Sechs Krimis: Ferienkiller. Alfred Bekker
Читать онлайн книгу.tat ihr mit meiner Einschätzung ein ziemlich großes Unrecht an und sie war von Jimmy Talabanis Tod tatsächlich so mitgenommen, wie es den Anschein hatte.
Inzwischen war ich mir da nicht mehr sicher.
„Sie hatten keine Angst, selbst getroffen zu werden?“, hakte ich nach.
„Natürlich hatte ich das! Ich war einen Moment wie erstarrt. Dann ging ich hinter der Geisterbahn in Deckung.“
„Warum sind Sie nicht dort geblieben, bis die Polizei eintraf?“
„Weil...“ Sie brach ab, biss sich auf Lippe.
„Weil Sie schnell genug hier her kommen wollten, um in Jimmy Talabanis Appartement jegliche Spuren Ihrer Existenz zu vernichten“, vermutete ich. „Darum tragen Sie die Latexhandschuhe. Oder können Sie mir einen anderen, halbwegs plausiblen Grund dafür nennen, dass Sie – kurz nachdem Ihr Lebensgefährte ermordet worden ist! – Ihre Sachen packen und anfingen, das Bad zu reinigen!“
„Ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal so unter Schock standen, dass Sie glaubten, Ihr Kopf explodiert. Wahrscheinlich sind Sie durch Ihren Job so abgebrüht, dass es Ihnen nichts mehr ausmacht, wenn sechs Menschen vor Ihren Augen sterben.“
„Ich kann Ihnen versichern, dass ich mich in all meinen Dienstjahren nie an derartige Dinge gewöhnen konnte“, erklärte ich ihr mit großem Ernst. „Ganz gleichgültig, wer auch das Opfer sein mag, ob Männer, Frauen, Kinder, ob Unschuldige oder Schuldige, ob Gangster oder Kollegen – ein Mord bleibt immer ein Mord und der jeweilige Täter muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden.“
Sie lachte heiser.
„Es hört sich eigenartig an, wenn Sie das sagen, Kommissar Kubinke, dann klingt das fast schon überzeugend. Aber die Wirklichkeit sieht doch ganz anders aus. Ich glaube nicht, dass das BKA wirklich betrübt über den Tod von Jimmy ist! Sie haben ihn mit allen möglichen Verdächtigungen überzogen, ihm aber bis heute nichts nachweisen können, was vor Gericht Bestand gehabt hätte! Wer weiß, es würde mich nicht einmal wundern, wenn es einer Ihrer Leute gewesen wäre, der ihn auf dem Gewissen hat.“
„Das ist doch Unsinn.“
„Sie müssen so reden, Kommissar Kubinke. Aber noch kann ich sagen, was ich denke.“
„Wir können uns gerne noch einmal darüber unterhalten, wenn wir den Mörder von Jimmy Talabani hinter Schloss und Riegel gebracht haben.“
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.
Rudi wandte sich inzwischen an Dachner und Gonzales und sagte ihnen, dass sie gehen und uns sämtliche noch vorhandene Aufzeichnungen der Videoüberwachung heraussuchen sollten, die in diesem Haus auf sämtlichen Korridoren sowie in den Aufzügen und im Eingangsbereich angebracht waren.
„Wir werden sehen, was wir für Sie tun können“, versprach Dachner. „Allerdings werden die Aufnahmen in regelmäßigen Abständen gelöscht.“
„Das macht nichts“, erwiderte Rudi. „Wenn wir erfahren würden, wer Jimmy Talabani in den letzten Tagen besucht hat, wäre das auch schon eine große Hilfe.“
„Wie Sie meinen.“
Die beiden Wachmänner verließen den Raum.
Ich nahm mir inzwischen die Sporttasche vor, die Jacqueline gepackt hatte. „Haben Sie was dagegen, wenn ich mir die mal ansehe?“
„Ich wette, es hätte ohnehin keinen Sinn, wenn ich mich dagegen sträuben würde, Kommissar Kubinke.“
„Da haben Sie Recht.“
„Warum fragen Sie dann?“
Ich durchsuchte den Inhalt der Tasche schnell. Es waren ausschließlich persönliche Sachen. Kleidung vor allem. Ein paar Zeitschriften, Socken, Wäsche, ein paar T-Shirts und ein zusammengepferchtes Kleid aus einem Stoff, der das nicht ertrug. Sie hatte zweifellos in sehr großer Eile gepackt. Das war mehr als offenkundig.
