Schauer der Vorwelt. Tobias Bachmann

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Schauer der Vorwelt - Tobias Bachmann


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beherbergen wollte. Bücher stapelten sich in unterschiedlicher Höhe zu Türmen, die mit ihrem Einsturz drohten. Sicherlich waren sie nach einem bestimmten System geordnet, doch war es mir nicht möglich, dieses zu bestimmen, genauso wie ich kaum die Titel in Augenschein nehmen konnte, da es schlichtweg zu dunkel dafür war.

      Selbst wenn draußen noch die Sonne geschienen hätte, so wäre sie nur schwerlich durch die schwarzen Vorhänge durchgedrungen. Und hätte ich dann noch den Mut gehabt, diese aufzuziehen, so würde die schwarze Wandfarbe das eintretende Licht schlicht und ergreifend verschlucken.

      Eine einsame Kerze erhellte das Chaos auf dem Schreibtisch und sorgte dafür, dass mir das restliche Inventar des Zimmers nicht verborgen blieb.

      »Haben Sie etwas gegen Licht?«

      »Im Gegenteil«, drang Carters Stimme aus dem Hintergrund zu mir. »Licht ist wichtig und schön. Nur versuche ich, den Fokus auf eine Sache zu lenken. Ich möchte Ablenkung vermeiden. Daher die einsame Kerze.«

      »Wo sind sie?« Ich drehte mich im Kreis und suchte meinen Gastgeber, konnte ihn aber nirgendwo im Dunkeln des Zimmers ausmachen.

      »Hier«, sagte er.

      »Wo?«

      »Wollen Sie etwas trinken?«

      »Gerne«, antwortete ich in die Schwärze hinein.

      »Was halten Sie von Martini?«, schoss Carters Stimme von hinten an mich heran. »Während ich die Gläser fülle, können Sie ja mal zur Abwechslung etwas von sich erzählen.«

      »Na schön«, sagte ich und fügte mich endgültig meinem Schicksal. »Ich möchte mich Ihnen kurz vorstellen, wobei mein Name nichts zur Sache trägt. Gerne würde ich anonym bleiben.«

      »Anonym? Weshalb?«

      »Das tut nichts zur Sache. Nennen Sie mich einfach K.«

      »Kaa?«

      »Wie der Konsonant«, bestätigte ich. »Ich bin das, was man einen Literaturkritiker nennen könnte. Jedoch trifft es das nicht im geringsten. Ich selbst halte mich für einen Forscher. Mit Literaturkritik fing es lediglich an. Meine Forschungen haben ein zentrales Thema, wovon ein wichtiger Bestandteil die Entschlüsselung des lovecraftschen Codes ist. Ich bin überzeugt davon, dass seine Schriften eine geheime Botschaft vermitteln, und dies bringt mich unter anderem zu der Überzeugung von der Existenz gewisser Wesen oder parallelen Universen. Aus diesem Grund binich mir sicher, dass es sich bei Ihren Erzählungen über die Traumlande entweder um eine Lüge handeln muss, oder aber um die Bestätigung, dass Lovecrafts Fantastereien keine waren, sondern authentische Berichte einer sensiblen Seele. Ist Ihnen Lovecraft bekannt, Carter?«

      »Ich kenne keinen Loveshaft oder wie Ihr Freund heißt«, schallte seine Stimme durch das Dunkel.

      »Wissen Sie«, fuhr ich fort, »in einigen seiner Geschichten gibt es einen Protagonisten, der denselben Namen trägt, wie Sie. Glauben Sie an Zufälle?«

      »Ich glaube an Traumbilder und deren Verkörperung in unserem Selbst. Die Niedertracht der Seele, wenn Sie so wollen. Ich glaube daran, dass die Welt vor die Hunde geht, weil wir es verlernt haben, zu träumen.«

      »Ist es das, was Sie erforschen, Carter?«

      Mein Gastgeber erschien unversehens neben mir und reichte mir ein vorbildlich gemixtes Glas Martini. Nachdem er sich mit seinem Glas und der Flasche mir gegenübergesetzt hatte, sagte er: »Ich erforsche das Konzept von Wissen und Macht, den magischen Strom, der - überwacht vom menschlichen Geist - jeden ihn umgebenden Partikel kontrolliert. Wie bei einem alchemistischen Labor, in dem die Substanzen fließen, sich trennen und in zehn Inkarnationen wiederkehren. Was auch immer geschieht, K., am Ende steht immer das Gold.«

      »Sind Sie Alchemist?«

      »Ich bin Träumer und Realist zugleich«, sagte er.

