BAT Boy. C. A. Raaven
Читать онлайн книгу.sagte er in einer leisen, aber sonoren Stimme, die absolut zu seiner sonstigen Erscheinung passte. »Ich bin euer Geschichtslehrer. Mein Name ist Balthasar Neumann. Ich bevorzuge auch so genannt zu werden, selbst wenn man in diesem Haus durchaus auch andere Namen zu kennen glaubt.«
Neben Lucas lief Andreas knallrot an.
»Wie ihr sehen werdet, kann man mit mir ganz einfach klarkommen. Alles, was ich verlange, ist Disziplin und den Willen zu lernen.«
In der ersten Reihe meldete sich ein Mädchen.
»Ja bitte, wie heißt du?«
»Simone, Herr Neumann.«
»Und was möchtest du wissen?«
»Ähm, Herr Neumann, die Tür ist noch offen.«
»Stimmt und das wird auch so bleiben.«
Simone und der Rest der Klasse sahen ihn etwas verwirrt an.
»Du möchtest wissen, warum? Ganz einfach. Wenn bis zum Ende der Stunde niemand hereingekommen ist, der sich wegen der Lautstärke wundert, warum die Tür offen ist, dann habt ihr eine erste Vorstellung davon, was ich mit Disziplin meine.«
Die Stunde verlief vermutlich in etwa so, wie Herr Neumann sie sich vorgestellt hatte. Zum Stundenende ließ er sich lässig von der Tischkante gleiten und sagte im Hinausgehen: »Okay. Darauf lässt sich aufbauen. Das nächste Mal bitte genau so. Übrigens, ihr habt heute Glück, denn Eure letzte Stunde fällt aus. Herr Brecher, euer Sportlehrer, ist heute bei einem Wettkampf.«
Alle Schüler atmeten auf und begannen, ihre Sachen einzupacken. Nur Andreas blieb, etwas belämmert aussehend, auf dem Platz neben Lucas sitzen. Lucas blickte fragend auf ihn hinab. Als Andi den Blick bemerkte, ließ er einen leisen Seufzer hören: »Ausgerechnet ‘Knochen-Brecher’! Hätten wir nicht bei jemand anderem Sport haben können?«
Lucas setzte sich interessiert wieder hin, denn er wusste ja, dass Andi durch seinen Bruder, der an der Schule in der 10. Klasse war, gute Insiderinformationen hatte.
»Knochen-Brecher?«, fragte er Andi.
»Yo, Karl Brecher, auch Knochen-Kalle oder eben Knochen-Brecher genannt. Der echt heftigste Sportlehrer, den man hier bekommen kann.«
Andi wollte gerade noch weiter erzählen, da hörten sie Herrn Neumanns Stimme durch den sich leerenden Raum: »Oh, Lucas. Gut, dass du noch da bist. Bleib doch bitte gleich noch hier, dann können wir kurz reden.«
Diese Worte hatten eine seltsame Wirkung auf Andi. Er fing hastig an, seine Sachen in die Tasche zu stopfen und floh dann geradezu aus dem Klassenraum. Nun waren sie beide allein.
»Na das hat ja noch besser geklappt, als wir dachten. Jetzt müssen wir uns nicht erst gegenseitig suchen«, bemerkte Neumann lächelnd.
Lucas wollte gerade zu einer Frage ansetzen, da fiel ihm wieder ein, dass sie sich nach der Schule verabredet hatten. Allerdings fühlte er sich bei dieser Erkenntnis trotzdem nicht so richtig wohl. Auf dem Schulhof war es ihm unproblematisch vorgekommen – er war sogar darauf gespannt gewesen. Aber jetzt so ganz allein hier im Klassenraum zu stehen war ihm eher unheimlich.
Herr Neumann schien seine Gedanken zu erraten: »Lass uns doch vielleicht einfach ins Café um die Ecke gehen. Da redet es sich besser als hier in diesem leeren Raum.«
Lucas nickte und folgte ihm. Sie wandten sich zunächst zum Lehrerzimmer, wo Neumann seine Tasche holte. Danach gingen sie in das kleine Café, das seinen Unterhalt fast allein durch die nahe Schule bestritt. Dort fanden sie nur noch einen Platz im Innenraum, denn draußen war alles mit einer schnatternden Schar von Schülern aller Klassen besetzt, die das schöne Wetter genossen. Herr Neumann bestellte für sie beide einen Eistee. Dann saßen sie einander schweigend gegenüber. Als Lucas sich langsam unwohl zu fühlen begann, brach Neumann das Schweigen: »Du fragst dich natürlich, warum ich das hier alles veranstalte.«
»Hmmm«, brummte Lucas vorsichtig.
