Schauer der Vorwelt. Tobias Bachmann

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Schauer der Vorwelt - Tobias Bachmann


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Cognac, Rum, schottischer Whiskey und viele weitere Tropfen mochten den Liebhaber in Versuchung führen. Doch die Zeiten, in denen Benno sich zum Zwecke des Genusses hier niedergelassen hätte, waren schon lange vorbei. Die letzten Stunden seines Lebens wollte er nüchtern verbringen. Sauber - auch innerlich. Sollte man wider Erwarten doch seinen Leichnam bergen, würde er garantiert einer Autopsie unterzogen werden - und Benno wollte um keinen Preis, dass man aufgrund des Alkoholgehaltes in seinem Blut Rückschlüsse auf seine Zurechnungsfähigkeit schließen würde.

      Im ersten Stock befand sich neben einigen Schlafgemächern mit ordentlich hinterlassenen Betten und gefüllten Kleiderschränken das Arbeitszimmer des verstorbenen Denovali und dessen herrschaftliches Bibliothekszimmer.

      Der mit dunklen Wandtafeln verschalte Raum mit seinem in der Mitte wartenden Schreibtisch wirkte auf Benno wie das Vermächtnis alter Zeiten. An diesem Ort Bittsteller zu empfangen musste für die Besucher erniedrigend gewesen sein. Der mächtige Chefsessel war mit glänzenden Nieten versehen und Benno ließ sich darauf nieder. Hinter sich eine Wand aus dickleibigen Folianten und vor sich der Schreibtisch, auf den er seine Aktentasche legte. Er lehnte sich zurück und dachte über die Beweggründe nach, die ihn hierher führten. Diese zu spezifizieren, war gar nicht so einfach. Benno wusste tief in seinem Inneren, dass sich aufgrund einer ellenlangen Aneinanderreihung verschiedenster Geschehnisse und Schicksalsschläge ein Weiterleben nicht mehr lohnte.

      Da wäre zunächst die Tragödie seiner Geliebten. Einen schrecklichen Autounfall versetzte sie in ein Koma, aus dem sie nach eineinhalb Jahren nicht mehr erwachte. Von dem Baby, das sie in sich getragen hatte, erzählte man ihm erst nach ihrem Tod. Nachdem er zugestimmt hatte, die lebenserhaltenden Maschinen abzuschalten. Doch es wäre für Benno ein Leichtes gewesen, dies als einzigen Grund für seine Selbstmordgedanken anzugeben. Hinzu kam jedoch die finanzielle Lage, in die er sich mit seinem Privatvermögen gewirtschaftet hatte, Schulden im sechsstelligen Bereich. Den Rest seines Lebens würde er da nicht mehr herauskommen; obwohl er einen wirklich gut bezahlten Job innehatte. Was das Fass aber endgültig zum Überlaufen gebracht hatte, war die Erniedrigung der letzten Wochen. Jemand hatte ihn gefilmt, wie er in einer Waldlichtung masturbiert hatte und den Film auf einer einschlägigen Internetplattform onlinegestellt. Es hatte nicht allzu lange gedauert, bis das Video unter seinen Kollegen und Geschäftspartnern herumgereicht wurde. All die Verleumdungen und beschämenden Kommentare hatten ihn nunmehr hierher getrieben.

      Benno blickte auf die Uhr. Sieben Stunden blieben ihm noch, bis zur Sprengung des Gebäudes. Sein Plan war es, eine Henkersmahlzeit zu sich zu nehmen, die er sich mitgebracht hatte und sich danach eine kuschelige Ecke irgendwo im Keller zu suchen. Davor jedoch würde er seine Geschichte niederschreiben. Einfach nur so, für sich. Es war ein Spontanentschluss, der ihn soeben erst ereilt hatte. Das Schreiben soll ja auch therapeutische Wirkung haben und so würde es ihn nur in seinem Vorhaben bestärken. Es war richtig, aus dem Leben zu treten. Die Hintergründe niederzuschreiben wäre zudem ein netter Zeitvertreib. Er öffnete die Schubladen des Schreibtisches und suchte nach Schreibmaterialien. Er fand tatsächlich einen Block mit kariertem Papier, legte ihn vor sich und schlug die Deckpappe auf. Der Block war beschrieben. Benno wollte schon weiterblättern, als sein Blick doch noch an der Handschrift Denovalis haften blieb:

      Schon wieder kann ich es hören. Dieses nervtötende Klopfen begleitet von abstoßendem Schmatzen. Die wievielte Nacht ist dies nun der Fall? Längst habe ich aufgehört zu zählen. Die Geräusche begleiten mein Leben, seit ich es alleine führe. Jede Nacht. Stets zu mitternächtlicher Stunde. Doch seit heute weiß ich endlich, was die Geräusche verursacht. Über dieses Wissen werde ich mir nun Gewissheit verschaffen. Und ohne jeden Zweifel werde ich entweder meinem Leben ein Ende setzen, oder aber ES wird dies für mich tun.

      Für die Nachwelt indes breche ich mein Gelübde und halte hier meine letzten Erkenntnisse fest. Mögen die nachfolgenden Aufzeichnungen in die rechten Hände geraten.

      Die Signatur unter der Handschrift trug Denovalis Namen.

