Sammelband: 3 wüste Western. Alfred Bekker

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Sammelband: 3 wüste Western - Alfred Bekker


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die zwanzigtausend Dollar aus den Satteltaschen genommen habe, als er noch schlief. Und alles darüber, dass er dann erwachte, aufstand, mich zur Seite stieß... Sie blickt unwillkürlich zu der Kommode. Auf die mittlere Schublade.

      Sie schnellt hoch.

      Greift in die Schublade, holt den Derringer heraus und richtet den Lauf der Waffe auf den Prediger.

      “War das die Waffe?”, fragt er.

      “Woher wissen Sie das alles?”, fragt sie. “Und was wollen Sie von mir?”

      “Erzähl mir genau, wie es mit Frank Bolan war.”

      “Warum sollte ich das tun?”

      “Wer seine Sünden bekennt, dem vergibt der Herr.”

      “Da fahre ich lieber in die Hölle, du Bastard! Und nun verschwinde.”

      “Niemand kann dem Fluch seiner Tat entgehen, Betty.” Er macht einen Schritt nach vorn. Dann wiederholt er: “Niemand.”

      Der Finger krümmt sich um den Abzug des Derringers. Zwei Schüsse hat die zierliche Pistole. Die sollten ausreichen, um selbst diesen Teufel zum Schweigen zu bringen!, geht es ihr durch den Kopf.

      Sie drückt ab.

      Der Schuss geht daneben, fährt in das Holz des Türrahmens.

      Der zweite Schuss trifft auch nicht. Sie ist keine geübte Schützin. Aber Frank Bolan hat sie schließlich auch getroffen. Und es ist fast unmöglich, auf diese Entfernung nicht zu treffen... Das kann nicht sein! Sie weicht zurück.

      Ihre Brüste wippen dabei.

      Ihr Gesicht ist vollkommen weiß geworden.

      “Ich sagte doch, ich bin deinetwegen gekommen, Betty.”

      Sie schluckt.

      3

      Als wenig später eine Fensterscheibe im Obergeschoss des HAPPY SINNER zerspringt und der nackte Körper einer Frau hinaus auf die Straße fliegt, kommen schnell Leute zusammen. Mit einem dumpfen Geräusch kommt der Frauenkörper auf und bleibt in eigenartig verrenkter Haltung liegen. In der rechten Hand befindet sich der Derringer, den Betty auch jetzt noch umklammert. Und ihre grünen Augen sind vor Entsetzen weit aufgerissen, ihr Blick zu einer Maske des Schreckens gefroren.

      Wenig später kommt der Prediger durch die Schwingtüren und tritt ins Freie.

      Unter den Menschen, die sich versammelt haben, bildet sich eine Gasse.

      Der Prediger wirft einen Blick auf die Frau und sagt: “So spricht der Herr: Mein ist die Rache.”

      Dann dreht er sich.

      “Heh, Prediger!”, ruft einer der Männer. Ein großer Rothaariger mit Sommersprossen und einem dichten Bart. Und er trägt einen Revolver mit dem Griff nach vorn.

      Der Prediger geht weiter.

      Er beachtet den Rufer nicht.

      “Prediger! Hörst du nur die Stimme Gottes oder auch das, was in der Welt gesagt wird?”

      Er reagiert noch immer nicht.

      “Oder hast du einfach nur Dreck in den Ohren?”

      Jetzt bleibt er stehen. Langsam dreht er sich um.

      Der Blick seiner dunklen Augen mustert den Mann von oben bis unten.

      Aber er schweigt.

      Keinen Ton sagt er.

      “Warst du nicht mit der Toten auf dem Zimmer, Prediger?”, fragt der Rothaarige. “Und kaum bist du fertig mit ihr, fliegt sie aus dem Fenster!”

      Das Gesicht des Predigers bleibt unbewegt. Vollkommen regungslos, sieht man einmal vom Zucken eines nervösen Muskels unterhalb seines linken Auges ab.

      “Der Herr wird sich ihrer Seele erbarmen.”

      “Ach, ja?”

      “Ja.”

      Der Prediger sagt dieses letzte Ja auf dieselbe Weise, auf die er vielleicht nach einem Gottesdienst ‘Amen’ sagt. Zumindest in der Zeit, da er noch aktiv gewesen war. Und wie lange das genau her ist, darüber schweigt er.

      “Du hast sie umgebracht!”, stößt der Rothaarige hervor. Dessen Gesicht hat schon beinahe die Farbe seiner Haare angenommen. Gesund sieht das nicht gerade aus.

      “Was Sie nicht sagen”, murmelt der fremde Mann zwischen den Zähnen hindurch und ohne kaum den Mund zu bewegen.

      “Du scheinst ein Teufel zu sein! Ein Teufel im Predigerrock!”

      “Mein ist die Rache, spricht der Herr.”

      “Und du bist der Herr, ja? Der Herr über Leben und Tod? Bisschen aufgeblasen für einen dahergelaufenen Kerl.”

      Einen Augenblick lang herrscht jetzt Schweigen.

      Und der Prediger wendet ganz langsam den Blick zu dem Mann, der zu ihm gesprochen hat und der jetzt ganz bleich wird. Ein schöner Gegensatz zu seinen feuerroten Haaren. Der Rothaarige muss schlucken.

      Der Prediger fragt: "Was hast du gesagt?"

      "Ich sagte: Ein bisschen aufgeblasen für einen dahergelaufenen Kerl oder so ähnlich. Scheiße, wie soll ich mich an jedes Wort erinnern?" Er versucht lässig zu wirken.

      Locker.

      Souverän.

      So als würde ihm das alles gar nichts ausmachen.

      Als sei es ihm gleichgültig.

      Aber das ist es nicht. Und alle spüren das.

      Der Prediger aber weiß es sowieso.

      Seine Augen werden schmal und die Daumen des Rothaarigen rutschen hinter die Schnalle seines Revolvergurts, so als müsse er sich daran festhalten.

      "Wie heißt du, mein Sohn?", fragt der Prediger.

      "Ich heiße Saul Lawson", sagt der Rothaarige. "Und wer bist du, Prediger?"

      "Das weißt du doch", erwidert der Prediger.

      Und sein Blick fixiert Saul Lawson auf eine Weise, die diesen schaudern lässt.

      Sein Gesicht!, durchfährt es Lawson. Sein Gesicht sieht aus wie...

      Er wagt es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.

      Plötzlich hat Saul Lawson ein Gefühl, als ob sich eine kalte Hand auf seine Schulter legt.

      Und er ahnt plötzlich, dass er dem Tod sehr nahe ist.

      “Du wolltest noch etwas sagen?”, fragt der Prediger.

      Und seine Stimme klirrt wie Eis, als er das sagt.

      Aber nicht nur das. Sie klingt auch wie die Stimme von jemand anderem.

      Jemandem, den Saul Lawson kannte und dessen Gesichtszüge er im Gesicht des Predigers wiederzuerkennen glaubte.

      Hast du was mit Frank Bolan zu tun?, würde Saul Lawson am liebsten fragen.

      Aber das tut er nicht.


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