Schauer der Vorwelt. Tobias Bachmann

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Schauer der Vorwelt - Tobias Bachmann


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nach den Zündhölzern, die er sich ohne besonderen Grund für seine letzte Nacht auf Erden eingepackt hatte. Er entfachte die Kerzen und schaltete die Taschenlampe aus. Das Licht langte, um die Atmosphäre, den die unzähligen Flaschen auf ihn ausübten, wirken zu lassen.

      Nun reizte es ihn doch, den einen oder anderen Tropfen zu kosten. Doch er widerstand der Versuchung.

      Er ließ die Kerzen brennen und bahnte sich seinen Weg in die Abstellkammer. Hier schaltete er die Lampe wieder ein und ließ den Lichtstrahl durch den wirbelnden Staub und die Intarsien des stinkenden Kellerabteils wandern. Er erkannte ein altes Fahrrad, das an einem großen Schrankkoffer lehnte. Aufgeplatzte Plastiksäcke verrieten, dass sie die Kleidung kaum noch halten konnten. Mit der Zeit hielt der Kunststoff nicht mehr. Kleiderbügel hatten sich durch die blaufarbene Haut hindurchgebohrt und Benno erkannte, dass es sich um Frauenkleidung handelte. Vermutlich die vormalige Bekleidung Denovalis Exgattin.

      Warum war sie nach dem Tod Denovalis nicht hierher zurückgekehrt, um sich ihre Sachen zu holen?

      Weiter vorne lag eine halbgeöffnete Schatulle, aus der Polaroidfotos lugten. Benno nahm die Schachtel und setzte sich auf einen ausrangierten Stuhl, um sich die Bilder zu betrachten.

      Die Fotos waren allesamt im Schwimmbad aufgenommen worden. Das erkannte Benno sofort. Allerdings war es höchst widerwärtig, was die abfotografierten Gestalten dort taten. Glaubte man den ausgebleichten Fotos, schien Denovali sich an Orgien zu erfreuen. Neun Leute waren auf dem einen Bild zu sehen. Alle nackt. Eine Person saß noch in der Umkleidekabine, während eine weitere mit ihr zu reden schien. Ein Pärchen ging derweil händchenhaltend auf den Pool zu, an dessen Rand ein älterer Mann mit Vollbart saß und masturbierte. Ein muskulöser, farbiger Mann sah ihm dabei zu und reckte seine gewaltige Erektion aus dem Wasser. Ein weiteres Pärchen küsste sich eng umschlungen. Die Frau war recht dick und sie verbarg ihren eher hageren Partner nahezu völlig. Dicht daneben stand Denovali selbst und winkte dem Fotografen zu. Den Frisuren nach zu urteilen, musste die Bilderserie Ende der siebziger Jahre aufgenommen worden sein.

      Kopfschüttelnd überflog Benno die anderen Fotos. Ausnahmslos alle zeigten die Personen des ersten Bildes, wobei sie sich kopulierend miteinander abwechselten. Das Geschlecht schien bei dieser Orgie keine Rolle zu spielen.

      Seltsamerweise trat der Fotograf selbst nicht in Erscheinung. Dafür entdeckte Benno auf dem letzten Bild etwas anderes; nur konnte er nicht erkennen, was es war. Hatten die Teilnehmer der Orgie Schläuche verlegt? Oder waren es Reinigungsutensilien, die dort auf dem Boden herumlagen? Es sah aus, als hätte man die Schläuche mehrerer Staubsauger im Raum des Swimmingpools verteilt und alle führten unter die Wasseroberfläche. Die Menschen hingegen schienen ebenfalls mit diesen Schläuchen zu kopulieren.

      Es war mehr als nur seltsam, zumal das Bild aus der Serie der Vorangegangenen deutlich herausstach. Nicht nur, aufgrund der eigenartigen Schläuche, sondern auch weil es als Einziges nicht verblasst war. Dafür aber schien der Kamerafokus falsch eingestellt gewesen zu sein. Das Bild war unscharf.

      Kopfschüttelnd legte Benno die Polaroids wieder zurück in die Schachtel, als er der Geräusche gewahr wurde. Ein deutlich vernehmbares Klopfen und Pochen, gepaart mit eben jenen schmatzenden Geräuschen, die Denovali beschrieben hatte.

      Er legte die Pappbox beiseite, stand auf und verließ den Raum. Da er die Quelle des Geräusches nicht ausmachen konnte, begab er sich zunächst ins Schwimmbad. Es war seltsam: Das Wasser schien zu brodeln. Hier und dort warf es Blasen. Doch aufgrund der milchig-trüben Konsistenz und der grünschimmernden Algenflechten auf der Oberfläche konnte Benno nicht erkennen, was die Blubberblasen verursachte. Gleichsam war das Brodeln nicht die Ursache für das Klopfen und Schmatzen. Doch schien es etwas damit zu tun zu haben.

