Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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ihn vor­an­ge­hen und blieb noch ei­ni­ge Zeit im Ge­spräch mit zwei Per­so­nen ste­hen, die sich von der Trep­pe her mit der Ge­walt ei­nes Wir­bel­sturms auf ihn ge­stürzt hat­ten.

      »De­ca­zes will Sie spre­chen«, sag­te der eine von ih­nen.

      »Es han­delt sich dar­um, Mars­ans Flag­ge her­un­ter­zu­ho­len! Der Kö­nig sieht jetzt klar, er tritt auf un­se­re Sei­te!« rief der an­de­re.

      »Wir wer­den zu­sam­men in die Kam­mer ge­hen«, sag­te der Ban­kier und trat ins Zim­mer mit der Hal­tung ei­nes Fro­sches, der sich zu ei­nem Och­sen auf­blä­hen will.

      »Wie kann er da­bei an sei­ne Ge­schäf­te den­ken?« frag­te sich Bi­rot­teau völ­lig ver­blüfft.

      Die Son­ne der Über­le­gen­heit strahl­te auf sei­nem Ge­sicht und blen­de­te den Par­füm­händ­ler, wie das Licht die In­sek­ten blind macht, die nach dem mil­den Ta­ges­licht oder dem Halb­dun­kel ei­ner schö­nen Nacht ver­lan­gen. Auf ei­nem rie­si­gen Ti­sche be­merk­te er den Etat, die tau­send Druck­sa­chen der Kam­mer, ge­öff­ne­te Bän­de des Mo­ni­teur mit an­ge­stri­che­nen Stel­len, um ei­nem Mi­nis­ter ver­ges­se­ne frü­he­re Sät­ze ins Ge­sicht schleu­dern zu kön­nen und ihn zum Wi­der­ruf zu zwin­gen un­ter dem Bei­fall ei­ner al­ber­nen Zu­hö­rer­schaft, die un­fä­hig ist, zu be­grei­fen, daß ein­ge­tre­te­ne Er­eig­nis­se al­les um­ge­stal­ten. Auf ei­nem an­dern Ti­sche la­gen Map­pen auf­ge­häuft, Denk­schrif­ten, Pro­jek­te und die tau­sen­der­lei Aus­künf­te, die dem Man­ne über­reicht wa­ren, aus des­sen Kas­se alle neu ent­ste­hen­den In­dus­trie­zwei­ge zu schöp­fen ver­such­ten. Der fürst­li­che Lu­xus die­ses Zim­mers vol­ler Ge­mäl­de, Sta­tu­en und Kunst­wer­ke, der über­la­de­ne Ka­min­sims, die an­ge­häuf­ten Bün­del von ein­hei­mi­schen und aus­wär­ti­gen Zins­bo­gen – al­les mach­te Bi­rot­teau be­trof­fen und klein, er­höh­te sei­nen Schre­cken und mach­te ihm das Blut er­star­ren. Auf Franz Kel­lers Schreib­tisch la­gen Hau­fen von Ef­fek­ten, Wech­seln und Pa­pie­ren. Kel­ler setz­te sich und be­gann ei­ligst Brie­fe zu un­ter­zeich­nen, die kei­ner nä­he­ren Prü­fung be­durf­ten.

      »Wel­chem An­laß ver­dan­ke ich die Ehre Ihres Be­su­ches, mein Herr?« sag­te er.

      Bei die­sen Wor­ten, zu ihm al­lein von die­sem Mun­de aus­ge­spro­chen, der ge­wöhnt war, zu Eu­ro­pa zu re­den, wäh­rend die Hand has­tig über das Pa­pier eil­te, hat­te der arme Par­füm­händ­ler ein Ge­fühl, als wenn ihm ein hei­ßes Ei­sen in den Leib ge­sto­ßen wür­de. Er mach­te ein freund­li­ches Ge­sicht, wie es der Ban­kier seit zehn Jah­ren bei al­len, die ihn in eine nur für sie wich­ti­ge An­ge­le­gen­heit ver­wi­ckeln woll­ten, zu se­hen ge­wöhnt war, und das ihm schon von vorn­her­ein ein Über­ge­wicht über sie gab. Franz Kel­ler warf Cäsar einen Blick zu, der die­sem durch und durch ging, einen Na­po­le­ons­blick. Das Nach­ma­chen die­ses Blicks war eine ziem­lich lä­cher­li­che Ge­wohn­heit ei­ni­ger Par­ven­üs ge­wor­den, die noch nicht ein­mal ein schlech­ter Ab­klatsch die­ses ih­res Kai­sers wa­ren. Die­ser Blick senk­te sich auf Bi­rot­teau, den Mann der Rech­ten, den Tra­ban­ten der herr­schen­den Macht, das in­kar­nier­te Ele­ment des mon­ar­chis­ti­schen Ge­dan­kens, wie der Stem­pel des Zoll­be­am­ten auf eine Ware.

