Schauer der Vorwelt. Tobias Bachmann

Читать онлайн книгу.

Schauer der Vorwelt - Tobias Bachmann


Скачать книгу
verschlossene und zugemauerte Türen, die offenbar in stollenähnliche Gänge mündeten, welche tief ins Innere der Berge führten. Dies erzählte mir zumindest Christopher, den ich während des Abendessens darauf ansprach.

      Der Diener war ein schroffer Kerl. Ich hatte das Gefühl, als empfände er eine immer stärker werdende Abneigung mir gegenüber.

      War er am Abend zuvor zwar schon distanziert, aber immerhin freundlich gewesen, so beschimpfte er mich heute, ich solle nicht zu viel Käse nehmen und ein Glas Wein sei genug. Mit seinem unangemessenen Befehlston schüchterte er mich dermaßen ein, dass ich es nicht wagte, zu protestieren. Stattdessen begab ich mich abermals vorzeitig auf mein Zimmer, diesmal jedoch unter dem Vorsatz, dass dort noch Arbeit auf mich wartete.

      Und in der Tat hatte ich ausnahmsweise auch wirklich etwas zu erledigen; die Formulare mit den Messdaten mussten noch geprüft und ausgewertet werden.

      Sinn und Zweck dieser Prüfung war es, dass einem eine eventuelle Anomalie der Zimmer oder der Mauerstärke auffiel, die nicht zu den Gesamtmaßen des jeweiligen Hauses passten. Diese Überprüfung war bei neueren Bauten unnötig.

      Doch gerade in alten Gebäuden war es oft der Fall, dass ganze Stockwerke im Laufe der Jahrhunderte umgebaut oder gar einzelne Zimmer zugemauert wurden, auf dass sie über die Generationen von Hausbesitzern in Vergessenheit gerieten.

      Die Kellergemäuer von Watheley-Castle wiesen eine solche Anomalie auf. War es das, was Christopher vor mir verbergen und geheim halten wollte?

      Erschwerend kam hinzu, dass der teilweise eingestürzte Bereich der Keller nur schätzbar war, mir jedoch keine genauen Daten zur Verfügung standen.

      Abermals träumte ich schlecht.

      Im Traum hörte ich das Rasseln von Ketten, das schäbige Knirschen loser Dielenbretter und ich erinnerte mich an die vagen Konturen einer schwarzen Masse, die sich durch die Ritzen meiner Tür wand und mit langen Fühlern eifrig nach mir schnappte. Eine Stimme schien mich aus dem Verborgenen zu rufen, doch ich konnte nicht zu ihr, da sich das pulsierende Dunkel nun vollends durch die Tür gepresst hatte, um sich in seiner ganzen ungeheuerlichen Größe vor mir aufzubauen.

      Mir stand kalter Schweiß auf der Stirn, als ich drei Stunden nach Mitternacht ruckartig erwachte. Die ängstlichen Erinnerungen an den Traum von mir abschüttelnd, blieb ich eine Weile orientierungslos im Bett sitzen, nur um alsbald festzustellen, dass an ein weiteres Schlafen nicht mehr zu denken war.

      Die Gedankengänge an den vorangegangenen Traum wurden von den Erinnerungen an Messdaten und mathematischen Gleichungen verdrängt. Ich holte meine Mappe mit den Messunterlagen hervor und verglich mehrere Zahlen miteinander, wandte einige geometrische Formeln an und wunderte mich darüber, dass ein solches Wissen in meinem Hirn verankert war.

      Es dauerte nicht lange, da hatte ich das Ergebnis und wusste, wo sich die Anomalie des Kellers befand. Es konnte sich eigentlich nur um ein zugemauertes Zimmer im Ostflügel des Kellers handeln. Ich studierte veraltete Baupläne und kontrollierte meinen Verdacht. Dann zog ich mich an, nahm die Messgeräte und eine Lampe, und begab mich wieder hinunter in die Keller. Ich durchquerte ein weiteres Mal den Weinkeller, nahm mir aus einer der Rumpelkammern, die meinen Weg kreuzten, einen kräftigen Spaten und ging weiter, auf die linke Hälfte des Kellers zu.

      Einige Male blieb ich stehen, weil ich vermeinte, ein Klopfen zu hören, doch ich irrte mich wohl. Die drückende Schwüle der Sommernacht war in den vermoderten Kammern des Kellers kaum zu spüren. Es erschien mir eher etwas frisch. Nur der Geruch erinnerte mich wieder an warme, stinkende Gase, an Fäulnis und Gedärm. Während des Tages erschien mir jener Geruch nicht so penetrant, doch nun war er allgegenwärtig. Er schien von jedem Gebälk zu tropfen, moderte durch die grob behauenen Wände und kroch aus dem, mit grauen Moosen bewachsenem Boden hervor.

      Dann erreichte ich endlich die Wand, hinter der ich meinte, dass sich ein weiteres Zimmer befinden musste. Die Lampe dicht an die Wand haltend, auf jede Unebenheit im Gemäuer achtend, tastete ich mich Zentimeter um Zentimeter an der verputzten Mauer entlang.

