Wenn sie mich finden. Terri Blackstock

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Wenn sie mich finden - Terri Blackstock


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wir jetzt die richtigen Infos streuen, wird das keine Rolle spielen.“ Ich gebe ihm einen Klaps auf den Schädel und setze ihm den Zeigefinger auf die Brust. „Du sorgst dafür, dass du einen klaren Kopf behältst, verstanden! Dieser Whisky macht einen Feigling aus dir. Wir haben diese Geschichte in der Hand, wir und sonst niemand. Du hast mir bisher vertraut und ich hab dich nicht enttäuscht. Alles, was wir getan haben, mussten wir tun. Wir haben unsere Sache gut gemacht, Sy.“

      „Okay, Gordon. Schon kapiert.“

      „Nein, du kapierst nicht. Sieh mich an.“ Ich packe ihn erneut am Kinn. Seine Augen sind blutunterlaufen. „Sieh. Mich. An. Sy. Vertraust du mir?“

      „Die Dinge laufen uns aus dem Ruder, Gordon.“

      „Vertraust du mir?“, beharre ich, diesmal lauter.

      Wieder entwindet er sich meinem Griff und wischt sich mit dem Handrücken über den Mund. „Ja, ich vertraue dir.“

      „Dann machen wir es so. Und wir bleiben schön nüchtern und verfolgen unsere Strategie. Und wenn Casey Cox tot ist, können wir endgültig aufatmen.“

      „Was ist mit Dylan?“

      „Dylan ist verwirrt im Kopf, der wird einfach zur Tagesordnung übergehen. Vor allem, wenn wir ihm einen Job bei uns verschaffen. Das ist nämlich das, was er wirklich will. Der macht uns keine Schwierigkeiten.“

      Als ich Sy schließlich wieder auf Spur gebracht habe, fahre ich nach Hause, in Gedanken beschäftigt mit unserer Strategie. Adrenalin pulsiert in meinen Adern, als ich mir die nächsten Schritte überlege, wie wir den Rest von Casey Cox’ gutem Ruf zerstören können. In so was bin ich gut. Ich mache es ja schon jahrelang. Und es bereitet mir sogar Vergnügen.

      Im Gegensatz zu Sy schlafe ich in dieser Nacht unbeschwert.

      11

      Dylan

      Wieder eine schlaflose Nacht. Meine Einschlafversuche sind unterbrochen von Zeiten vor dem PC. Schließlich gebe ich es auf und mache Kaffee, dann stelle ich den Fernseher an. Die Lokalnachrichten laufen gerade und als Brent Paces Foto auf dem Bildschirm erscheint, gehe ich näher an den Fernseher heran.

       Die örtliche Polizei ist noch immer auf der Suche nach der mutmaßlichen Täterin, die in Georgia gesehen wurde, wo sie ein junges Mädchen und ihr Baby aus der Hand eines Kidnappers befreit hat. Heute erhielten wir aus einer anonymen Quelle Bilder vom Tatort des Mordes an Brent Pace, die dieses Verbrechen ins rechte Licht rücken. Der brutale Mord geschah bereits vor Monaten …

      Die Moderatorin berichtet die Einzelheiten und dann wird das Bild eingeblendet, das man mir damals nicht überlassen wollte: Brents blutüberströmter Leichnam am Fuß der Treppe in seinem Haus.

      Die Bilder werden nur kurz eingeblendet und sind stark verpixelt, aber die Moderatorin verkündet, wer mehr sehen wolle, könne auf die Website des Senders gehen. Sofort bin ich am Computer und rufe die Seite auf. Hier sind die Bilder, unverpixelt, blutig und brutal.

      Ich spüre die Hitze in meinen Ohren, ein Brennen in meinem Rückgrat und Herzrasen, wenn ich daran denke, dass Brents Mutter diese Bilder zu sehen bekommt. Wie muss es sie verletzen, wenn sie zum Tagesgespräch bei allen Freunden und Bekannten werden. Ich weiß ohne Zweifel, warum sie gerade jetzt veröffentlicht werden. Das ist Keegans Methode, die Öffentlichkeit daran zu erinnern, dass Casey Cox keine Heldin ist, sondern ein Killer. Und ich weiß auch, wem man die Indiskretion anlasten wird.

      Ich lasse den Fernseher laufen und stürme aus meiner Wohnung hinunter zu meinem Auto. Auf der Fahrt zum Polizeidezernat zittern mir die Hände.

      Dort angekommen, laufe ich im Eilschritt über den Rasen und die Stufen zum Eingang hinauf. Ich nehme Kurs in Richtung von Keegans Abteilung, um ihn mir zunächst direkt vorzuknöpfen, aber dann besinne ich mich eines Besseren. Es ist sinnlos, ihn und Rollins direkt zur Rede zu stellen. Stattdessen gehe ich zum Büro von Polizeichef Gates weiter hinten im Gebäude und hoffe, dass ich ihn antreffe. Seine Sekretärin telefoniert gerade und ein weiterer Apparat klingelt. Ich höre ihn reden, er ist in seinem Büro.

