Die Angst reist mit. Eric Ambler

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Die Angst reist mit - Eric  Ambler


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er hätte Kopejkin nicht angerufen. Es war absurd genug, sagte er sich immer wieder, von einem Hoteldieb beschossen zu werden. Zu nachtschlafender Zeit zum Chef der Geheimpolizei verfrachtet zu werden, um darüber zu berichten, war mehr als absurd – es war lächerlich. Er machte sich aber auch Sorgen. Kopejkin mochte sich ruhig wie ein Idiot benehmen, doch die Vorstellung, sich vor einem Mann zu blamieren, der durchaus imstande war, ihm geschäftlich zu schaden, war nicht sehr angenehm. Außerdem war er, Graham, unhöflich zu ihm gewesen.

      Er wandte den Kopf zur Seite. »Was für ein Typ ist dieser Oberst Hakki eigentlich?«

      Kopejkin brummte. »Sehr elegant und kultiviert – ein Typ, auf den die Frauen fliegen. Soll zwei Flaschen Whisky austrinken können, ohne dass man ihm etwas anmerkt. Vielleicht stimmt das Gerücht. Er war einer von Atatürks Männern und Abgeordneter der Provisorischen Nationalversammlung von 1919. Es gibt noch ein zweites Gerücht – dass er Gefangene paarweise gefesselt und in einen Fluss geworfen haben soll, um Lebensmittel und Munition zu sparen. Ich glaube nicht alles, was ich höre, und bin selbst auch kein Tugendbold, aber wie gesagt, ich mag ihn nicht. Er ist aber sehr clever. Sie werden schon sehen. Sie können französisch mit ihm sprechen.«

      »Ich begreife noch immer nicht …«

      »Warten Sie nur ab.«

      Bald darauf hielten sie hinter einer großen amerikanischen Limousine, die die schmale Straße, in die sie eingebogen waren, fast versperrte. Sie stiegen aus. Graham fand sich vor einer Doppeltür wieder, die wie der Eingang eines billigen Hotels aussah. Kopejkin drückte auf eine Klingel.

      Fast im selben Moment erschien ein verschlafener Hausmeister in der Tür, den sie offensichtlich aus dem Bett gerissen hatten.

      »Hakki efendi evde midir?«, fragte Kopejkin.

      »Evet. Yukarı.« Der Mann zeigte zur Treppe.

      Sie gingen hoch.

      Oberst Hakkis Büro war ein großes Zimmer am Ende eines Flurs im obersten Stockwerk. Der Oberst, ein hochgewachsener Mann mit einem straffen Gesicht, einem kleinem Mund und kurzgeschorenen grauen Haaren, kam ihnen schon entgegen. Die schmale Stirn, die lange gekrümmte Nase und die leicht vornübergebeugte Haltung gaben ihm etwas Raubvogelhaftes. Er trug eine gut geschnittene Uniformjacke, Reithose und enge blitzblanke Kavalleriestiefel. Er hatte den stolzen Gang eines Mannes, der viel reitet. Abgesehen von der auffallenden Blässe seines Gesichts und den Bartstoppeln deutete nichts an ihm darauf hin, dass er eben noch geschlafen hatte. Seine grauen Augen waren hellwach und musterten Graham lebhaft.

      »Ah! Nasılsınız? Fransizca konuşabilirmisin? Vous parlez français, eh? Sehr erfreut, Monsieur Graham. Natürlich, Ihre Wunde!« Lange, geschmeidige Finger packten Grahams unversehrte Hand und drückten sie kräftig. »Ich hoffe, Sie haben keine allzu großen Schmerzen. Dieser Gangster, der Sie umbringen wollte – wir müssen unbedingt etwas unternehmen.«

      »Ich fürchte, wir haben Sie unnötigerweise in Ihrer Ruhe gestört, Herr Oberst«, sagte Graham. »Der Mann hat nichts gestohlen.«

      Oberst Hakki warf Kopejkin einen raschen Blick zu.

      »Ich habe ihm nichts gesagt«, erklärte Kopejkin seelenruhig. »Es war Ihr Vorschlag, wie Sie sich vielleicht erinnern. Leider glaubt er, dass ich entweder hysterisch oder verrückt bin.«

      Oberst Hakki lachte. »Das ist das Schicksal von euch Russen, dass man euch immer missversteht. Kommen Sie, gehen wir in mein Büro, dort können wir weiter über die Sache reden.«

      Sie folgten ihm – Graham mit der wachsenden Überzeugung, dass er sich in einem Albtraum befand und bald in einem Zahnarztstuhl aufwachen würde. Der Flur war tatsächlich so kahl und gesichtslos wie Flure in einem Traum. Allerdings roch es nach kaltem Rauch.

      Es war kühl in Oberst Hakkis großem Büro. Sie setzten sich ihm gegenüber an den Schreibtisch. Er schob ihnen eine Zigarettenschachtel zu, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander.

