Schauer der Vorwelt. Tobias Bachmann

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Schauer der Vorwelt - Tobias Bachmann


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Straßenlaternen waren nicht heller als die einsame Kerze, die auf Carters Schreibtisch geflackert hatte.

      Ich lief durch die Straßen Kingsports und dachte über die Begegnung nach. Carter schien mir ein verstörter Mann zu sein. Ein harmloser Soziopath, der sich selbst in eine traumgleiche Parallelwelt hineinträumte. Kadath.

      So ein Schwachsinn!

      Ich umrundete die altgotische Kirche, die sich schwarz vom Mondlicht abhob, als ich der Schatten gewahr wurde.

      Schwarze Schatten in einer ebenso schwarzen Welt.

      Zunächst hielt ich es nur für farblose Fantasiegespinste, die vermutlich durch Carters Fabulierkunst gepaart mit dem Genuss des Alkohols in mir aufstiegen. Und ebenso wie die Fantasie mir mit den sich bewegenden Schatten Streiche spielte, hatte ich mich mit dem Mann, der sich Randolph Carter nannte, in etwas verrannt. Andererseits passten die Rahmenbedingungen nahezu perfekt. Sein Name, seine Erzählungen, Kadath … all die wundersamen Parallelen zu Lovecrafts Schriften, deren Entschlüsselung ich mir zur Aufgabe gemacht hatte.

      Dabei war es ohnehin ein Wunder, dass ich Kingsport gefunden hatte. Nahm man doch gemeinhin an, es handele sich um eine Erfindung des schreibenden Einsiedlers aus Providence. War es Einbildung oder krochen die Schatten näher? Ich lief ein wenig schneller und stellte unter einer verbogen wirkenden Straßenlaterne fest, dass sie ihr milchig trübes Licht über schwarze Pflastersteine ergoss. Ich meinte, dasselbe Schwarz zu erkennen, wie jener geheimnisvolle Stein, von dem Carter behauptete, ihn aus Kadath mitgebracht zu haben.

      Rasch eilte ich weiter.

      Bei Tag wirkte Kingsport nicht anders als andere Küstenstädte. Es gab nichts Außergewöhnliches an diesem Ort. Nichts, was einen Reisenden hierher lotsen würde.

      Und dennoch hatte es mich ausgerechnet nach Kingsport verschlagen. In dieser vorsintflutlich wirkenden Abgeschiedenheit, in der sich nur Fischer, Seeleute und ebenso faules Künstlerpack wohlfühlen können.

      Kingsport war nicht so wie Arkham, dass mit seinen moosgrünen Walmdächern regelrecht modern auf mich wirkte. Kingsport war die altersgraue Niedertracht eines verödeten Ortes. Der stinkende Ozean klatschte hier schäumend gegen die Klippen. Dunstig stieg das salzige Wasser in dichten, dampfenden Wogen auf, zog sich die Kais entlang, waberte in das Gewirr aus eng verwinkelten Gassen hinein, bis der Nebel hinauf zu den Schornsteinen stieg, die sich über grotesk verlängerte Dachgiebel beugten.

      Und obwohl wir in modernen Zeiten lebten, hatte man bei Nacht das Gefühl, einen Zeitsprung in die Vergangenheit verpasst zu haben. Denn plötzlich bemerkte ich vor mir die Heimeligkeit einer rußenden Ölfunzel, die ein altes Mütterchen wankend über die Straße trug. Ich blieb stehen und beobachtete die Frau, wie sie hustend in einem Hauseingang verschwand. Kurz darauf wurden hinter den Fenstern Kerzen entzündet. Gerne wäre ich eingetreten, in die wohlige Wärme ihrer karg eingerichteten Wohnung. Doch Derartiges gehörte sich nicht.

      Also schleppte ich mich weiter, die Dunkelheit im Nacken und mich ächzend windend, da die Beine mich kaum noch tragen wollten. Der Abend war lang gewesen und ich entsprechend müde. Irgendwo musste mein Hotel sein, hoffte ich. Und dann waren da die finsteren Schatten, die sich an meine Fersen geheftet hatten. Schatten, die schmatzende Geräusche von sich gaben.

      Ängstlich schielte ich in die abzweigenden Gassen, während ich an ihnen vorübereilte; immer in der Hoffnung, dass sich kein nächtliches Schauerwesen darin verbarg.

      An einer Kreuzung blieb ich kurz stehen. Hektisch begutachtete ich alle vier abgehenden Straßenzüge. Doch das Licht der Straßenlampen war dunstig und trüb. Man konnte nicht weit genug sehen und so riskierte ich es weiterzulaufen. Ich hatte keine Ahnung, in welcher Richtung sich mein Hotel befand.

      Dann plötzlich ein scharrendes Geräusch, das mir aus der Dunkelheit vor mir entgegenschlug. Meine Augen weiteten sich, konnten aber noch immer nichts ausmachen. Ein weiteres Geräusch, dicht hinter mir. Ganz nah schon.

