Schauer der Vorwelt. Tobias Bachmann

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Schauer der Vorwelt - Tobias Bachmann


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auf eine Tasse Kaffee oder gleich auf ein leckeres Abendessen. In diesem Buch habe ich die gelungensten dieser Besuche bei Papa Lovecraft zusammengestellt. Sie entstammen unterschiedlichsten literarischen Phasen und wurden zumeist für Genre-Anthologien geschrieben, die aber allesamt bereits vergriffen sind (darunter meine Beiträge für die begehrte Reiseführer-Reihe der Edition Arkham des Basilisk Verlages). Für mich war das Zusammensuchen der Texte wie das durchforsten alter Fotosammlungen für ein Sammelalbum, dass man zu einem Familientreffen mitbringt. Daher ist es mir eine Freude, die bislang verstreuten Geschichten hier noch einmal in dieser Form zur Verfügung zu stellen. Manches mag den Lesern bekannt sein, anderes vielleicht nicht. Gewiss schadet auch das erneute Lesen einer bereits vertrauten Geschichte nicht.

      Nehmt Platz. Darf ich ein wenig Gebäck reichen? Das macht man doch bei einem Familienbesuch.

      Ein gemeinsamer Urlaub mit Papa Lovecraft steht übrigens noch aus. Der wird dann geschehen, wenn ich meine schon oft angekündigte Rahmenhandlung um die Novelle »Dagons Erben« herumgeschrieben habe. Vielleicht habe ich mich dann endlich wirklich losgeschrieben von meinem Lehrmeister, mit dem ich zu Beginn nichts anzufangen wusste.

      Bis dahin wünsche ich wohlige Unterhaltung bei den nun folgenden dreizehn Schauern der Vorwelt.

      Kadath

      (Kingsport – ein Reiseführer, 2014)

      »Und Dämonen wie aus bösem Traume,

      durchschleichen die verlass`ne Nacht«

      - Samuel Taylor Coleridge: »Die Ballade vom alten Seemann« (1798) -

      Die Dunkelheit kommt.

      Ich sage dies, während es tiefe Nacht ist. Doch das lauernde Schmatzen ist nahe. Unentwegt kriecht es näher, und ich erwarte es. Nicht, weil es mein Wunsch ist, sondern da ich keine andere Chance habe.

      Ich stehe inmitten des Zentrums einer Parkanlage, die im Herzen der Stadt Kingsport liegt. Ach wäre ich doch nie dem Ruf gefolgt, diesen schauderhaften Ort aufzusuchen. Doch war ich mir meiner intensiven Nachforschungen so sicher, dass ich überzeugt davon bin, das Richtige zu tun.

      Nun: In Kürze werde ich Gewissheit haben.

      Ich schließe die Augen und warte auf die Umarmung des Unnennbaren.

      Werde ich sterben? Oder werde ich mich alsbald auf dem unbekannten Kadath wiederfinden, dort wo die menschlichen Götter hausen und vergeblich um seine Gunst buhlen?

      Die Dunkelheit ist bereits spürbar, droht mich zu umfangen. Greifbar nahe höre ich das perverse Kichern. Das konstante Schmatzen und Kauen. Das schleimige Brodeln der sich rastlos näher tastenden Fühler.

      Ich halte die Augen geschlossen, breite die Arme aus, und warte.

      Und die Wartezeit versüße ich mir mit der Erinnerung, an jene Ereignisse, die mich zu meinem baldigen Ende geführt haben.

      Eine folgenschwere Begegnung.

      Ach, wäre die Dunkelheit doch schon da.

      Das wimmelnde Chaos erschien in Gestalt dreier Kerle, von denen auf den ersten Blick keinerlei Bedrohung ausging. Doch als sie den Penner mit dem Einkaufswagen sahen, kamen sie über ihn, wie die apokalyptischen Reiter.

      Zunächst rempelten sie ihn von der Seite an, sodass der Mann zu Fall gebracht wurde. Vermutlich war es ihre Absicht, ihm auf diese Weise den Einkaufswagen zu entreißen und so in ihren Besitz zu bringen. Doch der Mann ließ nicht los und der Wagen stürzte mit ihm um. Ein Großteil des Inventars ergoss sich dabei auf den Bürgersteig.

      »Lass los, du Sackgesicht, oder muss ich dir die Hand abhacken?« Der Junge, der das Messer zückte, war höchstens siebzehn Jahre alt gewesen. Er schien der Anführer des Dreiergespanns zu sein.

