Die Angst reist mit. Eric Ambler

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Die Angst reist mit - Eric  Ambler


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eine aufgeweckte und clevere Person war, und überlegte, ob der Amerikaner in Italien seine »Offenheit« vielleicht bedauert hatte. Nach einer Weile erhob Kopejkin das Glas.

      »Ich trinke«, sagte er pathetisch, »auf Ihre beiden Reisen.« Plötzlich stellte er das Glas ab, ohne daraus getrunken zu haben. »Nein, das ist absurd«, sagte er missmutig. »Mein Trinkspruch kommt nicht von Herzen. Ich finde es einfach schade, dass es zwei Reisen gibt. Sie fahren beide nach Paris. Sie sind beide Freunde von mir, und deswegen haben Sie« – er tätschelte sich den Bauch – »vieles gemeinsam.«

      Graham lächelte und bemühte sich, kein allzu verdutztes Gesicht zu machen. Sie war zweifellos sehr attraktiv, und es war angenehm, ihr gegenüberzusitzen, wie in diesem Moment. Dass aus der Bekanntschaft aber mehr werden könnte, auf diese Idee war er einfach nicht gekommen. Er war verwirrt. Er sah, dass sie ihn amüsiert beobachtete, und hatte das unangenehme Gefühl, dass sie genau wusste, was ihm durch den Kopf ging.

      Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Das wollte ich auch schon vorschlagen. Sie hätten es mir überlassen sollen, Kopejkin. Mademoiselle wird sich fragen, ob ich so ehrlich bin wie ein Amerikaner.« Er lächelte sie an. »Ich fahre morgen Vormittag um elf.«

      »Erster Klasse, Mr. Graham?«

      »Ja.«

      Sie machte ihre Zigarette aus. »Dann können wir aus zwei simplen Gründen nicht zusammen reisen. Ich nehme einen anderen Zug und reise ohnehin zweiter Klasse. Ist vielleicht ganz gut so. José würde die ganze Zeit mit Ihnen Karten spielen wollen, und Sie würden Ihr Geld verlieren.«

      Offensichtlich wollte sie, dass ihre Gäste austranken und gingen. Graham war eigentümlich enttäuscht. Er wäre gern noch geblieben. Außerdem wusste er, dass er sich ungeschickt benommen hatte.

      »Vielleicht können wir uns ja in Paris treffen«, sagte er.

      »Vielleicht.« Sie erhob sich und lächelte ihn an. »Ich werde im Hôtel des Belges in der Nähe der Trinité wohnen, wenn es noch existiert. Ich würde mich freuen, Sie wiederzusehen. Kopejkin sagt, Sie sind ein bekannter Ingenieur.«

      »Kopejkin übertreibt immer – so wie er übertrieben hat, als er sagte, dass wir Sie nicht stören. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise.«

      »Es war sehr schön, Sie kennenzulernen. Es war nett von Ihnen, Kopejkin, mir Graham vorzustellen.«

      »Es war seine Idee«, sagte Kopejkin. »Adieu, meine liebe Josette, und bon voyage. Wir würden gern noch bleiben, aber es ist schon spät, und ich bestehe darauf, dass Mr. Graham etwas Schlaf bekommt. Wenn ich es nicht verhindere, würde er so lange mit Ihnen plaudern, dass er seinen Zug verpasst.«

      Sie lachte. »Sie sind nett, Kopejkin. Wenn ich das nächste Mal nach Istanbul komme, werden Sie es als Erster erfahren. Auf Wiedersehen, Mr. Graham, und gute Reise!« Sie reichte ihm die Hand.

      »Das Hôtel des Belges bei der Trinité«, sagte er, »ich werde daran denken.« Es war etwas weniger als die Wahrheit. In den zehn Minuten, die sein Taxi von der Gare de L’Est bis zur Gare St.-Lazare unterwegs war, würde er vermutlich daran denken.

      Sanft drückte sie seine Hand. »Bestimmt«, sagte sie. »Adieu, Kopejkin. Sie finden hinaus?«

      »Ich glaube«, sagte Kopejkin, während sie auf die Rechnung warteten, »ich glaube, ich bin ein bisschen enttäuscht von Ihnen, mein Freund. Sie haben einen ausgezeichneten Eindruck auf sie gemacht. Sie hätten sie mühelos haben können. Sie hätten sie nach der Abfahrtszeit ihres Zuges fragen müssen.«

      »Ich bin ganz sicher, dass ich keinen Eindruck auf sie gemacht habe. Offen gestanden, ich war verlegen. Mit dieser Sorte Frau kann ich nicht umgehen.«

      »Diese Sorte Frau, wie Sie es nennen, liebt Männer, die ein bisschen schüchtern sind. Ihre Unsicherheit war anziehend.«

      »Du lieber Himmel! Na, immerhin habe ich gesagt, dass ich mich in Paris mit ihr treffen werde.«

