Türchen öffne dich. Tobias Bachmann

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Türchen öffne dich - Tobias Bachmann


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saß allein in ihrer Wohnung. Auf dem Wohnzimmertisch vor ihr standen ein Miniatur-Weihnachtsbaum und eine geleerte Nudelbox vom Asiaten nebenan.

      Schuld daran war Moritz. Ihr langjähriger Freund hatte sie kurz vor den Feiertagen sitzen lassen. So kurz vorher, dass Noras gesamter Familien- und Freundeskreis längst Pläne hatte, in die sie einfach nicht mehr hinein passte. Ihre Eltern machten eine Kreuzfahrt, ihre Schwester war bei der Verwandtschaft ihres Mannes eingeladen und ihre Freunde … Nora seufzte … ja, die hatte sie nicht unbedingt der Reihe nach abtelefonieren wollen, um ihnen ihr Leid zu klagen. Die Standpauke ihrer zwei besten Freundinnen, Ariane und Bibbi, hatte ihr gereicht. Sie sollte doch bitte die Arschbacken zusammen kneifen und die Feiertage Feiertage sein lassen. Im nächsten Jahr wird alles anders. Sie würde schon sehen.

      Zu allem Überfluss hatte Bibbi ihr dann auch noch geraten, bei ihrem neuen Nachbarn zu klingeln und zu fragen, ob der an Heiligabend noch frei wäre. Nora schnaufte, als sie daran dachte. Das sollte wohl ein Witz sein!

      Ein einziges Mal war sie ihrem neuen Nachbarn bisher begegnet, als er beim Einzug seine Klamotten die Treppen hinauf geschleppt hatte. Anstatt zu fragen, ob sie ihm helfen könnte, wäre Nora bei seinem Anblick beinahe ohnmächtig zusammen gebrochen. Sein Körper schien geradezu göttlich durchtrainiert zu sein, soweit sie das durch seine Kleidung hatte beurteilen können. Sein Gesicht war braun gebrannt, als käme er gerade aus dem Sommerurlaub. Die Haare hingen ihm in wilden blonden Locken bis auf die Schultern. Und erst diese strahlend blauen Augen und sein umwerfendes Lächeln!

      Allein die Erinnerung an ihre Begegnung ließ Noras Knie weich werden. Ein solcher Mann verbrachte die Weihnachtstage niemals allein. Ganz sicher. Vermutlich hatte er zehn Frauen an jedem Finger und würde sich gar nicht entscheiden können, mit welcher von ihnen er unterm Weihnachtsbaum sitzen wollte.

      Nora schenkte sich ihr drittes Glas Rotwein ein. Allmählich spürte sie, wie ihr der Alkohol zu Kopf stieg. Er machte sie ein wenig schwindelig, brachte allerdings auch ihre Fantasien gehörig auf Touren. So begann sie doch ernsthaft zu überlegen, wie es wohl wäre, die Frau unterm Weihnachtsbaum ihres Nachbarn zu sein.

      Er hieß Elias, und sie flüsterte seinen Namen vor sich hin, als hingen ihre Lippen an seinem Ohr und als würde sie sanft ihren Atem über seine Wange hauchen. Heiß-kalte Schauder fuhren ihr durch ihre Glieder, als sie sich dann auch noch vorstellte, wie er ihr die Kleider abstreifte.

      Sie trug ihren seidenen, rosa Morgenmantel. Darunter hatte sie lediglich ihre weiße Spitzenunterwäsche am Leib. Warum sie an Heiligabend allein mit Rotwein und Nudelbox in ihrem Wohnzimmer saß und dabei derart gekleidet war, wusste sie selbst nicht. Vielleicht hatte sie ja schon vorher ernsthaft über Bibbis Vorschlag nachgedacht, sagte sie sich, verwarf diese Vermutung aber gleich wieder. Sie wusste selbst viel zu gut, dass sie es nach dem Duschen schlichtweg nicht für nötig gehalten hatte, sich etwas »Richtiges« anzuziehen. Wozu auch?

      Ein weiterer Schluck Rotwein ließ ihren Körper schwer werden. Sie lehnte sich im Sofa zurück, kuschelte sich tief ein und schloss die Augen. Das Bild von Elias tauchte vor ihr auf, wie er da stand und sie in seine starken Arme nahm. Sie konnte spüren, wie er sich an sie schmiegte, wie hart seine Muskeln waren. Aber nicht nur das. Auch vorne an seiner Hose gab es eine Stelle, die sich ausbeulte und sich fest gegen ihren Unterleib presste.

      Nora grinste in sich hinein. Dieser Tagtraum gefiel ihr immer besser. Sie biss sich auf die Unterlippe, als sie sich vorstellte, wie Elias damit anfing, kleine sanfte Küsse in ihrer Halsbeuge zu verteilen. Wie er schließlich mit der Zungenspitze über ihre Haut leckte.

      Wieder ein ergreifender Schauder! Nora zitterte bereits vor Erregung.

