Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier. Immanuel Birmelin

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Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier - Immanuel Birmelin


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der ersten Woche kam Olin immer zur gleichen Zeit, umkreiste das Boot und sprang häufig aus dem Wasser. In seiner Verzweiflung, da er nicht sprechen konnte, gab Abdul Arm- und Handzeichen. Olin begriff die Arm- und Handzeichen schnell. Und Abdul verstand, dass er mit seinen Gesten seine Wünsche ausdrücken konnte. Er konnte die Delfindame vom Boot aus dazu veranlassen, das Boot zu umkreisen und in die Luft zu springen. Olin und Abdul hatten eine Kommunikationsebene gefunden. Das sagt viel über die Intelligenz von Olin aus. Olin wurde nie durch Futter belohnt. Ihre Lernbereitschaft war freiwillig. Warum sie mit Abdul kommunizierte, bleibt ein Rätsel. Irgendetwas musste sie an Abdul finden.

      Aber auch im Wasser verstand sie die Zeichensprache, wenn die beiden miteinander schwammen. Fast jeden Nachmittag zwischen zwölf und drei Uhr kam Olin, und die beiden schwammen und spielten miteinander. Olin störte es nicht, wenn auch andere Menschen in einiger Entfernung ihr das Spiel und ihre Zweisamkeit beobachteten.

      Das war eine große Chance für mich. Schnell hatten meine Frau und ich die Flossen, die Taucherbrille und den Schnorchel angezogen und sprangen ins Wasser. Unter Wasser konnte man die Vertrautheit der beiden noch besser beobachten. Olin umkreiste Abdul und ließ sich von ihm zärtlich streicheln. Ihre Basis der Vertrautheit war nur der gegenseitige Austausch von Gefühlen. Es war, wie schon erwähnt, kein Futter im Spiel. Nach etwa einer Stunde schwamm Olin ins Meer hinaus und verschwand bis zum nächsten Tag.

      Eines Tages kam Olin nicht, und Abdul machte sich schon Sorgen. Ich glaube, es waren drei oder vier Tage vergangen. Dann tauchte sie wieder auf – diesmal mit Begleitung. Sie hatte ihren Sohn Ramadan mitgebracht, wie ihn Abdul liebevoll nannte. Olin hatte nie ihre Artgenossen verlassen, dafür ist ihr Kind Ramadan der Beweis. Sie nahm sich lediglich ein bis zwei Stunden von der Truppe frei. Die beiden wurden sehr zutraulich, und Abdul konnte beide streicheln. Wenn sie keine Lust mehr hatten, verließen sie den Spielplatz und verschwanden im Meer. Meine Frau und ich waren glücklich, so etwas erleben zu dürfen.

      Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Eines Tages beobachteten wir, wie der junge Ramadan mit seiner Mutter kopulierte. Ich traute zunächst meinen Augen nicht. Doch ich sah genau, wie er seinen Penis in ihre Geschlechtsöffnung führte, und das nicht einmal rein zufällig, sondern gleich mehrere Male. Delfinmütter unterweisen ihre Söhne im Paarungsverhalten. Das war für mich eine Sensation. Meine Nachforschungen ergaben: Ramadan und Olin sind keine Ausnahme in diesem Punkt. Aber dass sie so viel Vertrauen zu Menschen aufbauen konnten, ist schon ungewöhnlich und schön.

      Elsa, eine Löwin in zwei Welten

      Auch die Löwin Elsa präsentierte ihren Nachwuchs einem Homo sapiens, nämlich Joy Adamson. Löwenmütter umsorgen und verteidigen ihren Nachwuchs sehr gut. Meist wachsen die Löwenkinder im Rudel auf. Es gibt liebe Tanten, die immer auch ein Auge auf den Nachwuchs richten, damit den putzigen Kindern kein Haar gekrümmt wird. Wer die Idylle stört, spielt mit seinem Leben.

      Die Löwin Elsa gehört sicher zu einer der berühmtesten Löwinnen. Über ihr Leben wurde sogar ein Spielfilm gedreht. Warum wurde Elsa so berühmt? Beginnen wir die Geschichte von vorne. Elsas Mutter wurde erschossen, als Elsa ein Löwenbaby war. Das Ehepaar Adamson zog die verwaiste Löwin liebevoll groß. Sie lebte bei ihnen wie ein anhänglicher Hund. Sie durfte fast überall mit, ihr Lieblingsplatz war das Dach des Landrovers, wenn sie den Busch durchstreiften. Von hier hatte sie einen guten Überblick über die Landschaft. Wenn die Familie zu Fuß auf Safari ging, musste Elsa oft acht Stunden laufen. Für Löwen ist dies ein gewaltiger Marsch. Normalerweise schlafen sie 18 Stunden. Während des Spaziergangs lernte Elsa Mitbewohner ihrer Heimat kennen: Thomson-Gazellen, Impalas, Giraffen, Büffel und natürlich Elefanten.

