Die Angst reist mit. Eric Ambler

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Die Angst reist mit - Eric  Ambler


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sich rühren oder auch nur denken konnte, blitzte und krachte es erneut, und ihm war, als würde ein Stück weiß glühendes Metall an seinen Handrücken gedrückt. Er schrie vor Schmerz und wankte nach vorn, aus dem Licht des Flurs in das Dunkel seines Zimmers. Abermals ging ein Schuss los, und ein Stück Putz fiel zu Boden.

      Dann war Stille. Zusammengekauert lehnte er an der Wand neben dem Bett, seine Ohren sangen vom Krach der Detonationen. Er sah undeutlich, dass das Fenster offen stand und sich jemand dort bewegte. Seine Hand schien wie taub, aber zwischen den Fingern spürte er Blut.

      Er rührte sich nicht. Sein Schädel dröhnte. Pulverdampf lag in der Luft. Und als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er, dass die Gestalt am Fenster verschwunden war.

      Er wusste, dass neben seinem Bett noch ein zweiter Lichtschalter war. Mit der linken Hand tastete er sich an der Wand entlang. Dann berührte er das Telefon. Ohne recht zu wissen, was er tat, nahm er den Hörer.

      Er hörte ein Klicken, sobald der Nachtportier die Verbindung hergestellt hatte.

      »Zimmer sechsunddreißig«, sagte er und registrierte überrascht, dass er brüllte. »Es ist etwas passiert. Ich brauche Hilfe.«

      Er legte den Hörer auf, stolperte ins Badezimmer und machte dort Licht. Aus einer großen Schramme quer auf dem Handrücken floss Blut. Durch die Wellen von Übelkeit, die ihn erfassten, hörte er Türengeräusche und aufgeregte Stimmen im Korridor. Jemand hämmerte an seine Zimmertür.

      2

      Die Schauerleute waren mit dem Verladen fertig und machten die Luken dicht. Eine Winsch arbeitete noch, hievte aber nur die Ladebäume in Position. Wenn sie einrasteten, vibrierte jedes Mal die Kabinenwand, an der Graham lehnte. Ein weiterer Passagier war an Bord gekommen und vom Steward zu einer Kabine weiter hinten geführt worden. Der Mann hatte den Steward mit einer leisen, brummigen Stimme und in stockendem Italienisch angesprochen.

      Graham stand auf und suchte mit der unversehrten Hand in seiner Tasche nach einer Zigarette. Langsam wurde es ihm etwas eng in seiner Kabine. Er sah auf seine Uhr. Das Schiff würde erst in einer Stunde ablegen. Er wünschte, er hätte Kopejkin gebeten, mit an Bord zu kommen. Er versuchte, an seine Frau zu denken, sich vorzustellen, wie sie in England mit Freunden beim Tee saß, doch ihm war, als hielte jemand ein Stereoskop vor sein inneres Auge, jemand, der unablässig Bilder zwischen ihn und sein Leben schob, um ihn davon zu trennen, Bilder von Kopejkin und Le Jockey Cabaret, von Maria und dem Mann im zerknitterten Anzug, von Josette und ihrem Partner, von zuckenden Blitzen in einem Meer von Dunkelheit und von bleichen, erschrockenen Gesichtern im Hotelkorridor. Da wusste er noch nicht, was er jetzt wusste, was er in der kalten, scheußlichen Morgendämmerung erfahren hatte. Die ganze Sache war ihm erst anders erschienen: unangenehm, eindeutig unangenehm, aber doch plausibel, erklärbar. Er fühlte sich wie einer, dem man gerade mitgeteilt hat, dass er an einer tödlichen Krankheit leidet, und ihm war, als gehörte er in eine andere Welt, von der er nur wusste, dass sie abscheulich war.

      Die Hand, die das Streichholz an die Zigarette hielt, zitterte. »Ich muss schlafen«, dachte er.

      Die Übelkeit legte sich. Frierend stand er in seinem Badezimmer. Durch die Watte, in die sein Kopf eingepackt zu sein schien, drangen wieder Geräusche. Von weit her glaubte er ein unregelmäßiges Pochen zu hören. Da wurde ihm klar, dass noch immer an seine Zimmertür geklopft wurde.

      Er wickelte sich ein Handtuch um die Hand, ging in das Zimmer zurück und machte Licht. In dem Moment hörte das Klopfen auf, und es erklang ein metallisches Geräusch. Jemand benutzte einen Hauptschlüssel. Die Tür flog auf.

      Als Erster kam der Nachtportier herein und schaute sich unsicher um. Hinter ihm im Flur standen die Leute aus den benachbarten Zimmern, ängstlich zurückweichend, um nicht zu sehen, was sie zu sehen hofften. Ein kleiner dunkler Mann in einem roten Morgenmantel über einem blau gestreiften Schlafanzug drängte sich am Nachtportier vorbei. Graham erkannte den Mann wieder, der ihn zu seinem Zimmer geführt hatte.