      Benno blickte auf die Uhr. Noch war es nicht Mitternacht. Dennoch lauschte er aufgrund des Textes in die Dunkelheit, leuchtete mit der Taschenlampe umher, doch weder war etwas zu hören noch zu sehen.

      Er blätterte die Seite des Blocks um, doch die folgenden Blätter waren leer.

      Handelte es sich hier nur um das aufgesetzte Manuskript, das Denovali zu einem späteren Zeitpunkt auf der Maschine ins reine getippt, und den benannten Aufzeichnungen beigefügt hatte? Oder war dem Verfasser keine Zeit mehr geblieben, den Text zu vollenden? Wo befanden sich jene Aufzeichnungen, von denen im Text die Rede war? Da auch sonst nichts in Denovalis Anwesen fehlte und es in jedem Raum so aussah, als habe der Bewohner nur kurz seine Behausung verlassen, ging Benno davon aus, dass sich jene Aufzeichnungen irgendwo befinden mussten. Dass ausgerechnet diese von irgendjemandem beiseitegeschafft worden waren, war unwahrscheinlich.

      Neugierig begann Benno damit, den Inhalt der Schreibtischschubladen zu durchforsten. Er entdeckte allerhand, jedoch nichts, was mit dem geheimnisvollen Vermächtnis Denovalis etwas zu tun haben könnte. Er stand auf und besah sich die Buchrücken mit ihren kryptischen Titelintarsien: Von Junzts »Unaussprechliche Kulte«, »Der kleinere Schlüssel Salomonis«, das »Buch Abremalin«, datiert auf das Jahr 1458, Charles Laughtons »Dämonen und ihre Widersacher«, »De Occulta Philosophia« von Agrippa von Nettesheim, das »Buch Soyga«, das »Necronomicon«, das »de pseudomonarchia daemonum« von Johann Weyer und viele andere schwarzmagische, alchemistische und okkulte Schriften, mit denen Benno in erster Linie überhaupt nichts anzufangen wusste. Aus einigen Seiten sprießten gelbe Post-it Zettel und er zog den entsprechenden Band heraus, um ihn an jenen Stellen aufzuschlagen. Doch all das zusammenhanglose Geschwafel, die magischen Traktate mit ihren unaussprechlichen Wörtern und undurchführbaren Anweisungen, stießen bei Benno auf achselzuckendes Unverständnis.

      Fest stand für ihn nur, dass Denovali an irgendeiner Sache dran war, die sich hier in seinem Haus abgespielt hatte. Etwas, vor dem er sich selbst gefürchtet, das ihn vielleicht sogar in den Wahnsinn getrieben hatte.

      Allerdings behandelte er die antiken Werke mit Ehrfurcht. Ihm war bewusst, dass sie in ein paar Stunden allesamt vernichtet werden würden. Hätte er ein Verständnis für die alten Schriften, so würde er die Hände über dem Kopf zusammenschlagen; doch da dem nicht so war, konnte er nur die Unachtsamkeit der rechtmäßigen Erben bedauern. Da diese das Haus zum Abriss freigegeben hatten, ohne das Inventar im Vorfeld zu sichten beziehungsweise es gewinnbringend zu veräußern.

      Noch eine halbe Stunde bis Mitternacht. Er beschloss, in den Keller zu gehen. Vielleicht würde er dort fündig werden, wo in Denovalis Handschrift von diesem Ort die Rede war.

      Vorsichtshalber wechselte er die Batterien der Taschenlampe. Ersatz hatte er mitgebracht. Seine Tasche ließ er hier. Er würde später zurückkommen, sich an diesen Schreibtisch setzen und auf sein Ende warten.

      Oberflächlich betrachtet bestand der Keller neben dem Heizungsraum aus nur drei Räumen: einem durchaus beeindruckend zu nennenden Weinkeller, einem Abstellraum und einem Schwimmbad. Das Schwimmbecken war gut drei Meter breit und sechs Meter lang. Es roch nach abgestandenem Chlor und auf dem milchigen Wasser hatte sich eine Algenschicht gebildet. Des Weiteren gab es noch einen Umkleideraum und eine integrierte Sauna.

      Klopfende oder gar schmatzende Geräusche indes konnte Benno auch hier nirgends ausmachen. Er beendete den Rundgang und stieg wieder die Stufen nach oben, als er seine Meinung änderte. War da nicht soeben doch ein Geräusch gewesen? Ganz kurz nur, am Rande seiner Wahrnehmung?

      Benno blickte auf die Armbanduhr. Es war zehn Minuten vor Mitternacht.

      »Weshalb nur immer Mitternacht?«, intonierte er. Unheimliche Klopfgeräusche - seien sie von Geistern verursacht oder nur eingebildet - scheint es stets nur zu dieser vermaledeiten Uhrzeit zu geben. Was machte die erste Stunde eines jeden neuen Tages nur so magisch?

      Er beschloss, den Eintritt der sogenannten Geisterstunde im Keller abzuwarten, machte auf den Stufen kehrt und ging wieder nach unten. Instinktiv suchte er den Weinkeller auf. Der Raum maß in etwa dreißig Quadratmeter und war zu allen Seiten mit gefüllten Weinregalen bestückt. Im Zentrum des Raumes befand sich ein altes Weinfass und auf diesem warteten mehrere Kerzenstummel


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