      Vermutlich hätte Elsa bis an ihr Ende so leben können. Aber Joy Adamson, ihre Ziehmutter, hatte andere Pläne mit ihr. Sie sollte die Freiheit der afrikanischen Savanne kennenlernen und dort leben. Das war der Wunsch des Ehepaares Adamson. Diesen Wunsch zu realisieren, war äußert schwierig. Zuerst musste Joy Elsa lehren, wie man Beute fängt und tötet. Das dauerte Monate. Nachdem sie das gelernt hatte, wurde es für das Ehepaar psychisch richtig schwierig. Denn sie hatten nicht mit der Anhänglichkeit Elsas gerechnet. Immer wieder fuhr Joy Adamson mit ihrem Landrover und Elsa in die Steppe hinaus. Weit weg vom Zeltcamp. Und suchte ein geeignetes Gelände, um Elsa in die Freiheit zu entlassen. Dort fütterte sie sie und verbrachte einige Stunden mit ihr. Wenn sich die Gelegenheit bot, schlich sie sich heimlich von Elsa weg und fuhr ins Camp zurück. Am nächsten Morgen suchte sie nach Elsa. Sie saß an dem Platz, wo sie sie verlassen hatte. Sie spähte nach ihr aus. Als sie Joy entdeckte, lief sie eilig zu ihr. Sie war außer sich vor Freude. Sie rieb ihren Kopf an Joys Knien und leckte ihr das Gesicht.

      Mit so viel Wiedersehensfreude hatte Joy nicht gerechnet. Sie kam ins Grübeln und Zweifeln. Und wurde bei dem Gedanken, Elsa zu enttäuschen und sie der Wildnis zu überlassen, sehr traurig. Sie kämpfte gegen sich – in der Überzeugung, die Freiheit sei für Elsa das Beste. Das Ehepaar Adamson unternahm noch einige vergebliche Versuche, Elsa in die Freiheit zu entlassen. Aber letztendlich gelang es ihnen, und Elsa fand einen Löwenmann. Mit ihm bekam sie drei Löwenkinder.

      Wer glaubt, die Geschichte sei jetzt zu Ende, täuscht sich und unterschätzt die Treue Elsas. Die Löwin beendete die Beziehung zu ihren menschlichen Freunden nicht, sondern besuchte sie mit ihren Kindern. Frau Adamson saß im Camp und tippte auf der Schreibmaschine.

      Aber lassen wir Frau Adamson selbst erzählen: »Plötzlich hielt ich inne und wollte meinen Augen nicht trauen. Nur wenige Meter vor mir stand Elsa auf der Sandbank, eines der Jungen neben sich. Das andere stieg gerade aus dem Wasser und schüttelte sich, das dritte war noch am anderen Ufer, lief hin und her und miaute ganz jämmerlich. Elsa aber sah mich mit einem Ausdruck von Stolz und Verlegenheit unablässig an. Ich verhielt mich vollkommen ruhig. Elsa brummte ihren Jungen leise zu, ging dann zu dem eben an Land gestiegenen Jungen, leckte es zärtlich und wandte sich dem Kleinsten zu, das am anderen Ufer festsaß. Die beiden, die mit ihr zur Sandbank gekommen waren, folgten ihr auf dem Fuß, schwammen mutig durchs Wasser, und bald war die ganze Familie am anderen Ufer wieder beisammen. Sobald sie gelandet waren, leckte sie die Babys liebkosend; dann sprang sie mir nicht entgegen, wie sie es für gewöhnlich tut, wenn sie aus dem Fluss kommt, sondern ging ganz langsam, rieb sich zärtlich an mir, wälzte sich im Sand, leckte mein Gesicht und umarmte mich schließlich. Ihr Bemühen, den Jungen zu zeigen, dass wir Freunde waren, rührte mich. Diese beobachteten uns aus einiger Entfernung interessiert, aber verwirrt und entschlossen, außer Reichweite zu bleiben.« (Quellennachweis, Adamson, >) Die Bindung zwischen Elsa und dem Ehepaar Adamson hielt ein Leben lang. Leider starb Elsa früh. Die Obduktion ergab, dass die Löwin an einer Babesien-Infektion starb, einem Parasiten, der die roten Blutkörperchen zerstört.

      Virgo, die Elefantendame

      Die Bindung zwischen Mensch und Tier ist, wie wir sehen, nichts Ungewöhnliches. Selbst Elefantendamen in einem Rudel bauen spezifische Bindungen zu einem Menschen auf. Douglas-Hamilton und seine Frau Oria haben dies erfahren und erlebt. Er schrieb seine Doktorarbeit über das Sozialverhalten von Afrikanischen Elefanten im Lake-Manyara-Gebiet in Tansania. Die beiden bauten eine so starke Beziehung zu der Elefantendame Virgo auf, dass Oria Douglas-Hamilton mit ihrem Baby zu Virgo gehen konnte. Sie waren unbeschreiblich glücklich, als Virgo das Baby ganz vorsichtig berüsselte. Diese Beispiele belegen, dass Wildtiere mit Menschen eine Bindung eingehen, egal ob das Wildtier in der Natur oder in der Obhut des Menschen lebt.

      Warum sind wir für Tiere so interessant?

      Einer der Gründe liegt auf der Hand: Tiere werden vom Menschen versorgt, und das erleichtert ihnen das Überleben. Aber diese Erklärung allein reicht nicht aus. Wie soll man sich erklären, dass Wildtiere wie Gorillas, Schimpansen, Elefanten und Delfine eine Bindung zum Menschen eingegangen sind – ohne Futterbelohnung. Es muss noch andere Beweggründe geben, die den Menschen attraktiv macht für Tiere: Sie sind psychischer Natur und von der Persönlichkeit des Tieres abhängig.

      Aber bevor sich Wildtiere auf das Abenteuer einer Mensch-Tier-Beziehung einlassen, muss die Furcht des Tieres gegenüber dem Menschen überwunden werden. Das Tier muss individuell erfahren, dass vom


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