CLOWNFLEISCH. Tim Curran
Читать онлайн книгу.zischt er.
Er sucht weiter und tritt hier und da in den Schnee hinein, kann aber keine Leiche finden. Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Beebe hat gesagt, sie wäre ausgehöhlt gewesen, und in diesem Zustand kann ja wohl niemand davonkriechen. Es gibt in der Gegend auch keine Tiere, die groß genug sind, um einen menschlichen Leichnam davon zu schleppen. Klar, ein Berglöwe oder ein Rotluchs würden bestimmt mal einen Biss riskieren, aber sie könnten keinen Erwachsenen wegschleifen.
Fluchend klettert Teague über einen Schneehaufen und findet daraufhin auf der anderen Seite die Spuren eines Schneemobils. Sie führen über eine Anhöhe, hinter der sich der Wald befindet. Wahrscheinlich hatten Ritchie und Beebe von dort oben die Leiche gesehen.
Er folgt den Spuren, solange es geht, doch der Sturm hat sie ab einem gewissen Punkt komplett verweht. Außerdem scheint der Blizzard immer schlimmer zu werden und schließlich kann er kaum noch etwas sehen. Irgendwann gibt er auf. Er wird wohl doch Verstärkung brauchen, und zwar sehr viel Verstärkung, denn jeder einzelne Schneehaufen wird untersucht werden müssen.
Als er es endlich zurück zu dem halb vergrabenen Auto geschafft hat, beugt er sich hinein und greift ins Handschuhfach.
Oh nein, oh nein.
Den Papieren zufolge gehört der Wagen einer gewissen Gina Keller, wohnhaft in der Long Acre Road 217. Teague kennt sie ziemlich gut, und zwar wegen ihres Bruders Tubb, der ein verdammt nutzloser Kerl ist, zumindest soweit der Sheriff das beurteilen kann. Ihm ist klar gewesen, dass Tubb seine Schwester irgendwann auf sein Niveau herunterziehen würde, aber bisher hat sie sich zum Glück immer aus dem Mist herausgehalten, den er verzapft hat.
Und jetzt das.
Man muss kein Genie sein, um zu erraten, warum sie in diesem Sturm unterwegs gewesen ist. Sie muss aus Vermillion gekommen sein, wo Tubbs gerade mal wieder wegen Trunkenheit am Steuer einsitzt.
Aber es gibt keine Leiche, und das gilt auch für Ritchie Chandliss. Teague steigt ins Führerhaus seines GMC und denkt die ganze Sache noch einmal in Ruhe durch.
Der Sturm wird zweifellos immer schlimmer werden. Er braucht die Mordkommission der State Police sowie die Spurensicherung hier. Aber bis er eine Leiche vorweisen kann, werden die kein Interesse daran haben, herzukommen. Also ist es jetzt an ihm, einen Suchtrupp zu organisieren. Aber das wird in dieser Nacht nichts mehr werden, denn es ist so gut wie aussichtslos, in so einem Sturm bei absoluter Dunkelheit irgendwas im Wald zu finden.
Er schnappt sich das Funkgerät und sagt: »Zentrale, hier ist Nummer Drei. Sag Rip bitte Bescheid, dass ich hier einen Abschleppwagen brauche.«
»Roger, Sheriff!«
Teague geht wieder hinaus in den Sturm. Er muss wenigstens das Blut untersuchen lassen, doch selbst das wird nicht auf die Schnelle gehen. Er fragt sich, was gerade in der Polizeistation los ist, hat aber das Gefühl, dass es ihm nicht gefallen wird.
Kapitel 12
Manchmal wacht Carolyn Kewley mitten in der Nacht in ihrem leeren Bett auf und tastet nach Tom, obwohl dieser sie vor zwei Jahren für eine deutlich jüngere Frau verlassen hat. Es ist eine merkwürdige Angewohnheit … eine, der sie oft nachgeht, wenn sie in der nebligen Zwischenwelt ist, die sich zwischen Schlafen und Wachen befindet. Es ist die Zeit, in der das kleine Mädchen in ihr glaubt, dass so etwas wie Magie tatsächlich existiert.
Aber natürlich ist er nie da.
Sie kann hoffen und wünschen so viel sie will, doch in ihrem Inneren weiß sie ganz genau, dass sich ihre Lage nicht ändern wird.
Tom ist endgültig weg, sagt ihr die trockene Stimme der Vernunft dann immer. Er wird nicht plötzlich hier erscheinen und wieder neben dir liegen, nur weil du es dir wünschst – weder heute Nacht, noch irgendwann sonst. Du kannst ins Leere tatschen, soviel du willst, du wirst nie etwas finden!
Mit dieser traurigen Wahrheit schläft sie irgendwann wieder ein, und im Anschluss durchlebt sie Albträume, in denen sie Tom in einer Menschenmasse sieht und ihn einfach nicht erreichen kann, und sollte es ihr doch einmal gelingen, dreht er sich einfach von ihr weg.