      »Demnach ein Fantast?«

      »Das könnte man meinen, ja. Meine Träume sind relativ zu sehen«, antwortete Carter.

      »Was soll das heißen?«, fragte ich.

      »Relativ eben, wie Einsteins Theorie.«

      »Was bitteschön mag die Relativitätstheorie mit Ihren Träumen zu tun haben?« Die Frage war ernst gemeint. Carter seufzte.

      »Was heißt denn relativ?«, begann er. »Relativ gesehen zu Ihren Träumen mögen die meinigen regelrecht kosmisch anmuten. Meine Träume sind tiefer, als das dämmernde Etwas, das man Schlaf getauft hat. Ist das ein Vergleich, der Ihnen gelegen kommt, K.?«

      Ich war mir nicht sicher, weswegen ich es vorzog, nichts zu sagen.

      »Die Relativität ist ein Problem. Letztlich bezieht sich die Relativität immer auf irgendetwas - nur in unserem Fall ist der Traum relativ zum Erlebtem. Das macht die Sache kompliziert und führt letztlich zu der Erkenntnis, dass Einstein wohl oder übel doch nicht recht gehabt hat.«

      Ich verstand kein Wort, willigte jedoch in Carters Ausführungen ein. »Da mögen Sie recht haben«, sagte ich und ärgerte mich zugleich über meine allumfassende Unkenntnis solcher Dinge betreffend.

      »Es ist wie die Sache mit der Krähe«, fuhr er unbeeindruckt und mit monotoner Stimmlage fort. »Einerseits ist sie Symbol für Weisheit und Prophezeiungen. Ebenso symbolisieren sie jedoch das Böse, da Krähen bekannt dafür sind, Aas zu fressen. Sie warten auf den Tod des Gehenkten, um dann Fleischstücke aus dem Körper zu picken. Eine trostlose Vorstellung. Finden Sie nicht?«

      Wortlos nippte ich von meinem Martini.

      »Die Wahrheit aber ist«, führte Carter weiter aus, »dass ich gar nicht gerne von Träumen spreche. In Wirklichkeit ist es nämlich so, dass ich gar nicht träume.«

      »Aber soeben sagten Sie doch … «

      »Ganz recht«, unterbrach er mich. »Und natürlich treffen Sie mit Ihrem Einwand voll ins Schwarze. Aber bedenken Sie: Wenn ich einschlafe, träume ich mich in eine andere Welt. Diese ist real. Insofern kann von einem Traum nicht mehr die Rede sein.«

      Auf diese Art und Weise füllten Carters Worte meinen Abend, der sich ansonsten wohl bedeutend langweiliger gestaltet hätte. Die philosophische Exegese des Traumreisenden zog mich in seinen Bann, dem ich mich alsbald nicht mehr entziehen konnte. Deutlicher Höhepunkt des Abends war das Fundstück, das er aus dem ihm nunmehr wohlbekannten Kadath mitgebracht hatte.

      Zunächst erwähnte er es eher beiläufig, als er sich darüber erging, die Ebenen, die dem unbekannten Kadath vorausliegen, zu beschreiben.

      »Ich stand also in dieser Einöde«, sagte er, »und sah in weiter Ferne jenen gewaltigen Koloss von Berg, der mich magisch zu sich rief. Immer näher eilte ich zu ihm, doch er schien unentwegt gleich weit entfernt zu sein. Ich erinnere mich, dass ich auf einer Anhöhe stolperte und zu Boden fiel. Als ich nachforschte, was mich zu Fall gebracht hatte, entdeckte ich einen schwarzen Stein, den ich mitnahm. Ich rappelte mich wieder auf und lief weiter, dem unbekannten Kadath entgegen.«

      »Ist dieser Stein noch in Ihrem Besitz?«, fragte ich.

      Carter musterte mich sichtlich irritiert.

      Lag es daran, dass ich mein Schweigen brach, oder hatte der alte Mann meine Gegenwart vergessen gehabt? Vielleicht ist er es gewohnt, sich selbst allabendlich dieselbe Geschichte zu erzählen und nun verstimmt ihn die Gegenwart eines physischen Zuhörers.

      Forsch blickte er mich an.

      »Sagte ich denn nicht, dass ich ihn mitnahm?«

      Ich hatte kaum Gelegenheit zu antworten, da fuhr er mich an: »Selbstverständlich ist der Stein noch in meinem Besitz. Was denken Sie denn? Es ist mit das Wertvollste, das ich habe.«

      »Möchten Sie ihn mir zeigen?«

      Carters Augen wurden groß, so als wollten sie herausfallen. Wenn ich auch nicht viel sah, ob des schalen Kerzenlichtes,


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