      »Es sind Schüsse gefallen«, hob der Angestellte auf Französisch an. Dann sah er Grahams Hand und wurde blass. »Ich … Sie sind verwundet. Sie sind …«

      Graham setzte sich auf das Bett. »Es ist nicht schlimm. Wenn Sie einen Arzt rufen, der meine Hand verbindet, werde ich Ihnen berichten, was passiert ist. Aber zuerst: Der Mann, der geschossen hat, ist durchs Fenster entkommen. Vielleicht könnte man ihn noch erwischen. Was ist unter dem Fenster?«

      »Aber …«, fing der Mann schrill an. Er hielt inne, riss sich aber deutlich zusammen. Dann sagte er zum Nachtportier etwas auf Türkisch. Der Portier ging hinaus, machte die Tür hinter sich zu. Draußen erhob sich ein aufgeregtes Durcheinander von Stimmen.

      »Außerdem muss der Hoteldirektor benachrichtigt werden«, sagte Graham.

      »Pardon, Monsieur, das ist schon geschehen. Ich bin sein Stellvertreter.« Er knetete die Hände. »Was ist passiert? Ihre Hand, Monsieur … Der Arzt wird jeden Moment hier sein.«

      »Gut. Aber Sie sollten wissen, was passiert ist. Ich bin heute Abend mit einem Freund aus gewesen. Vor ein paar Minuten kam ich zurück. Als ich die Tür aufmachte, stand jemand dort am Fenster und hat drei Schüsse auf mich abgegeben. Der zweite traf meine Hand, die anderen beiden gingen in die Wand. Ich habe gehört, wie er sich bewegte, aber sein Gesicht habe ich nicht gesehen. Ich denke, es war ein Dieb, den meine unerwartete Rückkehr überrascht hat.«

      »Unerhört!«, rief der Hotelmanager. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. »Ein Dieb! Ist Ihnen irgendetwas gestohlen worden, Monsieur?«

      »Ich habe noch nicht nachgesehen. Dort drüben steht mein Koffer. Er war verschlossen.«

      Der Hotelmanager eilte durchs Zimmer und kniete sich neben den Koffer. »Er ist noch immer verschlossen«, meldete er mit einem Seufzer der Erleichterung.

      Graham suchte in seiner Tasche. »Hier sind die Schlüssel. Machen Sie lieber auf.«

      Der Mann gehorchte. Graham warf einen Blick auf den Inhalt. »Er hat nichts angerührt.«

      »Gott sei Dank!« Er zögerte. Er dachte offensichtlich schnell nach. »Sie sagen, Ihre Hand ist nicht ernsthaft verletzt, Monsieur?«

      »Nein, ich glaube nicht.«

      »Das ist ein großes Glück. Als die Schüsse fielen, Monsieur, glaubten wir schon, dass etwas furchtbar Schlimmes passiert war. Sie können sich denken … Aber es ist schlimm genug.« Er trat ans Fenster und sah hinaus. »Das Schwein! Er muss durch den Garten entkommen sein. Es hat keinen Sinn, nach ihm zu suchen.« Er zuckte mit den Schultern. »Er ist verschwunden, da kann man nichts machen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, Monsieur, wie sehr wir bedauern, dass Ihnen dies ausgerechnet im Adler Palace passiert ist. So etwas ist hier noch nie vorgekommen.« Er zögerte wieder und fuhr dann rasch fort: »Selbstverständlich werden wir unser Möglichstes tun, Ihnen in dieser unangenehmen Situation zu helfen. Ich habe den Portier gebeten, Ihnen eine Flasche Whisky zu bringen, sobald er den Arzt verständigt hat. Englischen Whisky! Wir haben einen besonderen Vorrat davon. Zum Glück ist Ihnen ja nichts gestohlen worden. Mit einem solchen Zwischenfall konnte wirklich niemand rechnen, aber wir werden dafür sorgen, dass Sie ärztlich versorgt werden. Und natürlich werden Ihnen für die Zeit Ihres Aufenthalts hier keinerlei Kosten entstehen, ganz klar. Aber …«

      »Aber Sie wollen keine Polizei, kein Aufsehen, nicht wahr?«

      Der Hotelmanager lächelte nervös. »Was würde es schon nützen, Monsieur. Die Polizisten würden bloß Fragen stellen und uns allen Ungelegenheiten bereiten.« Er schien eine Idee zu haben. »Uns allen, Monsieur«, wiederholte er mit Nachdruck. »Sie sind Geschäftsmann. Sie wollen am Vormittag abreisen. Wenn die Polizei hier erschiene, könnte das etwas schwierig werden. Es würde zwangsläufig zu Verzögerungen kommen. Und wozu?«

      »Vielleicht würde man ja denjenigen schnappen, der auf mich geschossen hat.«

      »Aber wie, Monsieur? Sie haben sein Gesicht nicht gesehen. Sie können ihn nicht beschreiben. Es ist nichts gestohlen worden, was auf seine Spur führen könnte.«

      Graham


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