Während des Tages, wenn ihr erwachsenes Ich über ihr Dasein herrscht, hasst Carolyn Tom aus tiefstem Herzen. Denn er ist ein mieses Schwein, der sie wegen einer kleinen, langbeinigen Schlampe nach siebzehn Jahren Ehe einfach so verlassen hat – und das, obwohl sie ihm immer alles gegeben hatte. Er hat sie benutzt, ihren Geist entleert, ihr den Sonnenschein aus der Seele gesaugt und sie dann einfach weggeworfen. Oft fantasiert sie darüber, welche schrecklichen Dinge ihm zustoßen sollen.
Doch nachts ist es etwas ganz anders.
Denn nachts ist sie schwach, einsam und voller Sehnsucht. Dann liebt sie ihn immer noch und wünscht sich, dass er seine muskulösen Arme um sie legt, doch er ist nie da. Es gibt nur die kalte, leere Hälfte des Bettes, in der er früher geschlafen hat.
Als sie in dieser Nacht, in der draußen ein wilder Sturm tobt, aufwacht, weil sie Geräusche neben sich hört, hat sie keine Angst. Denn wie immer träumt sie einfach noch. Tom ist zu ihr zurückgekommen, weil er sie immer noch liebt, und es nie wieder eine andere für ihn geben würde. Er schämt sich, ist niedergeschlagen und bittet wortlos um ihre Vergebung.
Das ist schön. Genau danach hat Carolyn sich ewig gesehnt.
»Liebling«, sagt sie und berührt sanft die Gestalt, die neben ihr liegt. Sie ist irgendwie kalt und fühlt sich rau an. »Verlass mich bitte nie wieder!«
»Das tue ich ganz bestimmt nicht«, sagt die Stimme, »nie wieder.«
Aber irgendetwas ist merkwürdig an der Stimme, mal ganz davon abgesehen, dass es nicht die von Tom ist – es scheint nicht einmal unbedingt die Stimme eines Mannes oder einer Frau zu sein, sie hat irgendwie Elemente von beidem und gehört doch zu keiner der beiden Gruppen.
Die Gestalt neben ihr setzt sich jetzt auf und sie kann ihre Silhouette im Schein des fahlen Mondlichtes sehen, das durch die Fenster scheint. Sie hat eine Knollennase und buschiges Haar. Es ist ein Clown. Warum dieser in einer so stürmischen Nacht hier ist, versteht Carolyn nicht. Er beobachtet sie in der Dunkelheit des Schlafzimmers und seine Augen glitzern feucht.
Da es sowieso nur ein Traum ist und sie noch nie Angst vor Clowns hatte, streckt sie dem ungewöhnlichen Gast ihre ausgebreiteten Arme entgegen. Der Clown erwidert die Geste und schmiegt sich an sie.
Er ist groß und schwer. Er riecht nach morschen Baumstämmen und alter Wäsche. Sein Atem trägt eine Note von rohem Fleisch in sich, als er seine vollen Lippen auf die ihren presst.
Das alles ist nur ein Traum, das weiß Carolyn, doch es fühlt sich so echt an.
Jetzt ist die Zunge des Clowns in ihrem Mund, kalt wie die eines Hundes, und sie spürt etwas Hartes zwischen seinen Beinen, das gegen ihre Körpermitte drückt. Obwohl sie weiß, dass es falsch ist, oder vielleicht gerade deswegen, erregt sie die ganze Situation. Sie spreizt daher ihre Beine und der Clown dringt tief in sie ein. Sein Schaft ist eisig und dick. Sie stöhnt vor Lust auf, als sie ihn zu reiten beginnt. Wieder und wieder zuckt sie zusammen, als ein Orgasmus den nächsten jagt.
Nachdem es ein paar Minuten so weitergeht und sie sicher ist, dass sie es nicht mehr lange aushält, ohne zu explodieren, beißt der Clown ihr mit seinen scharfen Zähnen, die sich anfühlen wie kalter Stahl, in die Kehle. Er reißt ihr den Kehlkopf heraus und saugt ihr das Leben aus, wie es Dracula in Bram Stokers gleichnamigem Roman mit Lucy Westenra gemacht hat (in ihrer Schulzeit hat sie das Buch ganze dreimal gelesen).
Der Clown erfüllt sie und leert sie gleichzeitig, und nur die Schmerzen verraten ihr, wie real das Ganze ist. Sie schreit nun vor Leidenschaft und vor Schmerzen, und zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie voll und ganz befriedigt.
Als sie in ein dunkles Nichts davongleitet, entdeckt Carolyn das Geheimnis hinter dem Ganzen: Das Schönste am Leben ist der Tod.
Kapitel