Erich Glaubmirnix - Kriminalfälle und Abenteuer heute und im Mittelalter. Gregor Kastner
Читать онлайн книгу.Das war ganz einfach. Da wurde mit einer Schippe ein bisschen Glut aus dem Ofen des Dienstraumes herausgeholt und zum Warteraum hinübergetragen. Manchmal war das nicht notwendig, weil noch ein bisschen Glut vom Vortag im Ofen war. Das kam aber immer darauf an, wann und wie viel das letzte Mal aufgelegt wurde. Und dann musste ich darauf achten, dass das Feuer nicht wieder aus geht. Denn die Fahrgäste sollten es ja immer warm haben und durften auf keinen Fall frieren. Und damals hatte ich mir gedacht, dass es die Lehrlinge in der Zukunft auf jeden Fall besser haben werden. Denn spätestens, allerspätestens im Jahr 2000 gibt es dort im Haltepunkt keine Kohlen mehr und der Warteraum wird durch eine elektrische Heizung oder so etwas Ähnliches beheizt. Auf jeden Fall würde dort keiner mehr Kohlen schleppen. Und wie ich schon sagte, ich war damals felsenfest davon überzeugt. Immerhin gab oder gibt es doch den kontinuierlichen Fortschritt. Und das Jahr 2000? Ja, das lag für mich unerreichbar weit in der Zukunft. Und heute? Das Jahr 2000 ist schon lange Geschichte. Und auf dem Haltepunkt Großfurra stehen die Leute, auch bei Regen und Sturm, im Kalten. So kann man sich täuschen. Und Lehrlinge wird der Haltepunkt wohl auch nicht mehr sehen.“
„Aber in einem Punkt hattest du damals doch recht gehabt.“
„In welchem?“
„Dort schleppt keiner mehr Kohlen aus dem Bunker.“
Beide schauten sich an und lachten. „Ja, von dem Standpunkt aus betrachtet lag ich damals wohl doch richtig. Dort schleppt keiner mehr Kohlen. Und wenn ich darüber nachdenke, wie lange das schon her ist. Das ist doch der blanke Wahnsinn.“
So unterhielten sich die beiden über einen längeren Zeitraum. Zwischendurch wurden die Zugfahrten mal vom diensthabenden Fahrdienstleiter Robert Schmidt geleitet und der ehemalige Kollege Ingolf Glöckner durfte unter Aufsicht hier und da auch mal einen Zug ein- und ausfahren lassen. Für Ingolf, so sagte er, war das noch mal ein schönes Erlebnis und das würde er ihm auch nie vergessen. Dann sagte er: „Ich habe noch eine Thermoskanne mit Kaffee im Auto. Hast du was dagegen, wenn ich den hier hoch hole? Der muss ja nicht sinnlos kalt werden.“
„Ingolf, das ist eine gute Idee. Da muss ich mir nicht selber einen brauen.“
Ingolf Glöckner ging zum Auto, welches auf dem Bahnhofsvorplatz stand, und holte die Thermoskanne, schenkte ein und während die Unterhaltung weiterging, tranken beide genüsslich ihren, noch heißen, Kaffee. Dabei nahm man sich sehr viel Zeit, denn sie hatten sich noch allerhand zu erzählen.
Nach fast zwei Stunden verabschiedete sich der ehemalige Kollege, ging zu seinem Auto und fuhr los.
Robert Schmidt schaute hinterher und hatte ein wenig Mitleid mit ihm. Und ja, das mit der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses konnte er auch nicht ändern. Er kannte noch nicht mal den Grund dafür. Ingolf hatte nie darüber gesprochen.
09:20 Uhr Bahnhof Nordhausen, Bahnsteig 3, Regionalexpress RE 16573
Der Zug 16573 (Nordhausen – Erfurt), bestehend aus einer doppelten Triebwageneinheit, stand abfahrbereit am Bahnsteig 3. Die zum Zug gehörige Kundenbetreuerin Anika Bachmann stand vor dem Zug am Bahnsteig und beobachtete eine ältere Dame. Diese hatte beim Einsteigen Schwierigkeiten mit ihrer Reisetasche. Sie ging augenblicklich hin und half ihr beim Tragen. Sie nahm mit ihrem Einverständnis die schwere Reisetasche und sie gingen zusammen in das nächstgelegene Abteil. Die dankbare Frau brauchte sich nur noch auf ihren Platz zu setzen.
Danach stieg Anika wieder aus und wartete vor dem Zug auf die Abfahrtzeit. Neben ihr stand ein Jugendlicher und sie unterhielten sich über dieses und jenes. Es war der ihr zugewiesene Praktikant. Er war sechzehn Jahre alt und sein Name war Knut Hölzel. Er war Schüler in der zehnten Klasse und wollte sich eventuell bei der Eisenbahn bewerben. Und Frau Bachmann, die jetzt die Verantwortung für den Praktikanten hatte, hatte das Herz einer Eisenbahnerin. Und das spürte der Praktikant. Sie gab sich ihm gegenüber besonders viel Mühe und erklärte jeden Schritt, den sie tat, und jede Tätigkeit, die sie gerade machte beziehungsweise noch machen wollte. Augenscheinlich waren dem Praktikanten die Erklärungen jetzt schon zu viel oder er hatte einfach nicht verstanden, was sie da gerade sagte und deshalb nickte er immer nur noch mit sichtlichem Desinteresse. Nachdem Frau Bachmann gesehen hatte, dass der Bahnsteig menschenleer war, stieg sie mit ihrem Praktikanten ein.