      Er hat bereits von den Bildern gehört und versucht gerade, sich aus der Sache herauszureden. Ich stecke meine zitternde Faust in die Tasche. „Ich muss ihn sprechen“, sage ich zu der Sekretärin. „Dylan Roberts.“ Bei diesem Namen sieht sie erschrocken hoch, legt den Hörer ab und geht zu seiner Tür. „Er ist hier“, sagt sie. „Dylan Roberts.“

      „Dylan, rein mit Ihnen!“, tobt er und sie winkt mir einzutreten. Ich sehe sofort, dass Polizeichef Gates ebenso vor Zorn kocht wie ich. Er marschiert hinter seinem Stuhl hin und her und hält den Hörer ans Ohr, während er weiterschimpft. „Nein, ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat, aber ich werde es gleich erfahren. Ich rufe zurück.“

      Er knallt den Hörer auf den Apparat und lehnt sich über seinen Schreibtisch zu mir vor. „Es gibt da ein paar Menschen, die mir sehr am Herzen liegen und die erneut in tiefe Trauer gestürzt wurden, weil sie den blutigen Körper ihres Sohnes auf einem Fernsehbildschirm ansehen mussten und ihn überall im Internet finden können. Was wissen Sie davon, Dylan?“

      „Deswegen bin ich hier“, sage ich. „Weil ich genau dieselbe Frage habe. Wer hat diese Fotos an die Presse gebracht?“

      „Keegan sagt, Sie waren’s. Setzen Sie sich.“

      Ich kann jetzt nicht sitzen. „Keegan weiß sehr gut, dass man mir diese Fotos gar nicht ausgehändigt hat.“ Meine Hände zittern noch immer, als ich mein Handy heraushole und die Fotos aufrufe. Ich blättere durch den Ordner, bis das erste Bild erscheint, das ich an jenem Tag gemacht habe – es sind Bilder von der Tatortdokumentation der Spurensicherung. Kein einziges zeigt Brents Körper. Ich reiche ihm das Handy und beobachte, wie er die Bilder ansieht.

      Schließlich gibt er mir das Handy zurück. „Das beweist gar nichts, Dylan. Wer sagt mir, dass sie die anderen Fotos nicht einfach auf dem Weg hierher gelöscht haben?“

      „Und warum sollte ich dann wohl sofort, nachdem ich sie gesehen habe, hier auftauchen? Brent war mein Freund. Ich will nicht, dass die ganze Welt ihn so anstarren kann. Das trägt die Handschrift von Detective Keegan.“

      Er knurrt. „Und was veranlasst Sie zu dieser Aussage?“

      „Keegan gefällt die PR nicht, die Casey Cox im Moment bekommt“, sage ich. „Er möchte die Geschichte verändern.“

      „Das will ich auch“, erwidert Gates. „Genauso wie Sie selbst. Aber dies …“

      Endlich sinke ich auf einen Stuhl und vergrabe das Gesicht in den Händen. „Hat Brents Mutter sie gesehen?“

      „Das am Telefon eben war Jim“, sagt er. „Sie war gerade im Supermarkt – die Bilder liefen auf zehn Großbildschirmen. Man musste ihr ein Beruhigungsmittel geben. Sie ist am Boden zerstört. Als wäre es erst gestern passiert.“

      Ich brauche einen Moment, um meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Ich reibe mir über die Lippen, damit sie mir gehorchen. „In meiner gesamten Arbeit als Ermittler habe ich niemals Informationen durchsickern lassen“, sage ich mit Nachdruck. „Und ich würde es auch nie tun. Schon gar nicht, wenn die Familie eines Freundes betroffen ist. Können wir vielleicht eine einstweilige Verfügung gegen den Sender erwirken? Eine Unterlassungsklage?“

      „Zu spät“, entgegnet der Polizeichef. „Die Bilder sind draußen. Die Leute machen sich Screenshots davon und verschicken sie an Freunde.“

      Ich stoße die Luft aus. „Die Leute sind krank.“

      „Die Bilder sind spektakulär. Die Sache ist skandalös. Schrecklich – und die Leute wollen Blut sehen.“ Er macht eine Handbewegung, mit der er versehentlich eine Wasserflasche und seine Kaffeetasse vom Schreibtisch fegt. Die Tasse zerbricht klirrend in Scherben und der braune Inhalt verteilt sich auf dem Fußboden.

      Seine Sekretärin stürmt herein. „Sir, ist Ihnen was passiert?“


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