      »Ja, schneiden wir ihm die Hände ab«, sagten seine beiden, etwa gleichaltrigen Gefolgsleute im Chor. Das langte mir. Ich hatte genug gesehen. Ich wechselte die Straßenseite und rief irgendetwas, wie »Hey!« oder so, nur um die Aufmerksamkeit der drei Schläger auf mich zu lenken und dem Opfer so eine Verschnaufpause zu ermöglichen.

      Die Jungs hielten inne und schenkten mir ihre Aufmerksamkeit.

      »Was willst du, Opa?«, riefen sie provokativ.

      »Opa?«, rutschte es aus mir raus.

      Ich verglich im Geiste mein Erscheinungsbild, mit meinem tatsächlichen Alter von vierunddreißig Jahren.

      »Verpiss dich«, sagte der Anführer, richtete das Messer auf mich und ließ sein Handgelenk kreisen. »Sonst schlitz ich dem alten Mann hier die Kehle auf.«

      Bevor ich einen pädagogisch wertvollen Satz über meine Lippe brachte, ertönte von dem Mann auf dem Boden ein Lachen. Er lachte laut und schrill, während er sich aufrichtete.

      »Was lachst du so, Alter?«, fragte der Jugendliche, der sich neben dem Messer seines Anführers positionierte.

      Die Gruppe war irritiert. Immer wieder trafen sich ihre Blicke und jeder von ihnen versuchte, die Situation einzuschätzen.

      Anstatt eines leichten Opfers, das am Boden lag, hatten sie zwei erwachsene Männer, die ihnen gegenüberstanden und von denen zumindest einer die Situation als ungemein komisch empfand. Entweder das, oder er war wahnsinnig. Nicht ganz sauber.

      »Wieso lachst du?«, sagte der Junge mit dem Messer und fuchtelte damit bedrohlich nah vor dem bärtigen Gesicht des Mannes herum.

      Sein Lachen verebbte, doch sein Gesichtsausdruck blieb grotesk.

      »Ich habe die Stadt mit den goldenen Dächern im Schein des Sonnenuntergangs in meinen Träumen gesehen«, sagte er und lehnte sich wohlgefällig zurück, um außer Reichweite des Messers zu gelangen. »Ich habe die herrlichen Katzen von Ulthar gestreichelt und bin ihr Freund geworden.« Nun beugte er sich wieder vor. »Ich bin den beschwerlichen Weg zum Ngranek gegangen und habe ihn bestiegen, um das Antlitz der Götter zu erblicken.«

      Er trat einen Schritt vor, dem Anführer der Jugendlichen entgegen, der trotz des Messers unweigerlich zurückwich.

      »Ich trieb mich mit unnennbaren Kreaturen in der Unterwelt herum.« Ein fürchterliches Grinsen umspielte seine Lippen und formte sein Gesicht zu einem Abbild des Wahnsinns. »Und ich erreichte Kadath, wo mich der Unnennbare in Empfang nahm.« Seine Augen verengten sich zu messerscharfen Schlitzen und er fuhr flüsternd fort: »Und von wo aus ich schließlich zu ihr gelangte.«

      »Ihr?«, fragte der Typ mit dem Messer in der Hand. Er hatte seine Waffe mittlerweile sinken lassen. Mit einer derart psychischen Gegenwehr hatte keiner der drei Kids gerechnet.

      »Ihr!«, sprach er der Mann mit funkelnden Augen weiter, »Der Stadt meiner Träume, mit den goldenen Dächern im Schein des Sonnenuntergangs, die ich so lange gesucht und nun endlich gefunden hatte.«

      Die Jugendlichen sagten nichts, doch das schien den Mann nicht zu stören. Stattdessen richtete er das erste Mal seinen Blick auf die Drei und es schien, als nehme er sie nun überhaupt erst bewusst war. »Und Ihr glaubt ernsthaft, dass ihr mich mit eurem Messerchen beeindrucken könntet?«, flüsterte er.

      Doch sein Flüstern war eindringlicher, als hätte er lauthals nach der Polizei gerufen. Unverzüglich nahmen die Jugendlichen Reißaus. Zufrieden blickte er ihnen hinterher. Ebenso bei mir hinterließ sein Gerede einiges an Irritation. In den hintersten Windungen meines Hirns regte sich etwas. Doch war es nicht greifbar. Dafür verbreitete sich die Neugier. Neugierde und Faszination waren seit jeher meine liebsten Motive, wenn es darum ging, mich für einen Menschen oder eine Sache zu interessieren. Ich begab mich zum Einkaufswagen und griff mit einer Hand an das Gitter des Korbes und mit der anderen an den Schiebgriff. Der Mann gesellte sich zu mir.

      »Sie brauchen mir nicht helfen«, sagte der schmuddelig wirkende Mann.

      »Keine


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