Schauer der Vorwelt. Tobias Bachmann

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Schauer der Vorwelt - Tobias Bachmann


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ein grausiges Monstrum gewesen sei.

      Diese kaum beschreibbare Kreatur solle eines Nachts während eines einzigen Blitzschlages getötet worden sein. Seitdem erfülle dieser schreckliche Gestank die Luft in und um Dunwich.

      Ein wütender Sturm sei aufgekommen und habe Bäume, Gras und Gebüsch wie nie zuvor gepeitscht, und danach sei das Laub zu einem kränklichen Gelb-grau verdorben. Auf den Feldern und Wäldern habe es die Kadaver vieler Vögel geregnet.

      »Der Gestank war früher noch viel schlimmer«, versicherte mir Christopher, »aber seitdem ist Dunwich nicht mehr, wie es einmal war. Dies alles war vor meiner Zeit, doch jeder Einwohner kann Ihnen die Geschichte bestätigen, insbesondere die Ältesten unter ihnen.«

      Ich versicherte ihm, dass er mir diese Geschichte bereits sehr glaubwürdig geschildert hatte und ging, unter dem Vorsatz müde zu sein, vorzeitig zu Bett.

      Bei all diesen fremden Geschichten, die sich mit meinen Eindrücken deckten, war mir nicht wohl in meiner Haut. Und so war die Nacht von schauderhaften Alpträumen geprägt.

      Tags darauf galt es für mich, das linke Nebengebäude zu vermessen. Es fehlten nur noch die Dachkammern und die Keller des Anwesens. Zum Vermessen benötigte man nicht viel Werkzeug. Zunächst einen Zollstock und ein Winkelmaß, sowie eine spezielle Wasserwaage, mit der man Gefälle zu berechnen vermochte. Diverse Pendel konnten die Berechnungen genauer machen. Eine ausführliche Formelsammlung hatte für einen Hausvermesser bedeutenden Wert, zählten doch die Berechnungen selbst zu den Arbeitsschritten, die mit am längsten dauerten.

      Der Stil der Einrichtung im gesamten Watheley-Castle war einheitlich gehalten. Viele Zimmer waren leer und diejenigen, die ein Mobiliar aufweisen konnten, wirkten schäbig, alt und antiquiert. Staub gewischt wurde hier schon seit Ewigkeiten nicht mehr, erfuhr ich von Christopher und er gehe davon aus, dass der Interessent es nach seiner ersten Besichtigung wohl doch nicht kaufen würde. Wer wollte schon hier, in dieser abstoßenden Einöde freiwillig seinen Ruhestand verbringen?

      Es handele sich um einen alten Seefahrer, mehr wusste der Diener auch nicht. Anscheinend habe er die Immobilienfirma beauftragt, für ihn ein großes, herrisches Gebäude aufzutreiben. Da es von dieser Sorte nicht mehr allzu viele gäbe, die nicht von der Regierung, der jeweiligen Gemeinde oder aber irgend einer städtischen Universität genutzt wurde, könnte er eigentlich froh über das Angebot von Watheley-Castle sein.

      »Nunja, wir werden sehen«, fügte er resignierend hinzu. »Eigentlich ist es mir ja egal, so lange ich meine Stellung hier behalte.«

      »Von wem werden Sie eigentlich bezahlt?«, hakte ich nach.

      »Oh, von der Gemeinde Dunwich.«

      »Und wann möchte dieser Seefahrer Watheley-Castle besichtigen?«

      »In zwei Tagen, wurde mir gesagt. Wenn Sie bis dahin fertig sind, dann können Sie gleich mit mir hinunter gehen, wenn ich ihn abhole.«

      »Es sieht so aus, als könnte ich das schaffen. Heute werde ich mit diesem Teil des Gebäudes fertig und dann habe ich nur noch die Keller und die … «

      »Die Keller vermessen Sie auch?«, unterbrach mich Christopher.

      »Selbstverständlich«, antwortete ich leicht verwundert über seine unerwartet heftige Reaktion.

      »In allen drei Gebäudeteilen?«, wollte er nun wissen, was ich wiederum bejahen musste.

      »Das ist nicht gut.«

      »Wieso sollte das nicht gut sein? Die Immobilienagentur hat mich damit beauftragt, das gesamte Gebäude zu vermessen, und dazu gehören sämtliche Keller und Dachgeschosse.«

      Misstrauen machte sich in mir breit und ich nahm mir vor, bereits heute schon mit der Arbeit im Keller fortzufahren.