      Mit der einen Hand hielt sie nach wie vor das Rotweinglas, die andere, freie Hand schob sie unter ihren seidenen Morgenmantel. Sie spreizte die Schenkel ein wenig, um ihre Finger über ihren Venushügel tanzen zu lassen. Wellen der Lust strömten durch sie. In diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher, als wahrhaftig von Elias berührt zu werden.

      Vor ihren Augen flackerte es. Nora war irritiert und ordnete es zunächst dem Alkohol oder ihrer Erregung zu. Doch dann fühlte sie auf einmal die Dunkelheit um sich herum und schlug erschrocken die Augen auf.

      Sämtliche Lichter in ihrer Wohnung waren urplötzlich erloschen. Sie stellte das Weinglas auf dem Tisch neben der Nudelbox ab und ging zum nächsten Lichtschalter. Aber nichts geschah, egal, wie sehr sie darauf herum drückte. In den anderen Räumen war es das gleiche Spiel.

      Als sie aus dem Küchenfenster auf die Straße hinaus sah, erkannte sie, dass in den Nachbarhäusern offenbar ebenfalls keine Lichter mehr brannten. Der Tannenbaum, der gegenüber in einem Vorgarten stand und für gewöhnlich immer beleuchtet war, versank im Dunkel des Abends.

      Nora wandte sich ab. Sie blickte von der Küche aus in den Flur, konnte aber alles nur schemenhaft erkennen.

      »Stromausfall«, kam ihr die grandiose Erkenntnis. Und was sollte sie nun allein mit dem Rest des Heiligabends anstellen? Sie könnte sich ins Bett legen, von Elias träumen und sich dabei selbst verwöhnen. Oder sie könnte bei Elias an der Tür klopfen und ihn wegen des Stromausfalls um Hilfe bitten. Vielleicht würde er ein paar Kerzen für sie übrig haben. Und vielleicht würde er mit ihr gemeinsam Rotwein bei Kerzenschein trinken wollen.

      Sie zuckte mit den Schultern. Selbst wenn ihr eine solche Aktion peinlich war und sie vor Scham rot anlaufen würde, fiel das im Dunkeln sicherlich nicht so stark auf.

      Kurzerhand öffnete sie ihre Wohnungstür und blickte ins Treppenhaus. Dort war es noch viel dunkler als in ihrer Wohnung. Sie konnte kaum etwas erkennen. Allerdings hörte sie auch keinerlei Geräusch und war sich daher ziemlich sicher, dass außer ihr niemand sonst umher schlich.

      Sekunden später fiel die Wohnungstür hinter ihr mit einem Knacken ins Schloss. Nora hatte ihre rosa Plüschpantoffeln an den Füßen, passend zu ihrem Morgenmantel. Sie schlurfte daher, als sie nun die Treppen hinauf stieg. Elias wohnte eine Etage höher, direkt über ihrer Wohnung.

      Als sie vor seiner Tür angekommen war, harrte sie einen Moment aus. Sollte sie tatsächlich anklopfen? Und wenn ja, wie würde es dann weiter gehen?

      Sie hob eine Hand, ballte sie zur Faust und zögerte wieder.

      »Du schaffst das«, sagte sie zu sich selbst und klopfte an. Viel zu zaghaft, um von irgendjemandem gehört zu werden. Sie spürte die Hitze in ihre Wangen steigen und wollte auf der Stelle kehrt machen. Doch im gleichen Moment öffnete sich die Tür.

      Der Anblick von Elias kam ihr wie die Erscheinung eines Weihnachtsengels vor. Ihr ganz persönlicher, durchtrainierter Engel, mit nichts als einer abgewetzten Jeanshose am Leib. Nora schluckte einen dicken Kloß im Hals hinunter.

      »Oh, ähm … tut mir leid, ich wollte nicht stören«, stammelte sie.

      Er lächelte. »Kein Problem. Du störst nicht. – Nora, von unten, richtig?«

      Sie nickte wie von Sinnen.

      »Kann ich dir irgendwie helfen?« Elias näherte sich einen Schritt und löste damit einen rasenden Herzschlag bei Nora aus. Sie musste sich wirklich sehr um Fassung bemühen.

      »Es ist nur … ich wollte …« Es schien unmöglich, einen logischen Anfang für ein Gespräch zu finden. Sie zog die Augenbrauen zusammen und starrte ihm ins Gesicht. Warum zum Teufel leuchtete seine Silhouette eigentlich, als wäre er wahrhaftig ein Engel?

      »Möchtest du reinkommen?« Er bewegte sich ein Stück zur Seite und gab die Sicht in seine Wohnung frei.

      Nun erkannte Nora eine unfassbare Anzahl an brennenden Kerzen, die überall im Inneren aufgestellt waren. Daher kam also der göttliche Schein. Sie schmunzelte in sich hinein.

      »Ist das ein Ja?«, hakte er nach.

      »Oh«, meinte Nora, die fühlte, wie sie allmählich etwas lockerer wurde, »eigentlich wollte ich dich ja nur fragen, ob du ein paar Kerzen für mich hast. Wegen dem Stromausfall. Aber wenn es dir nichts ausmacht, komme ich gern mit hinein.«

      »Du würdest mir sogar einen großen Gefallen


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