Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman. Friederike von Buchner
Читать онлайн книгу.Kinder haben sich gut eingelebt, Toni. Die Berghütte ist ihre Heimat geworden.«
»Ja, Anna, das dachte ich auch. Das hoffte ich. Ich werde mit der Lehrerin reden und mit Pfarrer Zandler und mit dem Fritz Fellbacher.«
Eine weitere Gruppe Wanderer kam auf die Berghütte. Anna und Toni hatten viel zu tun. Es war auch alles gesagt.
*
Der Bus, der mehrmals täglich von Kirchwalden nach Waldkogel fuhr, war bis auf den letzten Platz besetzt. Weil es in der Nacht heftig geregnet hatte, fuhren viele Pendler mit dem Bus zur Arbeit. Heidi Fröhlich saß am Fenster. Sie arbeitete in der Küche einer Gaststätte in Kirchwalden. Es gab drei Schichten: Frühschicht, Mittelschicht und die Abendschicht, die oft erst um zweiundzwanzig Uhr endete. Heidi war froh, daß sie drei Wochen Mittelschicht machen konnte. Da mußte sie morgens nicht so früh aufstehen und es wurde auch abends nicht so spät. Sie freute sich auf ihr gemütliches Heim. Heidi bewohnte ein kleines Haus am Ende einer Seitenstraße, die auf die Hauptstraße mündet. In dem Haus war sie geboren. Ihre Mutter war schon im Kindbett gestorben. Ihr Vater lebte seit zwei Jahren nicht mehr. Das Leben war hart zu Heidi gewesen. Trotzdem war sie immer fröhlich. Vielleicht trug auch ihr Familienname »Fröhlich« zu ihrer freundlichen und fröhlichen Art bei.
Heidi schaute aus den Fenster. Sie lächelte still. Sie war glücklich. Bald war sie daheim. Sie wollte eine Dusche nehmen und sich etwas zu essen machen. Anschließend würde sie in den Forst gehen. Sie war mit Gerd Eichinger verabredet. Sie trafen sich häufig auf dem Hochsitz. Das ging jetzt schon einige Wochen so.
Gerd Eichinger war der Erbe des stattlichen Eichinger Hofes. Dazu gehörte viel Wald. Gerd, der ein leidenschaftlicher Reiter war, ritt jeden Abend aus. Er beobachtete das Wild und genoß die Abendstimmung am Rande der Lichtung.
Es war Zufall gewesen, daß sie sich im Wald begegnet waren, als Heidi Pilze und Heidelbeeren suchte. Sie wußte, daß sie auf Privatbesitz war. Es war ihr damals sehr peinlich gewesen. Doch Gerd hatte nur gelacht und ihr gesagt, sie könne immer herkommen. Schon in den kommenden Tagen traf sie dabei immer wieder auf Gerd. Aus anfänglichen belanglosen Gesprächen war mehr geworden. Sie stellten fest, daß sie über viele Dinge ähnlich oder genauso dachten. Schließlich verabredeten sie sich beim Hochsitz. Bald wurde der Hochsitz ihr Treffpunkt.
Gerd und Heidi erlebten dort gemeinsam wunderschöne Sonnenuntergänge. Sie blieben oft bis spät in die Nacht, wenn Heidi am nächsten Tag nicht so früh aufstehen mußte oder frei hatte. Es kam, wie es kommen mußte. Aus anfänglicher Freundschaft wurde Liebe. Dabei näherten sich ihre Herzen behutsam. Es war nicht die plötzlich hereinbrechende Liebe. Es war eine tiefe, eine sehr tiefe Zuneigung, von der sie eines Tages erkannten, daß es Liebe war. Gerd war ein ruhiger junger Bursche, der alles wohl überlegte. Das gefiel Heidi.
Es dauerte lange, bis sie Gerds vielen Liebesbeteuerungen wirklich glaubte. Heidi konnte es nicht begreifen, daß er sie wirklich liebte. Er war der Erbe des stattlichen und reichen Eichinger Hofes. Sie war nur ein einfaches Madl ohne große Mitgift.
Heidi konnte von ihrem schmalen Gehalt nicht viel sparen. Sie wollte unbedingt das Haus halten, in dem sie groß geworden war. Es war von der Gemeinde Waldkogel gemietet. Heidi träumte davon, es eines Tages kaufen zu können. Das war aber, bevor sie sich in Gerd, den Hoferben vom Eichinger Hof, verliebt hatte.
Heidi machte sich Gedanken, wann Gerd sie einmal mit auf den Eichinger Hof nehmen würde. Aber sie war ein stilles Madl, bescheiden und fleißig. Sie wagte es nicht, ihn direkt zu fragen. Sie begnügte sich damit, daß sie sich auf dem Hochsitz trafen. Einige Male war Gerd abends daheim bei Heidi gewesen, nachdem sie von der Spätschicht gekommen war. Zwei Bergwanderungen hatten sie gemacht. Heidi wurde es warm ums Herz, als sie daran dachte. Sie waren von Waldkogel den »Pilgerpfad« hinaufgewandert, dann in Richtung »Erkerchen« abgebogen. Der Rückweg führte sie an der Berghütte vorbei, hinunter zur Oberländer Alm und dann weiter den Berg hinunter.