      Ich wirbelte herum und floh in irgendeine Richtung. Ganz egal. Nur weg von den Dingen, die dort in der Nacht lauerten. Ich rannte über schwarzen Asphalt. Nur nicht stehen bleiben. Das Flattern und Schmatzen hinter mir wurde lauter. Ich konzentrierte mich auf meine Geschwindigkeit. Nicht aus dem Tempo kommen. Immer weiter. Nur fort.

      Doch einen Ausgang aus Kingsport gab es nicht. Nicht bei Nacht. Die Stadt unterteilte sich in sieben Stadtteile, wobei eines labyrinthischer erschien als das andere. Und ich hatte ohnehin keine Ahnung, wo genau ich mich derzeit befand.

      Irgendwann bog ich rechts ab und erreichte einen stinkenden Hinterhof. Dabei wollte ich Sackgassen tunlichst vermeiden. Mein Blick eilte gehetzt über die brüchigen Gebäudefassaden und blieb an einem schwarzbraunen Schuppen hängen.

      Mit letzter Kraft rannte ich dort hinüber, zog das quietschende Holztor auf. Ich spürte, wie sich ein Spreißel tief in einen meiner Finger schob, ignorierte aber den Schmerz. Rasch, die Türe zugezogen.

      Dunkel. Schwarz. Undurchdringlich.

      Ich kauerte mich in eine Ecke, ein Astloch ermöglichte mir die Sicht nach draußen. Nur nicht zu laut keuchen, ermahnte ich mich. Bloß keinen Lärm.

      Schon sah ich, wie meine Verfolger den Hinterhof erreichten. Die Geschöpfe der Nacht mit ihren feucht schmatzenden Tretern, die glänzende Schlieren auf dem schwarzen Asphalt hinterließen. Augenlose Fühler durchsuchten den Hinterhof, tasteten sich mit schleimigen Schnauzen an Mauervorsprüngen entlang und wanden sich über Pflastersteine.

      Ich hielt die Luft an. Lauschte der gottlosen Geräuschkulisse jener namenlosen Kreaturen dort draußen.

      Bildete ich mir das nur ein? Oder waren jene wimmelnden und sich übereinander windenden Scheußlichkeiten realer Bestandteil dieser Welt?

      Ich versuchte mich an den Kirchturm zu erinnern, an den ich vor gut einer halben Stunde vorbeigeschritten war. Dort, wo ich das erste Mal festgestellt hatte, dass ich verfolgt wurde. Hatte ich auf das Ziffernblatt gesehen? Wenn ja, wie viel Uhr war es gewesen? Wie lange würde es noch dauern, bis die Sonne aufgeht? Bis die Dinger dort draußen sich in die Schatten zurückzogen, oder wo auch immer sie herkommen mochten.

      Plötzlich wurde das Guckloch, durch das ich mit einem Auge angestrengt nach draußen starrte, schwarz. Spielerisch neckte mich etwas an meinem Augenlid. Tastete sich leckend voran. Hauchfein und speichelsanft erforschte es mein Gesicht, während ich versuchte, davor zurückzuweichen.

      Einem dünnen Etwas gelang der Einlass durch das Astloch und ertastete, was sich hinter dem Loch verbarg. Das nackte Grauen überkam mich ob dieser Erkenntnis und ich konnte nicht mehr an mich halten.

      Lautstark schrie ich los. Angst und Entsetzen machten sich in einem wirren Kreischen Luft.

      Irritiert erkannte ich unverzüglich meinen Fehler, als ich spürte, wie sich die Fühler in meine aufgerissene Mundhöhle schoben. In einem Anfall panischer Hysterie biss ich zu.

      Saft spritzte, und glibberig rann etwas an meinen Mundwinkeln hinab. In mir selbst machte sich ein erstickend fahler Geschmack breit, den ich kaum zuordnen konnte. Ekel überkam mich, ich würgte und spuckte, bis auch noch mein Magen kapitulierte und ich mich in der Dunkelheit des Schuppens auf den Boden erbrach. Es roch nach Magensäure und Pestilenz. Irgendetwas klatschte in der Pfütze vor mir herum. Ich hatte eine Vision von zappelnden Fischen. Hastig wandte ich mich ab und kroch in entgegengesetzter Richtung durch die Hütte. Mehrmals stieß ich mit dem Kopf gegen Inventar und musste die Richtung ändern. Orientieren konnte ich mich in der absoluten Dunkelheit überhaupt nicht. Das Einzige, was meine Fluchtrichtung bestimmte, waren die zappelnden, knackenden und saugend-schmatzenden Geräusche, die sich irgendwo hinter mir im Schuppen ausbreiteten. Wieder rempelte ich gegen irgendetwas in der Dunkelheit. Es schepperte und etwas stürzte um. Laut krachend entkam ich nur knapp dem Tod durch Erschlagen. Doch ein solcher wäre besser gewesen, als dem wuselnden Grauen ausgeliefert zu sein, dass sich den Geräuschen nach zu urteilen zunehmend im Inneren des Schuppens ausbreitete. Weiter krabbelte ich, auf allen vieren durch das Dunkel, bis mich etwas packte und ich fortgerissen wurde. Irgendetwas oder -jemand zog mich über den feuchten Dielenbretterboden. Die Geschwindigkeit nahm spürbar zu. Nur sehen konnte ich nichts.


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