Sechs Krimis: Ferienkiller. Alfred Bekker

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Sechs Krimis: Ferienkiller - Alfred Bekker


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gerne nennen.

      „Jimmy“ lautete sein bürgerlicher Name. Sein Vater war Deutsch-Libanese, seine Mutter eine Deutsche. Und obwohl sie sich sich früh vom Acker gemacht hatte, um mit einem russischen Zuhälter nach Marbella durchzubrennen und Jimmy sie nie wiedersah, hatte sie ihm doch etwas Wichtiges hinterlassen: Seinen Vornamen. Einen Kleinkindervornamen, wie Jimmy Talabani immer fand. Ein Name, der zu lustigen Quietschenten oder sehr kleinen Jungs passte. Aber nicht zu einem Kerl, vor dem man Angst haben sollte. Also bevorzugte er es, wenn man ihn Jim nannte und nicht Jimmy. Oder Big Jim. Er hatte immer das Gefühl, dass Jimmy – so wie er nunmal war – einfach etwas zu harmlos wirkte.

      2

      Fünf breitschultrige Männer in dunklen Anzügen sicherten Big Jimmy Talabani von allen Seiten ab.

      Unter den Jacketts der Bodyguards drückten sich ihre Waffen ab.

      „Hey, was ist, Jim?“, fragte die Blonde jetzt und stemmte die Arme in die provozierend geschwungenen Hüften. „Ich habe das ernst gemeint mit der Geisterbahn!“

      Sie streckte den Arm aus und deutete auf eine aufblinkende Neonschrift. „Very Loud Screams From Hell“ stand dort. Aus der Außenwand ragten in unregelmäßigen Abständen Knochenhände, die nach den Passanten zu greifen schienen und gerade eine Gruppe von Teenagern zum Kreischen brachte. Jimmy Talabani verzog genervt das Gesicht und verdrehte die Augen.

      „Jacqueline, das ist doch Kinderkram“, beschwerte er sich.

      „Ach, Jimmy!“

      „Ja, stimmt doch!“

      Insgeheim wusste Talabani bereits, dass er verloren hatte. Er konnte Jacqueline einfach nichts abschlagen - selbst wenn das bedeutete, dass sein Image als knochenharter „Captain“ im Syndikat der Berliner Al-Khalili-Familie etwas litt, wenn sich herumsprach, dass er sich in einer Geisterbahn vergnügte.

      Jacqueline lachte ihn herausfordernd an. Ihre Stimme klang dunkel und verführerisch. „Hör mal Jimmy, wir sind hier nicht in Neukölln – hier kennt dich keine Sau!“

      Jimmy Talabanis Blick wurde durch ihr tiefes Dekolleté abgelenkt und er dachte unwillkürlich: Sie hat eben andere Vorzüge als eine kultivierte Ausdrucksweise. Damit gehörte sie zwar nicht gerade zu der Art von Frau, mit der er vor seinem Onkel Abdullah Al-Khalili, dem gegenwärtigen Chef der Familiengeschäfte, hätte Eindruck machen können, aber solange sich Jimmy Talabani nur mit Jacqueline vergnügte und weder beabsichtigte, sie zu offiziellen Familienfeierlichkeiten mitzubringen, noch sie zu heiraten, war das selbst für den Clan-Patriarchen in Ordnung.

      3

      In ihren Augen blitzte es.

      „Wenn du mich allein in die Geisterbahn steigen lässt, erzähle ich allen, dass Big Jimmy Talabani Angst vor Gespenstern hat.“

      Talabani verzog das Gesicht.

      „Mach mich nicht wütend, Schlampe!“, knurrte er. Aber schon die Art und Weise, in der er das sagte, verriet, dass er es wohl kaum noch schaffen würde, richtig wütend zu werden. „Du weißt, wie zornig ich werden kann!“, meinte er und gab sich Mühe, die Mundwinkel weit genug unten zu halten.

      „Du weißt, dass ich es mag, wenn du wütend wirst, Jimmy!“, gab Jacqueline lachend zurück. Ihre makellosen Zähne blitzten dabei auf. Das Haar fiel ihr weit über die Schultern. Mit einer unnachahmliche Geste strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. Schon allein für die Art, wie sie das tat, mochte Jimmy Talabani sie.

      „Du hast das noch nie erlebt, Schätzchen...“

      „Ach nein?“

      „Nein!“

      Jimmy Talabanis Gesichtsausdruck veränderte sich in diesem Augenblick schlagartig.

      Seine Züge erstarrten.