Heidi wäre damals gern in der Berghütte eingekehrt. Aber Gerd wollte nicht. So gingen sie über das Geröllfeld und schlugen gleich den Weg zur Oberländer Alm ein.
Manchmal überkamen Heidi Zweifel an Gerds Liebe. Doch die verdrängte sie schnell und erinnerte sich an das Schöne.
Sie schaute weiter aus dem Fenster und spielte in Gedanken mit den Fransen ihres Schultertuches.
Der Bus fuhr um die Kurve. Heidi stockte das Herz. Mit großen Augen starrte sie aus dem Fenster. Über die Wiese ritt Gerd. Es war zweifellos Gerd Eichinger auf seinem Rappen. Aber er saß nicht alleine auf dem Pferd. Hinter ihm saß ein Madl. Heidi erkannte es sofort. Es war Dora, eine der Töchter des Almer Hofes. Sie schmiegte ihren Kopf von hinten an Gerds Schultern und Rücken. Sie umklammerte ihn! Heidi gab dieser Anblick einen Stich in ihr Herz.
Hat Gerd auch etwas mit Dora Almer?
Ist das der Grund, warum er sich mit mir fast immer nur heimlich trifft?
Bin ich nur Zeitvertreib?
Macht er mir etwas vor?
Liebt er auch Dora?
Die Gedanken in Heidis Kopf schossen wild durcheinander. Ihr Herz klopfte. Sie legte die Hand auf ihre Brust und atmete durch. Der Bus fuhr um die nächste Kurve. Heidi konnte die beiden nicht mehr beobachten. Vom inneren Schmerz fast ohnmächtig lehnte sich Heidi auf ihrem Sitz zurück und schloß die Augen.
Das kann doch alles nur ein böser Traum sein, dachte sie. Gleichzeitig wußte sie, daß sie sich nicht getäuscht hatte. Gerd war mit Dora hinten auf seinem Pferd über die Wiesen geritten. Das mußte doch etwas bedeuten. Das konnte nicht anders ein. Er hat was mit ihr, so wie er etwas mit mir hat, dachte Dora. Sie kämpfte mit den Tränen.
Soll ich ihn zur Rede stellen, überlegte Heidi. Sie wog ab. Würde er ihr die Wahrheit sagen? Konnte sie sich auf diese Wahrheit verlassen?
Heidi wußte nur eines: Sie mußte Gewißheit haben.
Der Bus hielt in Waldkogel. Wie in Trance stieg Heidi als Letzte aus dem Bus. Wie benommen ging sie die Hauptstraße entlang und bog in die kleinen Seitenstraße ein. Sie war froh, daß sie niemand ansprach. Endlich daheim, sank sie auf einen Stuhl und barg ihren Kopf auf der Tischplatte in ihren Armen.
Es war ihr, als stürze eine Welt zusammen. Alles war plötzlich so klar.
Gerd hat mir nur Liebe vorgeheuchelt. Dessen war sich Heidi ganz sicher. Sie stand auf und schleppte sich wie eine alte Frau in ihr Schlafzimmer. Dort auf dem Nachttisch neben ihrem Bett lag ihr Tagebuch. Sie blätterte darin. Sie zählte die Tage, Wochen, seit dem Augenblick, als Gerd ihr seine Liebe gestanden hatte. Während sie die Zeilen las, die sie damals im Taumel des Glücks geschrieben hatte, tropften Tränen auf das Papier.
Heidi legte ihr Tagebuch zur Seite. Sie legte sich auf das Bett und schloß die Augen. In Gedanken verglich sie sich mit Dora Almer.
Wie konnte ich mir nur so etwas vormachen?
Wer bin ich schon?
Heidi Fröhlich, Küchenaushilfe in Waldkogel, Tochter eines Waldarbeiters.
Wer ist Dora Almer?
Mittlere Tochter des Almerbauers. Der Almer Hof war ein angesehener Hof. Dort wurde noch Vollerwerbslandwirtschaft betrieben. Zum Almer Hof gehört eine Hochalm. Auf der weideten jetzt im Sommer viele Kühe. Sie vermieteten auch Zimmer. Auf dem weitläufigen Grund des Almer Hofes, der etwas außerhalb von Waldkogel lag, hatte der Almerbauer mehrere Ferienhäuser gebaut.
Ja, die Dora, die kann sich sehen lassen. Jeder wird sagen, daß sie besser zu Gerd paßt als ich. Heidi grämte sich sehr. Dann dachte sie, was ist, wenn es ein Irrtum ist. Vielleicht war alles ganz harmlos?
Doch das konnte oder wollte Heidi nicht recht glauben. Schließlich hatte sie gesehen, was sie gesehen hatte. Für Heidi gab es keinen Zweifel. Dora Almer hatte sich richtig fest an Gerd angeschmiegt. Dabei war das nicht notwendig gewesen. So schnell war Gerd nicht geritten.
Ich muß Gewißheit haben, dachte Heidi.
Ich muß herausfinden, ob Dora Almer das Madl von Gerd