      »Mein Freund, ihr ist völlig klar, dass Sie nicht die leiseste Absicht haben, sich in Paris mit ihr zu treffen. Schade. Sie ist wirklich etwas Besonderes. Ich weiß das. Sie hatten die besten Chancen, aber Sie wollten es nicht wahrhaben.«

      »Mein Gott, Sie scheinen zu vergessen, dass ich verheiratet bin.«

      Kopejkin warf die Hände in die Luft. »Typisch englisch! Was soll man dazu sagen. Man kann nur dastehen und sich wundern.« Er seufzte tief. »Da kommt die Rechnung.«

      Beim Hinausgehen kamen sie an Maria vorbei, die mit ihrer besten Freundin, einer melancholisch dreinblickenden Türkin, an der Bar saß. Sie schenkte ihnen ein Lächeln. Graham fiel auf, dass der Mann im zerknitterten braunen Anzug verschwunden war.

      Draußen auf der Straße war es kalt. Der Wind pfiff durch die Telefonleitungen, die an den Häuserwänden befestigt waren. Um drei Uhr früh wirkte die Stadt Suleimans des Prächtigen wie ein Bahnhof nach Betriebsschluss.

      »Es wird bald schneien«, sagte Kopejkin. »Ihr Hotel ist ganz in der Nähe. Wir werden zu Fuß dorthin gehen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich wünsche Ihnen«, fuhr er fort, »dass Ihnen unterwegs Schneefälle erspart bleiben. Letztes Jahr wurde der Simplon-Orient-Express in der Nähe von Saloniki drei Tage lang aufgehalten.«

      »Ich werde eine Flasche Cognac mitnehmen.«

      Kopejkin brummte. »Trotzdem beneide ich Sie nicht um Ihre Reise. Vielleicht werde ich alt. Außerdem, in dieser Jahreszeit zu verreisen …«

      »Och, ich bin ein geübter Reisender. Ich langweile mich nicht so schnell.«

      »Ich habe nicht an Langeweile gedacht. In Kriegszeiten können viele unangenehme Dinge passieren.«

      »Sicher.«

      Kopejkin knöpfte sich den Mantelkragen zu. »Um Ihnen nur ein Beispiel zu geben … Während des letzten Krieges fuhr ein österreichischer Freund von mir, der in Zürich geschäftlich zu tun gehabt hatte, nach Berlin zurück. In seinem Abteil saß ein Mann, der sich als Schweizer aus Lugano ausgab. Während der Fahrt kamen die beiden ins Gespräch. Der Schweizer erzählte von seiner Frau und seinen Kindern, von der Firma und seinem Zuhause. Er schien ganz sympathisch zu sein. Kurz hinter der Grenze hielt der Zug an einem kleinen Bahnhof, Soldaten und Polizisten stiegen ein und verhafteten den Schweizer. Mein Freund musste ebenfalls aussteigen, da er im selben Abteil saß. Er hatte keine Angst. Er war ein guter Österreicher, und seine Papiere waren in Ordnung. Doch der Mann aus Lugano war sehr erregt. Er wurde bleich und schrie wie ein Kind. Später erfuhr mein Freund, dass der Mann kein Schweizer war, sondern ein italienischer Spion, und dass er erschossen wurde. Meine Frau war ganz schockiert. Wissen Sie, man spürt immer, wenn jemand über etwas redet, was ihm lieb ist, und dieser Mann hatte zweifellos die Wahrheit über seine Frau und seine Kinder gesagt. Es stimmte alles, bis auf einen Punkt: Sie lebten nicht in der Schweiz, sondern in Italien. Krieg«, sagte Kopejkin pathetisch, »ist etwas Hässliches.«

      »Richtig.« Sie hatten das Hotel Adler Palace erreicht. »Kommen Sie noch auf ein Glas herein?«

      Kopejkin schüttelte den Kopf. »Netter Vorschlag von Ihnen, aber ich muss schlafen gehen. Ich fühle mich jetzt schuldig, weil ich so lange mit Ihnen aus war. Unser gemeinsamer Abend hat mir aber Spaß gemacht.«

      »Mir auch. Ich danke Ihnen.«

      »Es war mir ein Vergnügen. Wir brauchen uns jetzt noch nicht zu verabschieden. Ich bringe Sie morgen Vormittag zum Zug. Könnten Sie um zehn Uhr fertig sein?«

      »Gewiss.«

      »Also dann, gute Nacht, mein Freund.«

      »Gute Nacht, Kopejkin.«

      Graham ging hinein, ließ sich an der Rezeption seinen Schlüssel geben und bat den Nachtportier, ihn um acht Uhr zu wecken. Und da nachts kein Lift fuhr, stieg er müde die Treppe hinauf bis in den zweiten Stock.

      Sein Zimmer lag am Ende des Flurs. Er steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um, öffnete die Tür und tastete mit der rechten Hand nach dem Lichtschalter an der Wand.

      Im


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