Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier. Immanuel Birmelin

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Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier - Immanuel Birmelin


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leichter Futter, und wenn sie darum nicht konkurrieren, hat jeder etwas davon. Zum anderen zeigte sie, dass Freundschaften psychische Bedürfnisse befriedigen und ein Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit vermitteln.

      Erkennen Büffel ihr totes Herdenmitglied?

      In der Serengeti hatte ein Rudel von 19 Löwen einen Büffel gerissen und gefressen. Ein Löwe bewachte den Rest der Beute, während die anderen etwa 300 Meter entfernt unter einer Schirmakazie ihre vollgefressenen Bäuche gegen den Himmel streckten und dösten. Nach Stunden tauchte wie aus dem Nichts eine Herde von Büffeln auf und vertrieb den wachenden Löwen und die schlafenden Familienmitglieder. Was sich jetzt abspielte, konnte ich mir zuvor nicht vorstellen.

      Die Büffel standen um den Leichnam herum, einige von ihnen berochen ihn, andere versuchten mit den Hörnern den toten Büffel aufzurichten, andere leckten an ihm. Die Stimmung war eigenartig. Alle Handlungen verliefen sehr ruhig. Man hatte den Eindruck, als ob die Büffel trauerten. Die Bewegungen waren relativ langsam. Immer wieder näherten sie sich, gingen weg und kamen wieder. Ich werde den Verdacht nicht los, dass es sich um Trauer handelte. Was für eine starke Bindung zu ihrem Artgenossen sprechen würde.

      Gedankenspiel

      Freundschaftliche Bindung hat für viele Tierarten große Vorteile im Überlebenskampf. Mütter und Kinder können zum Beispiel vor Angreifern und Feinden geschützt werden. Freundschaft ist für in Gruppen lebende Tiere auch ein Werkzeug der Evolution und findet sich nicht nur beim Menschen. Freundschaftliche Bindungen findet man beispielsweise bei Pferden, Elefanten, Hyänen, Delfinen, Affen und Menschenaffen. Bei einigen von diesen Individuen kann die Freundschaft Jahre bestehen. Wie eng die Freundschaft ist, hängt von der Persönlichkeit des einzelnen Tieres ab. Freundschaft existiert zwischen Weibchen, zwischen Männchen oder zwischen Männchen und Weibchen. Leben die Weibchen weit verstreut voneinander, dann schließen die Männchen Freundschaften. Manchmal ist die Freundschaft von kurzer Dauer und tritt nur auf, wenn die Tiere zusammenarbeiten müssen, etwa wenn es gilt, einen Eindringling, der in die Gruppe aufgenommen werden will, gemeinsam zu verdrängen.

      Freundschaft gründet sich oft auf gemeinsamen guten Erinnerungen oder auf guten Gefühlen, die man im Beisein des anderen hat. Das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere, daher ist es nicht gerechtfertigt, Tieren freundschaftliche Verbindungen abzusprechen. Das ist heute die Auffassung vieler Verhaltensbiologen, vor allen Dingen derjenigen, die Tiere über Jahre in der Wildnis beobachtet haben. Viele Studien haben gezeigt, dass Tiere innerhalb einer Gruppe erkennen, wer wessen Freund ist. Freundschaft ist adaptiv. Männchen mit Freunden haben Fähigkeiten, die sie im Wettbewerb um Ressourcen oder Weibchen begünstigen. Sie haben mehr Nachkommen. Weibchen mit lang andauernden engen Freundschaften sind weniger stressanfällig, leben länger, und von ihren Kindern überleben mehr.

      Konsequenzen für die Tierhaltung

      Jeder Tierhalter sollte die Freundschaften seiner Schützlinge berücksichtigen, denn sie tragen zum Wohlergehen des jeweiligen Tieres bei. Tier-Freundschaften erleichtern das Verarbeiten von Stresssituationen. Zusammenhänge zwischen sozialer Fellpflege und Entspannung sind bei verschiedenen Tierarten, vor allen Dingen bei Primaten, in der Literatur beschrieben worden. Feh und de Mazières haben gezeigt: Beknabbert werden ist bei Pferden nachweislich mit einem Absinken der Herzschlagfrequenz gekoppelt, was als ein zuverlässiger Indikator für die stressmindernde Wirkung der sozialen Fellpflege angesehen wird. (Quellennachweis, Feh/de Mazières, >).

      Einen beruhigenden, entspannungsfördernden Effekt des Belecktwerdens bei Rindern belegten Wood (1977) und Sato (1984). Entspannung wiederum ist ein wichtiger Bestandteil des Wohlbefindens, und Tiere, die sich wohlfühlen, sind nachweislich gesünder und produktiver. Aber nicht nur physische Kontakte, wie sie bei der sozialen Fellpflege stattfinden, sondern allein die Nähe des Freundes hat eine stressmindernde Wirkung. Das bedeutet letztendlich: Tiere mit Freunden sind besser adaptiert und erfolgreicher.