09:25 Uhr, Bundespolizeidienststelle
Auf der Bundespolizeidienststelle bereiteten sich gemäß ihrem Auftrag zwei Polizeibeamte auf die angewiesene Zugstreife nach Erfurt vor.
„Erich, wo bist du denn schon wieder? Unser Zug fährt gleich ab. Der wartet nicht! Und auf uns schon gar nicht!“
„Noch fünf Minuten, bin gerade am Spind und suche was.“
„Soll ich schon mal losgehen und den Zug solange für dich festhalten, bis du gefunden hast, was du da suchst?“
Erich schaute auf die Uhr und erschrak: „Ach du liebe Sch…! Mehlmann! Ich komme!“
Innerhalb weniger Sekunden stand der Obermeister Glaubmirnix vor dem Eingang und fragte: „Mehlmann! Wo bleibst du denn? Ich stehe die ganze Zeit in der Tür und warte auf dich!“
„Erich, du kannst mich nicht verarschen!“
Beide lächelten und beeilten sich, zum Zug zu kommen.
09:29 Uhr, Bahnsteig 3
Lothar Büttner, der Triebfahrzeugführer des Zuges 16573, schaute auf die Uhr und wartete darauf, dass das rot leuchtende Ausfahrsignal grün wird und er endlich losfahren kann. Damit die Zeit bis zur Abfahrt schneller verstreicht, schaute er immer mal über den Bahnsteig und beobachtete die Leute beim Einsteigen und nachdem der Minutenzeiger pünktlich um neun Uhr neunundzwanzig auf die vorgegebene Abfahrtzeit sprang, leuchtete auch das Ausfahrsignal grün und die Strecke war für die Zugfahrt freigegeben. Der Triebfahrzeugführer schaute sicherheitshalber noch mal über den Bahnsteig und sah noch zwei Polizeibeamte, die zielstrebig aus der Unterführung hoch kamen und den Bahnsteig entlang, auf den Zug zu hasteten. Also wartete er noch einen kurzen Moment.
Nachdem die Beamten eingestiegen waren, verriegelte er die Türen und der Zug fuhr los. Nun, nachdem der Zug abgefahren war, ging die Kundenbetreuerin mit ihrem Praktikanten vor zum Führerstand und setzte sich. Sie legte nebenbei ihre persönlichen Sachen ab und machte sich für die Fahrausweiskontrolle fertig. Der Praktikant schaute neugierig zum Fenster hinaus und war erstaunt. Solch eine interessante Aussicht hatte er noch nicht gehabt. Er sah die Gleise und verschiedene Weichen vor sich und beobachtete, wie der Zug von einem Gleis über die nächste Weiche fuhr, abbog und auf dem Nachbargleis weiter fuhr. Das konnte er zweimal beobachten. Danach war der Zug auf dem richtigen Streckengleis und nachdem der Zug die letzte Weiche hinter sich gelassen hatte, beschleunigte er bis auf hundert Kilometer pro Stunde. Nun schnappte sich Anika ihren Praktikanten und gemeinsam gingen sie los, um die Fahrausweise auf ihre Gültigkeit zu kontrollieren und nebenbei gingen die Erklärungen weiter: „Sollte jemand ohne Fahrausweis angetroffen werden, so hab ich die Aufgabe, eine Nachlösung auszustellen, und wenn einer nicht bezahlen kann oder nicht bezahlen will, bin ich berechtigt, die Personalien festzustellen und aufzunehmen. Und sollte die Herausgabe der Personalien verweigert werden, kommt die Bundespolizei ins Spiel. Heute haben wir Glück, es sind gerade zwei eingestiegen. Wenn wir die treffen, werde ich sie dir kurz vorstellen und wir können uns ein wenig unterhalten. Ich kenne alle beide. Die sind voll in Ordnung.“
„Muss das wirklich sein?“, fragte daraufhin der Praktikant und bekam die entsprechende Antwort: „Natürlich! Ich kenne die schon seit Ewigkeiten. Und wenn ich die ignoriere, sind die am Ende noch böse mit mir. Wirst schon sehen. Die tun dir nix!“
Heute hatte die Kundenbetreuerin doppeltes Glück. Es sind Polizisten im Zug und sie musste sich bis jetzt mit keinem Fahrgast herumärgern. Alle zeigten ihre Fahrkarten und waren freundlich zu ihr. Der Praktikant, der gerne ein wenig sticheln wollte, erklärte die Situation so: „Also, wenn man keine Polizei braucht, ist sie da. Und wenn man die Polizei braucht, ist sie nicht da.“
„Knut! Erzähle nicht so einen Quatsch! Und lass die das nicht hören.“
„Aber ein Fünkchen Wahrheit