      »Sie müssen begreifen, Monsieur Graham«, sagte er unvermittelt, »dass heute Nacht ein Anschlag auf Sie verübt wurde.«

      »Wirklich?«, erwiderte Graham gereizt. »Es tut mir leid, aber ich verstehe nicht ganz. Bei der Rückkehr in mein Zimmer stellte ich fest, dass ein Mann durch das Fenster eingestiegen war. Offensichtlich war es irgendein Dieb. Ich habe ihn gestört. Er hat auf mich geschossen und ist dann entflohen. Das ist alles.«

      »Soweit ich informiert bin, haben Sie den Vorfall nicht angezeigt.«

      »Ich dachte nicht, dass eine Anzeige etwas nützen würde. Ich habe das Gesicht des Mannes nicht erkennen können. Außerdem fahre ich heute Vormittag mit dem Elf-Uhr-Zug nach England zurück. Ich wollte nicht, dass etwas dazwischenkommt. Tut mir leid, wenn ich gegen irgendwelche Gesetze verstoßen habe.«

      »Zarar yok! Macht nichts!« Der Oberst zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch an die Decke. »Ich habe nur meine Pflicht zu tun, Monsieur Graham, und die besteht darin, Sie zu schützen. Leider kann ich Sie mit dem Elf-Uhr-Zug nicht fahren lassen.«

      »Wovor wollen Sie mich denn schützen?«

      »Ich werde Ihnen ein paar Fragen stellen, das ist einfacher. Sie arbeiten für den englischen Rüstungsbetrieb Cator & Bliss Ltd.?«

      »Ja. Kopejkin ist unser Repräsentant in der Türkei.«

      »Richtig. Sie sind Experte für Schiffsgeschütze, Mr. Graham?«

      Graham zögerte. Wie alle Ingenieure mochte er die Bezeichnung »Experte« nicht besonders. Sein Chef nannte ihn manchmal so, wenn er an ausländische Behörden schrieb. Er konnte sich aber damit trösten, dass sein Chef ihn als ausgewachsenen Zulu bezeichnen würde, wenn das einen Kunden beeindruckte. Ansonsten ärgerte er sich maßlos, wenn dieser Begriff verwendet wurde.

      »Nun, Mr. Graham?«

      »Ich bin Ingenieur und befasse mich zufällig mit Schiffsgeschützen.«

      »Wie Sie wollen. Der Punkt ist, dass die türkische Regierung mit Cator & Bliss einen Vertrag geschlossen hat. Gut. Ich weiß zwar nicht genau, worum es bei diesem Vertrag geht, Mr. Graham« – er machte eine vage Handbewegung – »das ist Sache des Marineministeriums. Aber mir sind doch ein paar Dinge zu Ohren gekommen. Ich weiß, dass einige unserer Kriegsschiffe mit neuen Geschützen und Torpedorohren ausgestattet werden sollen und dass Sie hierhergeschickt wurden, um die Angelegenheit mit unseren Spezialisten zu besprechen. Weiterhin weiß ich, dass die neue Ausrüstung bis spätestens Frühjahr geliefert sein soll. Ihre Firma hat diese Klausel akzeptiert. Ist Ihnen dieser Umstand bewusst?«

      »Seit zwei Monaten denke ich an nichts anderes mehr.«

      »Iyi! Gestatten Sie mir die Bemerkung, dass der Grund für diese Klausel nicht einfach eine Laune unseres Marineministeriums war. Angesichts der politischen Situation ist es unbedingt erforderlich, dass wir spätestens zum besagten Zeitpunkt über die neue Ausrüstung verfügen.«

      »Das weiß ich auch.«

      »Ausgezeichnet. Dann werden Sie verstehen, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Die Deutschen, Italiener und Russen wissen natürlich, dass diese Schiffe neu bestückt werden sollen. Sobald das geschehen ist, vielleicht auch schon früher, werden ihre Agenten die Einzelheiten, die momentan nur einigen wenigen Personen bekannt sind, darunter auch Ihnen, herausgefunden haben. Das ist nicht weiter tragisch. Keine Kriegsmarine kann Geheimnisse dieser Art verbergen und auch nicht erwarten, sie sei dazu imstande. Wir können es sogar aus verschiedenen Gründen für ratsam halten, die Einzelheiten selber an die Öffentlichkeit zu bringen. Doch im Moment« – er hob einen langen manikürten Finger – »im Moment sind Sie es, der sich in einer eigentümlichen Lage befindet, Mr. Graham.«

      »Den Eindruck habe ich allerdings auch.«

      Oberst Hakkis kleine grauen Augen ruhten kalt auf ihm. »Ich bin nicht hier, um Witze zu machen, Mr. Graham.«

      »Pardon.«

      »Schon gut. Noch eine Zigarette? Also, wie ich gerade erklärt habe, sind Sie im Moment in einer eigentümlichen


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