      Das Schwelen des Wassers wurde intensiver. Es war, als stünde Benno einem gigantischen, viereckigen Hexenkessel gegenüber. Der Lichtkegel, den seine Taschenlampe auf das Gluckern warf, rief in ihm ein Unwohlsein herauf, dem er sich nicht erwehren konnte. Die glucksenden Wasserblasen schienen zu dampfen. Algen spritzten in losen Fetzen an den Beckenrand und blieben daran kleben, und rutschten wieder - schmierige Schlieren hinterlassend - zurück ins kalkgraue Wasser. Hinzu gesellte sich ein fürchterlicher Gestank, der irgendwo zwischen Schwefel und Fäkalien anzusiedeln war. Angewidert verließ Benno das Schwimmbad, von dem er wusste, dass es bereits einmal Ort einer okkulten Orgie gewesen war.

      Das schmatzende Klopfen tobte währenddessen unaufhörlich weiter; nahm sogar an Intensität zu.

      Er begab sich zurück in den Weinkeller und nahm überrascht wahr, dass hier das Toben der Geräusche am lautesten war. Die Kerzen auf dem Weinfass vibrierten mit jedem neuerlich schmatzenden Schlag.

      Kein Zweifel, war Benno klar, die Ursache des Geräusches befand sich im Inneren des gut hundert Liter fassenden Weinfasses. Was mochte sich darin befinden? Verblüfft beobachtete er die rhythmische Vibration des Kerzenlichts.

      Mit einem Mal gab es ein Bersten. Ein gewaltiges Toben war zu vernehmen. Als hätte sich im Inneren des Weinfasses eine Sprengladung befunden, explodierte das mit metallenen Bändern zusammengehaltene Rund in tausende hölzerner Splitter.

      Benno erschrak so sehr, dass er wie angewurzelt stehenblieb, anstatt in Deckung zu gehen; und es somit in Kauf nahm, dass sich Holzsplitter in seine Gliedmaßen bohrten.

      Das Entsetzen nahm seinen Lauf, als peitschende Schläuche nach ihm tasteten. Unverzüglich keimte in ihm die Erinnerung an jenes Polaroidbild auf, wo die Mitglieder der exzentrischen Orgie ihre Geschlechter an den eigenartigen Staubsaugerschläuchen rieben.

      Nun erst trat Benno einen Schritt zurück. Er bemerkte nicht, dass die Splitter ihm blutende Wunden an seinem Körper verursacht hatten.

      Die eigentümlichen Schläuche wirkten mit einem Mal recht organisch. Fleischig, um genau zu sein. Schmatzend und klopfend wölbten sie sich ihm entgegen. Im Hintergrund nahm er das Brodeln des Swimmingpools war.

      Aus Angst nässte Benno ein. Er bemerkte es nicht. Dennoch beflügelte die Angst seinen Verstand auf einer primären Ebene: Flucht!

      Behände wandte er sich um und rannte aus dem Raum, so schnell er konnte. Die Treppen hinauf. Den Eingangsflur passierend. Auf die Tür zu, die …

      … sich nicht mehr öffnen ließ.

      »Was ist hier nur los?«, rief er, und stürmte weiter, abermals die Treppen hinauf, bis er den ersten Stock und dort das Arbeitszimmer erreichte.

      Verzweifelt stieß er die Türe hinter sich zu und lehnte sich keuchend dagegen.

      Was war das alles? Ein Spuk? Eine Geistererscheinung?

      »Der fleischgewordene, blasenwerfende Staubsauger?«, rief er ins Dunkel.

      Benno lachte über die Ironie des Schicksals. War er nicht zum Sterben hierhergekommen? Und nun hatte er wohl Angst vor dem Tod?

      Oder war es mehr die Angst, vor dem, was einen letztlich umbringt, die ihn so fertigmachte?

      Überall um ihn herum klopfte es in den Wänden und Allerorte schmatzte es, so als würden sich die Fühler des unterirdischen, beseelten Saugers durch sämtliche Hauswände tasten. Benno kauerte sich im Dunkeln an die Tür gelehnt nieder und bastelte sich folgende Erklärung zurecht:

      Vor Jahrzehnten hatte Denovali, der sich schon immer mit dem Okkulten beschäftigte, einer Orgie hingegeben und mit dieser irgendetwas beschworen. Die Orgie selbst hatte er sogar fotografisch dokumentiert, bis diese Dinger gekommen waren. Schläuche. Tentakel. Irgendein Urtier. Ein Vieh aus prähistorischen Zeiten vielleicht oder aber tatsächlich ein Dämon, Teufel, Monster … was auch immer. Denovali musste es geschafft haben, das Wesen einzusperren. Vielleicht in diesem Weinfass oder aber unter dem Swimmingpool oder er hat es wieder vertreiben können. Damit mochte erst einmal Schluss gewesen sein, mit seinen okkulten Spielereien. Doch nachdem er seine Frau vor die Tür gesetzt hatte, hat der Wahn über die Einsamkeit gesiegt. Denovali hat sich wieder seinen uralten, pubertären Liebhabereien zugewandt. Mittlerweile reich und berüchtigt hat er sich mit entsprechend okkulter Literatur eingedeckt und das Wesen wiedergefunden, das seit der Orgie sein Unwesen unterhalb oder in dem Gemäuer treibt.

      Allein


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