      Die Augen wurde unnatürlich groß und traten aus ihren Höhlen hervor. Eine Maske des gefrorenen Entsetzens entstand innerhalb eines Sekundenbruchteils. Er hob die Hand, wie in einer instinktiven Abwehrbewegung.

      Mitten auf seiner Stirn bildete sich ein kleiner roter Punkt, der rasch größer wurde. Jacqueline ließ seinen Arm los und stieß einen Entsetzensschrei aus.

      Jimmy Talabani schwankte noch einen Moment, eher er der Länge nach wie gefällter Baum zu Boden fiel und regungslos liegen blieb. Mit einem dumpfen Laut prallte sein lebloser Körper auf den Asphalt und blieb in unnatürlich verrenkter Haltung liegen.

      Die Leibwächter bemerkten erst mit einer Verzögerung von ein bis zwei Sekunden, was geschehen war.

      Sie rissen ihre Waffen heraus, duckten sich und stierten suchend in der Gegend herum. Zwei von ihnen beugten sich schützend über ihren am Boden liegenden Boss.

      „Scheiße, Mann!“, rief der Größere von ihnen, der in geduckter Haltung neben dem reglos daliegenden Mann kauerte.

      Er konnte gerade noch Talabanis Tod feststellen, bevor es ihn selbst erwischte.

      Ein Treffer in den Oberkörper ließ ihn über seinem Boss in sich zusammensacken. Die Kugel ging durch seinen Körper hindurch und riss ein blutiges Loch an der Stelle, an der sie austrat. Der Kleinere der beiden Leibwächter bekam einen Kopftreffer, der ihn augenblicklich tötete.

      Ein Angriff aus dem Nichts – ohne auch nur den Hauch einer Abwehrchance.

      Jacqueline stand für ein paar Sekunden wie angewurzelt und mit offenem Mund da. Sie wirkte völlig erstarrt und wagte es kaum zu atmen. Der Schock stand ihr überdeutlich ins Gesicht geschrieben.

      Innerhalb weniger Augenblicke sanken auch die anderen Leibwächter getroffen nieder. Noch ehe sie so richtig begriffen hatten, aus welcher Richtung eigentlich auf sie gefeuert wurde, ging ein Ruck durch ihre Körper – wie bei Marionetten die an ihren Fäden aus dem Spiel genommen wurden. Ihre Körper klatschten anschließend leblos auf den Boden. Aus keiner ihrer Waffen war auch nur ein einziger Schuss abgegeben worden, um diesen Angriff abzuwehren.

      Eine vollkommen lautlose Attacke.

      Kein Schussgeräusch war zu hören. Passanten blieben stehen, realisierten erst mit einer Verzögerung von mehreren Augenblicken, was geschehen war und stoben dann in Panik auseinander.

      Schreie gellten mit einer Verzögerung von weiteren Sekunden und pflanzten sich in der Menge fort, wie in einem Dominoeffekt.

      Nur Augenblicke später schwoll dieses Schreien zu einem so ohrenbetäubenden Lärm an, dass selbst die stampfende Musik aus den Lautsprechern der Fahrgeschäfte darin unterging.

      4

      „Da ist es!“, sagte Rudi und streckte die Hand aus.

      Wir hatten uns sehr beeilt.

      Es war später Nachmittag, als Rudi und ich den Fun Park westlich von Berlin erreichten. Er lag auf dem Gelände eines ehemaligen Einkaufzentrums, das sich gegen die harte Konkurrenz nicht hatte durchsetzen können. Ob dies bei den Fahrgeschäften, die jetzt auf dem Gelände um Kunden warben, anders sein würde, war höchst zweifelhaft. Als Disneyland für Arme hatten die lokalen Medien den Park schon verspottet.

      Dass sich jemand von außerhalb hier her verirrte, war kaum anzunehmen. Dazu waren die Riesenräder und Achterbahnen, mit denen man sich hier vergnügen konnte, einfach technisch gesehen nicht innovativ genug.

      Mein Kollege Rudi Meier und ich mussten den Dienstwagen, den uns die Fahrbereitschaft des BKA zur Verfügung stellte, in einer Seitenstraße abstellen und die letzten fünf Minuten zum Tatort zu Fuß gehen. Es herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Sämtliche Zuwege des Parkgeländes waren hoffnungslos verstopft.

      „Die letzten Meter sind mal wieder die Schlimmsten“, meinte ich.

      „Da heißt es, sich durchkämpfen, Harry!“, gab mein Kollege


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