      »Die Keller von Wathebey-Castle sind alt und gefährlich. Manche sind teilweise eingestürzt, und bestimmte Bereiche seit Hunderten von Jahren schon nicht mehr zugänglich. Überlegen Sie es sich gut. Wollen Sie wirklich dort hinuntersteigen? Die Treppenstufen sind ein Quell von Unfallgefahren. Dort unten lauern Fledermäuse und Ratten, bestimmt auch noch weitere Tiere, die nur Unheil anrichten. Ich warne Sie. Lassen Sie die Keller Keller sein.«

      Ich schüttelte nur ungläubig den Kopf. Warum nur war Christopher so aufgebracht, als ich die Keller erwähnte? Meine Güte, ich hatte schon gefährlichere Bauwerke vermessen, musste sogar einmal in eine Höhle hinabsteigen, welche als Eisenbahntunnel verwendet werden sollte und hatte auf diese Art und Weise schon schlimmere Gefahren durchlebt, als sie von einem alten Keller jemals ausgehen konnten. Doch bevor ich Christopher zur Rede stellen konnte, war dieser bereits mit seinem Werkzeugkasten durch eine der vielen Türen im Flur verschwunden.

      Eindeutig war es ein Versuch, mich davon abzuhalten, auch nur in die Nähe des Kellers zu gelangen, was jedoch nur das Gegenteil bewirkt hatte. Nun wollte ich es wissen, und zwar sofort.

      Ich räumte meine Vermessungsgeräte zusammen, und machte mich auf den Weg zum Treppenhaus. Was Watheley-Castle anging, so traf die Bezeichnung Treppenhaus auf jeden Fall zu, denn es befand sich in der Tat jeweils zwischen den Nebengebäuden und dem Hauptgebäude ein Haus, das nichts anderes, als eine Treppe beherbergte.

      Die Türe, die ich am Ende der letzten, abwärts führenden Stufe erreichte, war verschlossen, doch ich fand schnell den passenden Schlüssel an dem Bund, den mir Christopher überlassen hatte. Hier war er also unvorsichtig gewesen. Wenn er wirklich versuchen wollte, mich mit allen Mitteln daran zu hindern, nicht in die Kellerräume zu gelangen, so hätte er den entsprechenden Schlüssel nur entfernen müssen. War es Leichtsinn, Unachtsamkeit oder einfach nur fahrlässige Provokation? Am Ende machte er sich vielleicht nur einen Spaß mit mir. Das unheilige Dunwich und dieses pompöse Gemäuer lieferten alleine ja schon Stoff für Hunderte von Schauermärchen. Es war ja beinahe schon zum Volkssport geworden, dass Einwohner gemiedener Orte wie diesem, gerne den Reisenden ihre schaurigen Geschichten erzählten, damit die Einheimischen auch weiterhin ungestört und unter sich sein konnten.

      Hinter der Türe erwartete mich ein nahezu endloser Gewölbegang. Es roch nach modriger, feuchter Luft und das wenige Licht, das zu den einzelnen Kellerfenstern hineinkam, blieb vollkommen wirkungslos. Es half alles nichts. Ich musste noch einmal zurückgehen, um mir einige Kerzen oder eine Lampe zu besorgen.

      Christopher konnte ich nirgendwo finden. Er war vermutlich in der überschaubaren Parkanlage und jätete Unkraut. So suchte ich selbst nach dem Benötigtem und fand bald in einer Küchenschublade ein kleines Kästchen, in dem sich mehrere Kerzen und Kerzenstummel befanden, sowie zwei Päckchen Streichhölzer. Ich nahm die Schachtel an mich und begab mich wieder zurück in den Keller. Es würde beschwerlich werden, mit den paar Kerzen die einzelnen Räume so zu erhellen, dass es eine einwandfreie Messung ergeben würde.

      Ich entschied mich dafür, die Keller nach der üblichen Vorgehensweise zu vermessen und keinen Gedanken an Christophers lächerliche Warnung zu verschwenden, oder gar nach etwas zu suchen, was besser verborgen bleiben sollte. Doch ehe ich mit meiner Arbeit beginnen konnte, hatte ich schon den halben Gewölbegang durchschritten und die angrenzenden Kellerzimmer inspiziert. Natürlich fand ich nichts, was von sonderlicher Bedeutung gewesen wäre.

      Ich schalt mich einen Narren und begab mich wieder zu meinen abgestellten Messutensilien, um mit der Aufgabe fortzufahren.

      Raum für Raum erhellte ich zunächst mit den Kerzen, baute dann die Geräte auf, trug die Ergebnisse in ein speziell für solche Messungen angefertigtes Formular ein und brachte alles in den nächsten Raum.

      Ein Großteil der Kellerabteile war leer. Ein anderer etwas geräumigerer Raum, nahe des rechten Treppenhauses, diente als Weinkeller. Der Vorratskeller befand sich gegenüber. Waschküche, Kohlenkeller und Rumpelkammer waren ebenfalls deutlich als solche zu erkennen. Die übrigen Räume schienen nur als Aufbewahrungsort für Schrott, Scherben und anderen Müll zu dienen. Der überwiegende Anteil der leeren Kellerabteile lagen in der linken Hälfte des gesamten Hauses.

      Dort fand ich auch einige


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