      »Ich will Ihre Zeit nicht miß­brau­chen, ver­ehr­ter Herr, und wer­de mich kurz fas­sen: Ich kom­me in ei­ner rein ge­schäft­li­chen An­ge­le­gen­heit, um Sie zu fra­gen, ob ich von Ih­nen einen Kre­dit be­kom­men kann. Sie wer­den be­grei­fen, daß ich, als frü­he­rer Han­dels­rich­ter und der Staats­bank nicht un­be­kannt, mich nur an die­se, zu de­ren Lei­tern Sie selbst ge­hö­ren, zu wen­den brauch­te, wenn mein Por­te­feuil­le nicht leer wäre. Ich habe die Ehre ge­habt, zu­sam­men mit dem Herrn Baron Thi­bon, dem Chef der Wech­se­l­ab­tei­lung, als Rich­ter zu fun­gie­ren, und er wür­de mir mein Ge­such si­cher nicht ab­schla­gen. Aber ich habe noch nie Kre­dit in An­spruch ge­nom­men und noch nie mei­ne Un­ter­schrift ge­ge­ben; die­se kennt nie­mand und Sie wis­sen, wel­chen Schwie­rig­kei­ten eine ge­schäft­li­che Trans­ak­ti­on dann be­geg­net …« Kel­ler schüt­tel­te den Kopf, was Bi­rot­teau für ein Zei­chen der Un­ge­duld hielt. – »Nun zur Sa­che!« fuhr er fort. »Ich habe mich in ein Ter­rain­ge­schäft ein­ge­las­sen, das nichts mit mei­nem Be­rufs­ge­schäft zu tun hat …«

      Franz Kel­ler, der un­un­ter­bro­chen schrieb und las und auf Cäsar nicht zu hö­ren schi­en, wand­te den Kopf um und mach­te eine zu­stim­men­de Be­we­gung, die je­nen er­mu­tig­te. Bi­rot­teau glaub­te, daß sei­ne Sa­che auf gu­tem Wege sei, und at­me­te auf.

      »Nur wei­ter, ich höre zu«, sag­te Kel­ler freund­lich.

      »Ich habe bei dem An­kauf der Ter­rains an der Ma­de­lei­ne die Hälf­te da­von er­wor­ben.«

      »Ja­wohl, ich habe bei Nu­cin­gen von die­sem rie­si­gen Ge­schäft, auf das sich die Fir­ma Cla­paron ein­ge­las­sen hat, re­den hö­ren.«

      »Nun,« fuhr der Par­füm­händ­ler fort, »ein Kre­dit von hun­dert­tau­send Fran­ken, ge­deckt durch mei­nen An­teil an den Ter­rains oder durch mein Ge­schäfts­ver­mö­gen, wür­de ge­nü­gen, um mich bis zu dem Au­gen­blick über Was­ser zu hal­ten, wo mir der Ge­winn aus ei­nem dem­nächst her­aus­kom­men­den neu­en Ar­ti­kel der Par­fü­me­rie zu­fließt. Wenn es er­for­der­lich ist, wür­de ich zur De­ckung auch Wech­sel ei­ner neu­en Fir­ma, des Hau­ses A. Po­pi­not, ei­nes jun­gen Hau­ses, das …«

      Kel­ler schi­en sich sehr we­nig um das Haus Po­pi­not zu küm­mern und Bi­rot­teau merk­te, daß er auf ein falsches Gleis ge­ra­ten war; er schwieg und fuhr dann, er­schreckt über das Schwei­gen, fort: »Was die Zin­sen an­langt, so …«

      »Ge­wiß, ge­wiß,« sag­te der Ban­kier, »die Sa­che läßt sich viel­leicht ma­chen, zwei­feln Sie nicht an mei­nem Wun­sche, Ih­nen ge­fäl­lig zu sein. Aber so be­schäf­tigt, wie Sie mich se­hen – ich habe die Finan­zan­ge­le­gen­hei­ten von ganz Eu­ro­pa auf dem Hal­se –, wer­den Sie sich nicht wun­dern, wenn ich eine Mas­se von Ge­schäf­ten von mei­nen Bu­re­aus prü­fen las­se. Ge­hen Sie zu mei­nem Bru­der Adolph hin­un­ter und set­zen Sie ihm die Be­schaf­fen­heit Ih­rer Ga­ran­ti­en aus­ein­an­der; wenn er ein­ver­stan­den ist, kön­nen Sie mor­gen oder über­mor­gen mit ihm um die Zeit, wo ich die ent­schei­den­de Prü­fung der Ge­schäf­te vor­neh­me, um fünf Uhr mor­gens, wie­der­kom­men. Wir sind stolz und glück­lich, daß Sie uns mit Ihrem Ver­trau­en beehrt ha­ben, Sie sind ei­ner von den stand­haf­ten Roya­lis­ten, de­ren po­li­ti­scher Geg­ner man sein kann, de­ren Ach­tung aber schmei­chel­haft ist …«

      »Ver­ehr­ter Herr,« sag­te der Par­füm­händ­ler, ent­zückt von die­ser Kam­mer­red­ner­phra­se, »ich glau­be die­ser Ehre, die Sie mir er­wei­sen, eben­so wür­dig zu sein wie der al­ler­höchs­ten Gunst und Aus­zeich­nung …, die ich als Rich­ter beim Han­dels­ge­richt und als Kämp­fer …«

      »Ja­wohl,« fuhr der Ban­kier fort, »der Ruf, den Sie ge­nie­ßen, öff­net Ih­nen alle Tü­ren, Herr Bi­rot­teau. Sie brau­chen uns bloß ein Ge­schäft, das wir ma­chen kön­nen, vor­zu­schla­gen, dann kön­nen Sie auf uns­re Hil­fe rech­nen.«

      Eine Dame, Frau Kel­ler, eine der bei­den Töch­ter des Gra­fen von Gon­dre­ville, öff­ne­te jetzt eine Tür, die Bi­rot­teau nicht be­merkt hat­te.

      »Ich hof­fe,


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