      Man mochte diese Aktion fanatisch nennen, doch ich wollte um alles in der Welt hinter das Geheimnis der Anomalie in diesem Keller kommen. Doch wie gesagt, vielleicht war dies alles auch nur ein Traum. Ich hatte bereits am Anfang erwähnt, dass dies durchaus der Fall sein konnte. Immerhin träumte ich ja in den vorangegangenen Nächten schon schlecht. Außerdem, so hatte ich erfahren, war es durchaus nichts Ungewöhnliches, während zwei traumreichen Tiefschlafphasen kurz zu erwachen.

      Vielleicht lief ich gar schlafwandelnd durch Watheley-Castle?

      Ich konnte mich nur wiederholen, ich hatte keinerlei Beweise in der Hand. Die Tatsache, dass ich scheinbar im Keller bewusstlos wurde, und erst Stunden später in meinem Bett von einem Arzt geweckt wurde, sprach alles andere, als für mich. Selbst die unabhängige Prüfungskommission hatte nichts Belastendes in dem alten Anwesen finden können.

      Ich fand schließlich eine kaum merkbare Vertiefung unter dem Putz, den ich an manchen Stellen abgeklopft hatte. Dieser Vertiefung folgte ich nun mit meinen Fingerspitzen und legte so eine Art Rahmen fest, in dem sich einmal eine Tür befunden haben musste. Mit Hilfe des Spatens machte ich mich an die Arbeit, auf die Wand innerhalb jenes Rahmens einzuschlagen.

      Zu Anfangs sah es so aus, als würde ich auf diese Art nicht weit kommen. Doch schon bald erzielte ich die ersten größeren Fortschritte in meinen Bemühungen und wurde kaum eine halbe Stunde später für meine Anstrengungen belohnt, in dem ich ein erstes winziges Loch durch die Wand gehauen hatte. Zu meinem Bedauern war es jedoch zu klein, als dass ich hätte gleichzeitig hindurchschauen und das Innere des Hohlraumes mit meiner Lampe ausleuchten können.

      Nun benutzte ich den Stiel des Spatens als Hebel, rammte ihn in eben dieses Loch und stemmte mit aller Kraft die anderen Steine heraus, sodass sich das Loch rasch vergrößerte. Durch diese Herangehensweise zusätzlich angespornt, stieß ich mit meinen letzten körperlichen Kräften, aber voller Zuversicht, die restlichen Steine in das Loch hinein. Kurze Zeit später war die Öffnung groß genug, dass ich durch sie hindurchklettern konnte.

      Zunächst jedoch, sah ich gar nichts. Ich musste den Docht der Lampe weiter aufdrehen, damit es heller wurde. Wer wusste schon, wie viele Jahre in diesen Bereich des Hauses kein Licht mehr gedrungen war?

      Und auch das, was ich sah, schien an und für sich nicht besonders entsetzlich gewesen zu sein, und dennoch stellen sich bei mir die Nackenhaare auf, je öfter ich nur an diesen Moment des Erkennens zurückdenke.

      Der verborgene Raum war nicht sonderlich groß, er maß in etwa drei mal vier Meter. Die Einrichtung hingegen schien äußerst spektakulär zu sein. Mit Holz verkleidete Wände, ein großer Schreibtisch, Regale mit schweren Büchern, eine ansehnliche Bar und eine hübsche Sitzgruppe, auf deren Lehne ich blickte.

      Ich trat tiefer in die Kammer ein, denn ganz deutlich spürte ich die Anwesenheit einer weiteren Person in diesen vier Wänden. Man sagte mir, es sei Christopher gewesen, doch das konnte nicht sein. Der Diener hätte nämlich von hinten kommen müssen, da das eingeschlagene Loch der einzige Zugang zu dem Raum war. Die Gestalt aber, deren Anwesenheit ich so deutlich wahrnahm, sei es aufgrund von Atemgeräuschen oder weil ich eben ein Gespür für solche Dinge hatte, saß eindeutig vor mir auf dem Sofa, dessen Lehne so hoch war, dass ich die Person nicht sehen konnte. Mein Puls raste, als ich langsam auf das Sofa zuging. Mit jedem Schritt, der mich dem Sofa näher brachte, wurde ich unruhiger. Das Blut rauschte mir in den Ohren und abermals fühlte ich kalten Schweiß auf meiner Stirn. Als ich das Sofa erreicht hatte und die Person sah, die sich auf eben diesem lümmelte, traute ich meinen Augen kaum. Und wie die Person mit mir zu reden anfing, musste ich das Bewusstsein verloren haben.

      Wie gesagt, den Rest der Geschichte kennt man ja: Ein Arzt weckte mich, ich lag auf dem Bett in meinem Zimmer in Watheley-Castle und redete scheinbar wirres Zeug. Der Keller wurde überprüft, doch es wurde kein Loch in der Mauer und auch keine zugemauerte Tür gefunden. Zudem bestätigten ausgerechnet meine eigenen Messdaten in den Formularen, dass das Anwesen frei von Anomalien jeglicher Art sei.

      Doch


Скачать книгу