamentsabgeordneten – sie ist die Tochter des verstorbenen Lord Abbotsbury –, macht es genauso. Sie stimmt mit mir darin überein, dass man sparen soll und den anderen mit gutem Beispiel vorangehen muss. Wir sind ein richtiger Kriegshaushalt; hier wird nichts verschwendet, sogar jeder Fetzen Papierabfall wird aufgehoben und zur Sammelstelle gebracht.«

      Ich drückte ihr meine Anerkennung aus und John begleitete mich ins Haus und die breite Treppe hinauf, die sich oben teilt und rechts und links in die verschiedenen Flügel des Gebäudes führt. Mein Zimmer lag im linken Flügel mit Ausblick auf den Park.

      John ging wieder und einige Minuten später sah ich ihn von meinem Fenster aus langsam untergehakt mit Cynthia Murdoch über den Rasen schlendern. Ich hörte Mrs Inglethorp ungeduldig »Cynthia« rufen und sah das Mädchen zusammenzucken und zurück ins Haus laufen. Im gleichen Augenblick trat ein Mann aus dem Schatten eines Baums und ging langsam in die gleiche Richtung. Er schien um die vierzig zu sein, war dunkelhaarig und hatte ein schwermütiges, glattrasiertes Gesicht. Anscheinend befand er sich in einem Zustand höchster Erregung. Im Vorbeigehen sah er zu meinem Fenster hoch und ich erkannte ihn, obwohl er sich in den fünfzehn Jahren seit unserer letzten Begegnung stark verändert hatte. Es war Johns jüngerer Bruder Lawrence. Ich fragte mich, was diesen eigenartigen Gesichtsausdruck hervorgerufen hatte.

      Dann vergaß ich ihn wieder und dachte über meine eigenen Angelegenheiten nach.

      Der Abend verging ausgesprochen angenehm und in der Nacht träumte ich von der verwirrenden Mrs Cavendish.

      Der nächste Morgen war hell und sonnig und ich war voller Vorfreude auf die nächsten Tage.

      Ich sah Mrs Cavendish erst beim Mittagessen wieder, wo sie mir einen Spaziergang vorschlug, und wir verbrachten einen zauberhaften Nachmittag, streiften durch den Wald und kehrten so gegen fünf zum Haus zurück.

      Als wir die große Halle betraten, winkte John uns zu, wir sollten ins Herrenzimmer kommen. Ich sah ihm sofort an, dass etwas Unangenehmes passiert sein musste. Wir folgten ihm und er schloss hinter uns die Tür.

      »Hör mal, Mary, hier herrscht ein heilloses Durcheinander. Evie hatte einen Streit mit Alfred Inglethorp und will weggehen.«

      »Evie? Weg?«

      John nickte düster.

      »Ja. Weißt du, sie ist zu Mutter gegangen und – ach, hier kommt sie ja selbst.«

      Miss Howard kam herein. Sie hatte die Lippen zusammengepresst und trug einen kleinen Koffer. Sie wirkte aufgeregt und entschlossen, als ob sie sich rechtfertigen wollte.

      »Jedenfalls«, platzte sie heraus, »habe ich ihr die Meinung gesagt!«

      »Meine liebe Evie«, rief Mrs Cavendish, »das kann doch nicht wahr sein!«

      Miss Howard nickte grimmig.

      »Wahr genug! Habe wohl Emily einige Dinge gesagt, die sie so bald weder vergeben noch vergessen wird. Ist mir aber völlig egal, wenn nur einiges davon hängen geblieben ist. Aber wahrscheinlich war sowieso alles umsonst. Ich sagte ihr direkt ins Gesicht: ›Du bist eine alte Frau, Emily, und die alten Trottel sind die schlimmsten. Der Mann ist zwanzig Jahre jünger als du, also ist doch völlig klar, weshalb er dich geheiratet hat. Wegen deinem Geld! Gib ihm nur nicht zu viel. Bauer Raikes hat eine hübsche junge Frau. Frag doch mal deinen Alfred, wie viel Zeit er dort verbringt.‹ Sie wurde sehr wütend. Ist doch klar! Ich machte weiter: ›Ich warne dich, egal, ob du es hören willst oder nicht. Dieser Mann ist im Stande und bringt dich noch in deinem eigenen Bett um. Er ist eine ganz üble Type. Ob es dir nun passt oder nicht, ich muss dich warnen. Er ist eine ganz üble Type!‹«

      »Und was hat sie gesagt?«

      Miss Howard schnitt eine äußerst ausdrucksvolle Grimasse.

      »›Alfred, mein Liebling‹ – ›mein liebster Alfred‹ – ›bösartige Verleumdungen‹ – ›gemeine Lügen‹ – ›bösartiges Weib, die meinen geliebten Mann verleumdet!‹ Je schneller ich ihr Haus verließe, desto besser. Deshalb gehe ich weg.«

      »Aber doch nicht jetzt schon?«

      »Augenblicklich!«

      Wir saßen alle da und starrten sie an. John versuchte sie zum Dableiben zu überreden, doch ohne Erfolg, schließlich ging er, um die Abfahrtszeiten der Züge nachzusehen. Seine Frau folgte ihm und murmelte, dass sie Mrs Inglethorp dazu bringen wollte, ihre Meinung zu ändern.

      Als sie den Raum verlassen hatte, veränderte sich Miss Howards Gesichtsausdruck. Sie neigte sich eifrig zu mir herüber.

      »Mr Hastings, Sie sind ein anständiger Mensch. Kann ich mich auf Sie verlassen?«

      Ich war etwas überrascht. Sie legte ihre Hand auf meinen Arm und flüsterte: »Kümmern Sie sich um sie, Mr Hastings. Meine arme Emily. Sie sind Gauner – allesamt. Oh, ich weiß, wovon ich rede. Alle haben sie Geldprobleme und alle wollen sie von ihr Geld. Ich habe sie so gut vor ihnen beschützt, wie ich konnte. Wenn ich nun nicht mehr da bin, werden sie ihre Gutmütigkeit ausnutzen.«

      »Selbstverständlich werde ich alles tun, was ich kann, aber ich bin sicher, dass Sie in Ihrer Aufregung Gespenster sehen.«

      Sie unterbrach mich, indem sie mir langsam mit dem Zeigefinger drohte. »Junger Mann, glauben Sie mir. Ich bin schon länger auf der Welt als Sie. Ich bitte Sie doch nur, Ihre Augen offen zu halten. Sie werden schon sehen, was ich damit meine.«

      Durch das offene Fenster drang Motorengeräusch und Miss Howard erhob sich und ging zur Tür. Draußen hörte man Johns Stimme. Mit der Hand auf dem Türknauf sah sie über die Schulter zurück und winkte mich zu sich heran.

      »Vor allem, Mr Hastings, passen Sie auf diesen Teufel auf – ihren Mann!«

      Es blieb keine Zeit für weitere Erklärungen. Miss Howard wurde von


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