Und für diese Eile musste es Gründe geben.
Die junge Frau hob jetzt das Kinn und sah mir geradewegs in die Augen. „Sie wollen also wissen, warum ich mich aus dem Staub machen wollte!“, sagte sie.
„Wenigstens versuchen Sie mir jetzt nicht mehr etwas anderes einzureden.“
„Hören Sie, Kommissar Kubinke. Ich habe Jimmy geliebt – aber er hatte Geschäftspartner, die ein äußerst unangenehme Auftreten hatten, wenn Sie verstehen was ich meine. Ich wollte keinem von denen begegnen.“
Ich hob die Augenbrauen. „Wollten Sie nicht vielmehr uns aus dem Weg gehen?“
Diesmal begegnete sie meinem Blick.
„Und wenn schon! Bringt es mir Jimmy zurück, wenn ich Ihre Fragen beantworte?“ Ihr Tonfall bekam jetzt eine ungewohnte Schärfe. „Aber wenn irgendjemand von Jimmys Partnern herausbekommt, dass ich mit dem BKA geredet habe, dann fragen die sich gleich, ob ich Ihnen nicht irgendetwas verraten habe, was...“ Sie verschluckte den Rest.
„Was wissen Sie über Talabanis Geschäfte?“, fragte jetzt Rudi.
Jacqueline wandte den Kopf in seine Richtung.
„Das ist es ja. Ich könnte Ihnen noch nicht einmal etwas darüber sagen, weil ich nie etwas davon mitbekommen habe“, behauptete sie. „Das bedeutet allerdings nicht, dass ein paar andere Leute davon überzeugt sein könnten, dass ich sehr wohl etwas darüber weiß und an die Polizei verraten könnte.“
Rudi hob die Augenbrauen. Er gab sich keine Mühe, seine Zweifel zu verbergen. „Und das sollen wir Ihnen wirklich glauben?“, fragte mein Kollege.
„Warum denn nicht? Jimmy hat mir nichts gesagt und ich habe auch nicht gefragt. Es reichte mir völlig, zu wissen, dass Jimmy jemand war, der die Taschen immer voller Geld hatte.“ Tränen rannen ihr über das Gesicht und ließen ihr Make-up schon wenig später wie ein Aquarell aussehen.
„Haben Sie eine Ahnung, wer ein Motiv gehabt haben könnte, Herrn Talabani umzubringen?“, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
„Da kann ich Ihnen wirklich nicht weiterhelfen“, behauptete sie.
Wahrscheinlich wollte sie uns auch gar nicht weiter helfen. Es fragte sich nur, ob das daran lag, dass sie selbst etwas mit dem Mord zu tun hatte oder ob sie wirklich Angst vor Talabanis Familie hatte.
Ich schloss ihre Tasche und gab sie ihr. „Sie können gehen, aber wir brauchen Ihre Aussage noch schriftlich. Melden Sie sich in den nächsten Tagen im BKA. Wissen Sie, wo das ist?“
„Um ehrlich zu sein, war ich noch nie dort, aber ich werde es schon finden.“
„Wo können wir Sie erreichen?“
„Bei meiner Schwester. Ich gebe Ihnen die Adresse!“
„In Ordnung.“
Rudi holte einen Notizblock hervor und reichte ihn ihr.
Sie war zunächst etwas unschlüssig und streifte dann die Latexhandschuhe ab und warf sie in einen Papierkorb. „Ich bin gegen die Putzmittel allergisch“, meinte sie, so als glaubte sie, unbedingt noch erklären zu müssen, weshalb sie diese Handschuhe benutzt hatte.
Anschließend nahm sie den Block und schrieb darauf mit zierlicher Handschrift die Adresse und Telefonnummer ihrer Schwester auf.
Ich überprüfte die Telefonnummer.
Eine gewisse Tyra Berentzen bestätigte mir, eine Schwester namens Jacqueline zu haben. Ich gab das Handy an Jacqueline weiter.
Diese kündigte an, gleich bei ihr einzutreffen und für ein paar Tage zu bleiben. Was ihre Schwester sagte, konnte ich natürlich nicht verstehen. Aber Jacqueline sagte zweimal: „Später... Nein, später...“ Ich konnte mir schon denken, was da los war. Solange ich zuhörte, wollte sie auf die bohrenden Fragen ihrer Schwester offenbar nicht antworten und ich hatte mehr als nur ein unbestimmtes Gefühl, dass es sich mit