      Praktische Empfehlungen von Anja Wasilewski, wie man auf die Freundschaftsbeziehung Rücksicht nehmen kann:

      1. Umgruppierungsentscheidungen sollten so getroffen werden, dass bestehende Bindungen aufrechterhalten werden können.

      2. In der Praxis wird es selten möglich sein, die Beziehungsgefüge vollständig zu erhalten. Es sollte darauf geachtet werden, dass Tiere nicht einzeln umquartiert werden, sondern idealerweise soziale Einheiten, möglichst aber mindestens ein Paar guter Freunde.

      3. Privat können oft nur wenige Tiere gehalten werden. Dann kann es passieren, dass zwei Tiere keine Freunde werden. Entscheiden Sie sich für eine Notlösung und setzen Sie einen Partner hinzu. Ein Partner ist besser als keiner. Vorausgesetzt, die Tiere bekämpfen sich nicht.

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      Freundschaft zwischen Mensch und Oktopus? Die gibt es tatsächlich.

      Oktopus Amadeus

      Plötzlich und völlig unerwartet schaut mich Amadeus mit großen Augen an und fuchtelt mit seinen Extremitäten. Er muss etwas loswerden und fährt mich mit scharfem Ton an: »Das ist wieder typisch für euch Menschen. Du hast uns Wirbellose völlig vergessen. Auch wir Oktopusse bauen Freundschaften auf. Einer meiner Kollegen hat mit einer jungen Kamerafrau Freundschaft geschlossen. Er kommt im Film ›Wenn die Tiere reden könnten ...‹ von dir und Volker Arzt sogar vor. Wie konntest du so etwas vergessen!«

      Die Darsteller sind Natalie, die Kamerafrau, und der Oktopus Ödipus. Amadeus hat recht. So eine Beziehung zwischen Mensch und Tier war meiner Gedankenwelt völlig fern. Tauchen wir unter und beobachten Natalie. Sie schwimmt direkt zur Höhle von Ödipus. Er bemerkt sie und verlässt seine Höhle. Was er bei einer fremden Person nie machen würde. Die Höhle bietet ihm Schutz vor Feinden, und wir Menschen gehören in aller Regel dazu. Er schwimmt furchtlos auf Natalie zu und umarmt sie mit seinen acht Armen. An jedem Arm sind zwei Reihen wehrhafter Saugnäpfe und solche, mit denen er sie beriechen und betasten kann. Was er sorgfältig tut, er beriecht ihren Anzug und ihre Hände. Und was er dort wahrnimmt, scheint er zu genießen. Oktopusse sind viel einfacher gebaut als Säugetiere. Sie sind verwandt mit Schnecken und Muscheln, und dennoch haben diese Geschöpfe Gefühle. Dass dieser Oktopus Freundschaft mit Natalie geschlossen hat, ist ganz offensichtlich. Die beiden schwimmen im Meer. Er hält sich an ihren Armen fest, und sie schauen sich tief in die Augen. Ich weiß nicht mehr, wie lange die Begegnung dauerte, aber ich glaube, sie waren etwa 30 Minuten zusammen. Als Natalie ihn in die Höhle zurücksetzte, protestierte der Oktopus. Er hielt sich immer wieder an Natalie fest und wollte sie nicht loslassen. Aber Natalie musste ihn verlassen, ihr ging die Luft aus. Wann immer es ihr möglich war, besuchte sie ihren Freund Ödipus. Oktopusse gehören zu den unterschätzten Tieren. Wir werden noch über ihre geistigen Leistungen staunen.

      Eine Idylle in der Schweiz

      Meine Frau und ich kommen gerade aus der Serengeti zurück. Wir haben Bilder im Kopf, die wir niemals vergessen. Wir riechen sie noch, wir genießen es, alleine mit den Tieren und der Landschaft zu sein. Ein Bild des Friedens prägte sich in unsere Köpfe ein. Über was wir immer wieder sprechen, ist die Angst der Menschen, die sie vor diesen wilden Tieren haben. Sicherlich töten Löwen, Leoparden und Geparden andere Mitbewohner der Steppe. Aber der Grund liegt auf der Hand, auch sie müssen fressen. Sie töten nicht aus Lust und Tollerei wie wir Menschen. Wir atmen den morgendlichen Frieden ein und beobachten, wie viele Tierarten zusammen auf diesem Fleckchen Erde leben. Ein Traum, aber was hat dieser Traum mit der Schweiz zu tun?

      Wir sind bei Monika eingeladen. Sie wohnt in der herrlichen Schweiz. Als wir uns dem eingezäunten Grundstück nähern, werden wir von zwei Schweinen und Pferden begrüßt. Eines der Pferde streckt seinen Kopf über den Zaun und wiehert. Wir treten ein. Eine ganze Menagerie von Tieren betrachtet uns. Hunde, Katzen, Pferde, Ponys, Schweine und ein Fuchs. Sie leben friedlich beieinander. Monika darf nicht fehlen. Herzlich werden wir von ihr begrüßt. Einige der Mitgeschöpfe sind bei ihr gestrandet und haben das große Los gezogen.


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