»Okay, aber bevor ich loslege, muss ich dich noch um etwas bitten, das dir bestimmt ziemlich eigenartig vorkommen wird. Vertraust du mir?«
»Ähm ja ... warum nicht«, sagte Lucas zögernd, während eine leise Stimme in seinem Hinterkopf ihn fragte, wie lange er Neumann schon kenne, dass er das sagen könne.
»Gut, dann stecke doch bitte deinen Finger mal kurz in dieses Teil hier.«
Er hielt einen kleinen Apparat aus matt glänzendem Metall hoch, den er aus seiner Tasche gezogen hatte.
»Ich bin mir zwar eigentlich sicher, aber ich muss mich vergewissern.«
Lucas runzelte die Stirn bei dem Versuch, den Worten des Lehrers einen Sinn zu entnehmen.
»Ja, ich weiß. Das ist schwer zu verstehen. Ich erkläre dir alles nachher.«
Lucas machte Anstalten, seinen Finger in eine kleine Öffnung an dem Gerät zu stecken. Er fragte sich währenddessen, warum er das überhaupt tat, erst recht für jemanden, den er gerade erst kennen gelernt hatte und dessen Spitzname nicht von ungefähr Mr. Spooks war. Aber aus einem unerfindlichen Grund vertraute er ihm. Und außerdem war er inzwischen brennend neugierig.
»Nicht wundern, es pikst einmal kurz«, sagte Neumann freundlich.
Lucas hielt kurz inne, beschloss dann aber doch, jetzt keinen Rückzieher zu machen. Er steckte den Finger hinein. Es gab einen kurzen Stich und er zog den Finger schneller wieder zurück als er das eigentlich beabsichtigt hatte. Dann sah er seinen Lehrer an, der inzwischen mit einem gespannten Gesichtsausdruck auf eine Anzeige an der anderen Seite des Geräts sah. Der Apparat gab ein eigenartiges Fiepen von sich. Das Display leuchtete grün auf. Mit einem höchst zufriedenen Ausdruck schaute Neumann auf und begegnete Lucas‘ Blick.
»Dacht ich’s mir doch«, triumphierte er und saß einen Augenblick lang sinnierend da. Dann schien er sich bewusst, zu werden dass Lucas wartete.
»Ja gut. Du hast deinen Teil der Abmachung erfüllt. Jetzt bin ich dran. Antworten ... Okay, sagen wir mal, dass mir der Tester hier gerade bestätigt hat, dass du in der Tat nicht so bist wie die meisten andern in deinem Alter.«
Ja klar, dachte Lucas. Die anderen haben Glück und ich nicht. Die haben eine Freundin oder so und ich nicht. Was ist das jetzt gewesen? Der Nieten-Test?
Neumann unterbrach diese Gedanken.
»Es ist wirklich nicht ganz einfach zu erklären. Fakt ist aber, dass du etwas Besonderes bist.«
»Was soll denn da so besonders sein?«, entfuhr es Lucas, der auf irgendetwas gehofft hatte, das ihm die jüngste Vergangenheit erklären würde. Er wollte etwas, das es ihm einfacher machte, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Lucas fing an, sauer zu werden auf diesen Mann, der ihn hier in einem Café dazu gebracht hatte irgendeinen hirnverbrannten Test mitzumachen. Vielleicht standen hinter der nächsten Ecke seine neuen Schulkameraden und lachten sich schlapp über diesen Looser, der alles mit sich machen ließ.
Aber anstatt ihn wegen seines Benehmens zu tadeln oder tatsächlich auszulachen, wurde Neumann ganz ernst: »Hör mal. Ich weiß, das ist eine ganz bescheuerte Situation. Du hoffst darauf, dass ich dir ein paar Eigenartigkeiten in deiner jüngsten Vergangenheit mit einer Erklärung versehen kann. Deswegen bist du jetzt sauer, weil ich nur drum herum rede. Aber ich schwöre dir, es gibt eine Erklärung und sie ist so fantastisch wie plausibel – ich kann sie dir aber jetzt nicht erzählen. Nicht hier und nicht jetzt. Kannst du am Freitag in den BAT-Club kommen? Der ist in Friedrichshain. Ich würde dich von irgendwo abholen und auch wieder nach Hause bringen.«
Lucas starrte seinen Lehrer mit leicht gerunzelter Stirn an. Diese Situation wurde allmählich immer absurder. Erst dieser Test und jetzt beschwor er ihn geradezu, in irgendeinen Club zu kommen.
»Ähm, seien Sie mir nicht böse, aber ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll. Also ich ... ich war noch nie in so einem Club. Was ist denn das? Was passiert da?«
»Du brauchst keine Angst zu haben, dass da etwas passiert, was du nicht willst«,